zur startseite
zum archiv
Walk
Hard: Die Dewey Cox Story
Wenn man etwas ganz nahe anschaut, blickt es umso
ferner zurück. Eine erklärte Liebe mit denkwürdigen Folgen, ein
Effekt strukturalistischer Tätigkeit: Jake Kasdan, der Regisseur, Autor
und Produzent von „Walk Hard“, hat zu Protokoll gegeben: „Judd (d.i. Judd Apatow,
Autor und Produzent des Films) und ich lieben Filme über Rockstars. Wir
sind beide völlig vernarrt in Musik.“ Was ja durchaus eine Differenz bezeichnet!
Und so haben sich Kasdan und Apatow eine fiktive Figur namens Dewey Cox ausgedacht,
die all jene Schlüsselszenen und großen Momente durchlebt, die man
aus Filmen wie „The Doors“ (fd 28 882), „Walk
the Line“ (fd 37 460) oder „Ray“
(fd 36 863) – und unzähligen anderen Biopics über Leben und Werk bekannter
Musiker – kennt. Aber weil Dewey Cox eben Dewey Cox heißt, ist ein Einstieg
wie dieser möglich: Der Manager sucht hinter der Bühne, in den Katakomben,
seinen wie stets mit der menschlichen Existenz hadernden Schützling und
ruft dabei: I’m looking for Cox! Hahaha! Später wird Dewey selbst in einem
Werbespot für spezielle Grillwürstchen auftreten und vollmundig verkünden,
dass sie „like Cox“ schmecken. Doch häufig muss der Film das „Sex“ in „Sex
& Drugs & Rock ’n’ Roll“ nicht derart profilieren, dazu ist „Walk Hard“
einerseits viel zu liebevoll detailverrückt over the top und andererseits
damit beschäftigt, all die Steilvorlagen des Genres zu sichten und durch
Datenhäufung implodieren zu lassen. „Walk Hard“ schreibt die exemplarische
Musikerbiografie des Rock ’n’ Roll – und Dewey Cox ist in all den Schuhen ein
paar Schritte gegangen, die Johnny Cash, Roy Orbison, Jerry Lee Lewis, Elvis
Presley, The Beatles, Bob Dylan, The Doors und wohl noch ein paar Künstler
mehr in den Hotelfluren haben stehen lassen.
Biopics sind sui generis tautologisch. Die Lebensgeschichten
berühmter Menschen werden erzählt, weil sie berühmt sind. Und
dass sie berühmt sind, beweist im Feld der Popmusik die Präsenz im
Formatradio. Hier ist der „King“ noch King, hier darf Roy Orbison noch schluchzen,
und hier überflügelt bei Zuhörerumfragen regelmäßig
„Stairway To Heaven“ jene zehn großen Hits der Rolling Stones – hier feiert
das Gestern in Gestalt imaginärer 1960er- und 1970er-Jahre fröhliche
Urständ. Und wie im Formatradio kommt in Musiker-Biopics früher oder
später der Moment, in dem der Künstler seinen größten Hit
komponiert. Schließlich will Nostalgie legitimiert sein. Wenn Ian Curtis
in „Control“ (fd 38 519) seine marode Ehe durchleidet und von
seiner Gattin doch nicht lassen mag, findet er stracks die Worte des größten
Joy Division-Hits: „Love will tear us apart.“ Und diese Einsicht wird ihn überleben.
Es sind Momente der profanen Erleuchtung, die Kunst und Leben auf derart triviale
Weise engführen, dass es Fans der verhandelten Musik unmittelbar einleuchtet,
dass hier große Kunst und großes Leid respektive großes Glück
Hand in Hand gehen: „Break on through to the other side“, „Suspicious Minds“,
„God Only Knows“, „The Long And Winding Road“. All diese Mythen des Rock ’n’
Roll aktualisiert „Walk Hard“ auf eine ebenso lustvolle wie perfid-hinterhältige
Art und Weise, dass dies tatsächlich der Film sein könnte to end all
Rock ’n’ Roll-Biopics.
