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Das
Waisenhaus
Geschichtsträchtige Gemäuer begegnen einem
in der gothic fiction an jeder Ecke und oft genug - bei Walpole ("Castle
of Otranto") etwa, bei Poes "House of Usher" oder in Lucio Fulcis
"Haus an der Friedhofsmauer" - im Titel selbst. Mit den Familien,
die sie bewohnen, sind sie gewöhnlich in eins gesetzt, um so als Sinnbild
für die unter der Oberfläche - oder im Keller, unter Bodendielen und
in Nischenräumen - rumorenden Traumata zu dienen. Kein Wunder also, dass
"Das Waisenhaus", das Debüt des Spaniers Juan Antonio Bayona,
so heißt, wie es heißt. Produziert wurde es, und dies dürfte
für das internationale Interesse an diesem Film ausschlaggebend sein, von
Guillermo Del Toro, seit "Hellboy" und "Pans
Labyrinth" als Meister filmischer
Phantastik weithin anerkannt. In gewisser Weise reicht der damit den Gefallen
weiter, den Pedro Almodovar ihm einst als Produzent von "Devil's Backbone"
erwies.
Schon der Vorspann - ältliche Tapeten werden
von Kinderhand abgerissen - stellt klar, dass hinter bürgerlich tapezierter
Fassade schreckliche Geheimnisse lauern. Die dazu passende Familie besteht aus
Laura (Belen Rueda), Carlos (Fernandon Cayo) und Sohn Simon (Roger Princep).
Im titelgebenden Domizil verbrachte die Mutter ihre Waisenkindheit, als frisch
bezogenes Haus soll's der jungen Familie fortan als Zuhause dienen. Versteht
sich, dass diese Kindheit manch Schatten aufwies; auch, dass der Sohn alsbald
wie einst in "Shining" mit imaginären Freunden in Verbindung
steht; und dass Laura bald vor Sorge umgeht, um sich und Nachwuchs gleichermaßen.
Es knarrt und knorrt an allen Enden, ein wie von Geisterhauch bewegtes Karussell
im Garten dient als regelmäßig wiederkehrendes, unheilschwangeres
Insert. Ein filmisches Off also drängt - wie das im Horrorkino seit jeher
zum guten Ton gehört - stetig dräuend in die Aufmerksamkeit des On,
mal schockartig, mal subtil.
Bei einer Feier im Garten schließlich kippt
die angespannte Situation völlig, als nicht nur der Sohn spurlos verschwindet,
sondern auch ein grotesk maskiertes Kind Laura nach dem Leben trachtet. Dem
Gefüge der Realität ist ab hier nicht mehr zu trauen, wie auch dem
Haus, der Familie und dem Film selber nicht: Auf ihrer Suche nach den Geistern,
die an ihr zerren, und zur Rettung ihres Sohnen begibt sich Laura buchstäblich
in Zwischenräume des Hauses und eben der eigenen Biografie, die, erfährt
man bald, vom Film recht subjektiv vermittelt wurde. Zwischen allem, was der
Film an Erzählbarem munter verklebt, befindet sich noch genügend Material
für eine Trauma-Archäologie, die sich zumindest Kennern des Genres
allenfalls eine Spur zu deutlich ankündigt. Oder kurz: Viel Geisterbahn
überall.
Neuland betritt Bayona mit "Das Waisenhaus"
kaum. In Spanien nicht, wo der phantastische Film sich durch zahlreiche Beiträge,
wenngleich höchst unterschiedlicher Qualität, bester Gesundheit erfreut,
und schon gar nicht im Bereich der gothic
fiction: Zugute halten kann man dem
einstigen Videoclip-Regisseur, dass er die Formsprache seines einstigen Metiers
nicht in den gothic horror trägt: "Das Waisenhaus" ist weitgehend
mit ruhiger Hand inszeniert, sorgfältig kadriert und durchaus um Atmosphäre
bemüht. Kaum verhehlen aber lässt sich, dass der Film wie nach Lehrbuch
aufgesagt wirkt. Brav werden die traditionellen Elemente verstreut und eingesetzt,
wird eines dann passgenau aus dem Hut gezaubert, so vor allem deshalb, weil
es hier auch hingehört. Man könnte dies, zumal unter dem Vorzeichen
der derzeit dominanten, "torture porn" genannten Strömung im
Horrorfilm, als Rückbesinnung auf alte Werte deuten; genauso gut kann man
sich beim Durchbuchstabieren sattsam bekannter Genreelemente aber auch einfach
nur langweilen. Mit "solide" ist Bayonas Arbeit zwar gut beschrieben,
doch steht seine offen zutage tretende Sorge, als Debütant auch ja alles
richtig zu machen, der Portion Irrwitz, die gutes Horrorkino auszeichnet, strikt
im Wege.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen
in www.perlentaucher.de
Das
Waisenhaus
Mexiko
/ Spanien 2007 - Originaltitel: El Orfanato - Regie: Juan Antonio Bayona - Darsteller:
Belén Rueda, Fernando Cayo, Roger Príncep, Geraldine Chaplin,
Mabel Rivera, Montserrat Carulla, Andrés Gertrúdix - FSK: ab 12
- Länge: 102 min. - Start: 14.2.2008
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