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Walk
the Line
Ein schuldgeplagter
Junge
Mit "Walk the Line" hat James Mangold
das Leben Johnny Cashs verfilmt. So sehr sich Joaquin Phoenix in der Titelrolle
auch dem Musiker anverwandelt, Cashs Faszination vermittelt sich nicht
Wie schon 2005 eröffnet auch dieses Kinojahr
mit einer ambitionierten Musikerbiografie, die sich nahezu enthemmt als Oscar-Material
profiliert. Knapp ein Jahr nach "Ray" startet morgen James Mangolds
Johnny-Cash-Würdigung "Walk the Line" in den Kinos; seinen Anspruch
auf die wichtigste Auszeichnung der amerikanischen Filmbranche hat das Biopic
bereits angemeldet. Mit drei Golden Globes als Lackmustest scheint die Rechnung
aufzugehen. Man kann den Film getrost als Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung
Academy betrachten. Und Cash ist, zwei Jahre nach seinem Tod, längst reif
für ein Lebensporträt: eine der zähesten und unergründlichsten
Gestalten der amerikanischen Popkultur, ob als Country-Outlaw, american icon,
christlicher Wanderprediger oder erbitterter Kriegsgegner. Ein Film über
das Leben von Johnny Cash interessiert immer.
Nun ist das Biopic ein äußerst undankbares
Film-Genre - und formal sicher eines der konventionellsten. Kaum ein Genre ordnet
seinem Thema die Form rigoroser unter; die filmische Dramaturgie zwingt das
komplexe Leben notwendigerweise in die symbolische Ordnung einer Initiationsgeschichte,
die sich an markanten Schlüsselerlebnissen entlang erzählt. Mangold,
um es vorwegzunehmen, hat diese Formel mit "Walk the Line" nicht geknackt.
Er hat allerdings auch der Versuchung widerstanden, Cashs über fünf
Jahrzehnte währende Achterbahn-Karriere auf zweieinhalb Stunden herunterzubrechen.
Es sind die ersten dreißig Jahre, die Mangold interessieren, angefangen
mit Cashs Kindheit auf einer Baumwollplantage in Arkansas bis zu seinem legendären
Auftritt im Gefängnis von Folsom im Jahr 1968 - auch das Jahr, in dem Cash
seine Jugendliebe June Carter (Reese Witherspoon) heiratete. Die Schlüsselmomente
in Cash frühem Leben hakt "Walk the Line" brav ab, und würde
Joaquin Phoenix Cash nicht so rastlos-manisch spielen, der Film wäre kaum
weiter bemerkenswert.
Hier wird die grundlegende Crux des Biopics wieder
augenscheinlich: Physiognomische Transformationen und künstlerische Mimesis
allein machen noch keinen interessanten Film. Viel zu oft muss das Biopic sowieso
nur dafür herhalten, persönliche Eitelkeiten zu befriedigen. Beide
Erkenntnisse treffen auch auf "Walk the Line" zu. Phoenix, der einige
von Cashs Songs - recht überzeugend - selbst eingesungen hat, ist wirklich
phänomenal als schuldgeplagter Junge vom Lande, der sich aufmacht, die
Welt zu erobern, und sich beinah an ihr zugrunde richtet. Den Film rettet es
trotzdem nicht.
Phoenix' Darstellung liefert jedoch schönes
Anschauungsmaterial für den kreativen Prozess der Charakterassimilation.
Denn Mangolds Film schildert Cashs Selbstfindungsprozess im gleichen Maße,
wie er auch Phoenix' Cash-Werdung verfolgt. Die leicht verächtlich aufgeworfene
Oberlippe, den immer selbstsicherer werdenden Gang, schließlich geht ihm
sogar Cashs bekannteste Pose in Fleisch und Blut über: die geschulterte
Gitarre als Waffe, mit der er seine Salven ins Publikum feuert.
Der Probe-Session in Sam Phillips Sun Studio, wo
Cash später auch Elvis, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins kennen lernen
wird, kommt darum in "Walk the Line" eine zentrale Rolle zu. Es ist
die bislang vielleicht überzeugendste Verbildlichung eines künstlerischen
Entstehungsprozesses im Kino: Man sieht, wie ein Sound - nicht bloß ein
Song oder Songwriter - entsteht; man wird Zeuge einer kleinen musikalischen
Revolution. Dieser Sound - "steady like a train, sharp like a razor",
beschreibt June Carter ihn - überkommt Cash, als Phillips ihn auffordert,
den einen Song zu spielen, der ihm beim Anblick eines Menschen in den Sinn kommt,
der vor ihm im Straßengraben verreckt. "Das ist der Song, der Menschenleben
rettet."
Cash erinnert sich an seine Rohfassung von "Folsom
Prison Blues", die er in einsamen Nächten als GI in Oberbayern auf
seiner Gitarre geklimpert hat, und beginnt zu spielen. Zunächst verhalten.
Seine überrumpelten Bandmitglieder steigen langsam ein und versuchen, sich
Cashs Rhythmus anzupassen. Der wird immer rasender, und irgendwann scheint es,
als spielten unsichtbare Hände die Instrumente; dazu kommt Phoenix' dämonischer
Blick. Der Zug ist nicht mehr zu stoppen.
Woran "Walk the Line" letztlich scheitert,
ist die Vermittlung von Mythos und Künstlerleben. Mangold kann nicht erklären,
worin die anhaltende Faszination an Johnny Cash eigentlich besteht. Phoenix'
Cash ist im Grunde nichts weiter als ein großes Baby mit Vater-Komplex
und unverarbeiteten Schuldgefühlen wegen des frühen Todes seines Bruders.
Zwar suggeriert der Film einen vagen Zusammenhang zwischen Cashs familiären
Verhältnissen und seiner wachsenden Spiritualität sowie seinem Faible
für Tod und Verdammnis. Doch das spezifisch Interessante an ihm - die inneren
Widersprüche von Wertekonservatismus und Dissidenz sowie die konkreten
Zusammenhänge von Elternhaus, gesellschaftlichem Umfeld und Musiksozialisation
- geht irgendwo in der filmischen Übersetzung verloren. Das mag auch daran
liegen, dass Mangold zu früh aus Cashs Leben ausblendet. Es fällt
schwer, sich ein wirkliches Bild von Cash zu machen, ohne seine Karriere in
den Siebzigerjahren - mit dem späten Nixon, dem Aufkommen von Countryrock
und der Kommerzialisierung des Nashville-Sounds - zu berücksichtigen. So
wirkt Johnny Cash am Ende von "Walk the Line" seltsam unfertig, wie
noch nicht voll entwickelt.
Ursprünglich war diese Filmkritik ja als Rock-'n'-Roll-Kritik
geplant, als Text, der dem Cool Johnny Cashs wirklich gerecht geworden wäre.
Aber "Walk the Line" bietet sich dazu, bieder wie der Film ist, nicht
gerade an. Eher legt das Biopic nahe, dass sich Cashs Leben auch vortrefflich
für eine Trilogie eignen würde. Material steht reichlich zur Verfügung.
Der Anfang ist gemacht.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Walk the Line
USA 2005 – Regie: James Mangold. Buch: Gill Dennis, James Mangold,
Kamera: Phedon Papamichael. Musik: T-Bone Burnett. Schnitt: Michael McCusker.
Mit: Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon, Ginnifer Goodwin, Robert Patrick, Dallas
Roberts, Dan John Miller, Larry Bagby, Shelby Lynne, Tyler Hilton, Shooter Jennings.
Twentieth Century Fox, 136 Min., Dt. Start: 2.2.2006
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