Dewey Cox ist nämlich nicht nur eine irrlichternd
symptomatische Bricolage diverser Karrieren, sondern seine Karriere vereint
auch noch einen Gutteil der Rock ’n’ Roll-Geschichte in sich: Nachdem er als
unschuldiges, leicht tumbes Kind versehentlich seinen beliebten, draufgängerischen
und musikalischen Bruder buchstäblich in zwei Hälften geteilt hat
(Stichwort: Traumatisierung), verliert der aus ärmlichen Verhältnissen
in Alabama stammende Dewey zwar die Liebe seines Vaters, bekommt aber gleichzeitig
ein Feeling für den Blues. Als Jugendlicher erweckt er mit einem recht
harmlosen Song die sexuellen Sehnsüchte seiner Mitschüler, heiratet
früh, wird Vater und erfolgloser Komponist, der sich in einem Jazzclub
als Putzkraft ein paar Dollars hinzuverdienen muss und zum blitzsauberen Soul-
und R&B-Imitator wird. Dewey weiß: das Leben ist ein hard walk, aber
er ist bereit to walk hard – und komponiert seinen gleichnamigen Hit, der ihn
bis ins hohe Alter begleiten wird. Mit „Walk Hard“ wird Dewey ein Star, probiert
sämtliche Drogen aus, wird Bigamist, gerät mit dem Gesetz aneinander,
engagiert sich für soziale Randgruppen wie Zwerge und Frauen, entdeckt
20 Jahre vor der Zeit Punk-Rock und dann LSD, trifft die Beatles beim Meditieren
in Indien, versucht sich an immer komplexeren Kompositionen, für die die
Welt noch nicht reif ist, erleidet schließlich einen Zusammenbruch, erlebt
Jahre später ein Comeback als Fernsehmoderator, schwimmt auf der Disco-Welle
mit, wird ein respektierter, vom Leben gezeichneter und trotzdem in Würde
gealterter Country-Sänger und erlebt schließlich als Sample-Lieferant
(s)einen dritten HipHop-Frühling. Eigentlich hätte Dewey Cox viel
mehr als nur einen Preis für sein Lebenswerk verdient. Was bleibt, ist
die finale Aussöhnung mit dem Vater.
Das alles ist genauso abstrus und überspitzt
in Szene gesetzt, wie es sich hier liest. Mit Verve werden die Einsichten eines
naiven Dummkopfs, dem sein Leben eher zustößt und der nie recht zu
begreifen scheint, wie ihm geschieht, zu spontaner Weisheit aufgeblasen. So,
wie man einst den Alkoholiker und Rimbaud-Epigonen Jim Morrison für einen
Dichter hielt! „Walk Hard“ ist eine überkandidelte Mischung aus trivialsten
Melodram-Momenten gemäß den Gesetzen von Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg,
atemberaubender Stupidität, schlechter Musik, Drogenexzessen, die letztlich
zu einer erstaunlich konservativen Biografie zusammengerührt wird. John
C. Reillys überragende Darstellung der Titelfigur wird dabei von einem
Team getragen, das bis in die kleinsten Nebenrollen für Überraschungen
sorgt (allein die Darstellung der Beatles in Indien mit Cameos von Jack Black
und Jason Schwartzman ist famos pointiert), sich visuell keine Boshaftigkeit
entgehen lässt und auch sonst reichlich Prominenz zur Mitwirkung bewegen
konnte: Lyle Lovett, Van Dyke Parks, Marshall Crenshaw, Dan Bern, Jackson Browne,
Eddie Vedder, Ghostface Killah und Jim White – sie alle haben auf die eine oder
andere Art daran mitgewirkt, einen weiteren Nagel in den Sarg des Rock’n’ Roll
zu treiben.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Walk
Hard: Die Dewey Cox Story
USA 2007 - Originaltitel: Walk Hard: The Dewey Cox Story - Regie: Jake Kasdan - Darsteller: John C. Reilly, Jenna Fischer, Tim Meadows, Kristen Wiig, Raymond J. Barry, Harold Ramis, Margo Martindale, Chris Parnell - FSK: ab 12 - Länge: 96 min. - Start: 13.3.2008
zur startseite
zum archiv