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Wallace
& Gromit unter Schafen
Im
Spiel sich vergessen und alles, was passiert, aIs wahr und wirklich zu erleben
- so kam das Universum ins kindliche Gemüt, und Erwachsene, denen es gegeben
ist, sich an das Heimatliche des unbeschädigten Gefühls zu erinnern,
werden gern wertvolle Menschen genannt, tapfer, couragiert, seelenvoll, rührend,
keineswegs perfekt, mitunter auch ungeschickt, mit großen Augen guckend,
Respektsperson und Kuscheltier in einem, also etwas zum Vertrauen und zum Liebhaben
und Beschützen. Dann lassen sich die größten Abenteuer mit der
Gewißheit bestehen, daß schlimmstenfalls Trost parat ist, auch Balsam
für die Seele.
Wallace
& Gromit also, wiewohl beide aus Knetmasse, aktivieren die altmodischen
Vokabeln von Gemüt bis Seele; wobei einem hohl im Kopf, aber warm ums Herz
wird. Jedes Wort ist daher fehl am Platze, wenn zwischen Hausvater Wallace und
Woll-Ladenbesitzerin Wendolene der späten Liebe zarte Hoffnung keimt. Ruhe
bitte, denn eben bringt der liebevolle Schnitt und Gegenschnitt die Augenpaare
in Kontakt, Wallace späht unscharf durch die beschlagene Schaufensterscheibe,
Wendolene wagt scheu den Blick durch die verschwimmende Scheibe zurück,
oder sind es ihre Augen, die in Tränen schwimmen?
Die
Szene gehorcht voll den Gesetzen des Filmmelodrams: Die Knetmassencharaktere
sind als Erwachsene ernstgenommen, und gleichzeitig bedienen sie musterhaft
unsere ersten Erinnerungen an die Filme von David Lean und Douglas Sirk und
an das unheimlich Heimatliche des Universums der Gefühle. Und wenn Wendolene
in einer späteren Szene rührend-tapfer in der Haustür steht und
den Verehrer Wallace bittet, auf die aufsprießende Liebe zu verzichten
- sie sei seiner nicht würdig, sie bringe ihm nichts Gutes, sie wolle ihm
nicht im Weg stehen, auch sei ihre Schaufensterauslage so silly, silly -, und
wenn dabei die Augen der beiden eine andere, seelenvolle Sprache sprechen, ja
dann ist die Intensität der großen Verzichtsszene in David Leans
BRIEF ENCOUNTER erreicht, die auf dem Bahnhof. Niemandem war es seit 1945 gelungen,
sie nachzuspielen; sie aber nachzukneten, das gelang dem Wallace & Gromit-Schöpfer
Nick Park, und damit traf er den Punkt, an dem wir nicht anders können
als mitzuspielen.
Das
ist das Besondere an diesem zweiten Wallace & Gromit-Film. Im übrigen
aber leben und arbeiten Herr Wallace und Hund Gromit nach wie vor partnerschaftlich
auf das engste zusammen. Ihr Wash'n'Go-Fensterputzexpreßservice basiert
auf einer Erfindungskunst, die ihre Risiken und Nebenwirkungen hat. Der vollautomatische
Einsatz von Aus-dem-Bett, In-dieKleider, Aufs-Motorrad und Mit-der-Leiter-vorsFenster-geschnellt
wiegt an Erlebniswert die grandiosen, aber stets herzlosen Actionszenen des
Mainstreamfilms auf. Leider lauert, wenn auch etwas verschwommen, hinter dem
noch ungeputzten Fenster Wendolenes Hund-Butler, Preston, das Kampftiervieh
mit den Macho-Nietenlederarmbändern um den Arm. Der Stärkere scheint
zu siegen. Heimtückisch funktioniert er Wallaces liebevolle Erfindung um,
die Schaf-Wasch-, Schaf-Scher-und Strick-Maschine, die eigentlich Wendolene
zugedacht war. Die Maschine verwertet jetzt die herzerweichend blökenden
Schafe gänzlich. Preston ist Herr der Hundefutterindustrie. Ein einziges
Schäflein, klein, aber schlau und couragiert, entkommt dem Schaf-Holocaust-Transport.
Dazu rauscht die große symphonische (65-Mann-Orchester für die Knetmassenszene!)
Spielfilmmusik des Julian Nott auf (er komponierte auch die Musik zum Holocaust-Drama
MUTTERS
COURAGE).
Wer kann helfen? Gromit, wie gesagt von einer willfährigen Justiz in die
Todeszelle geschickt - wegen angeblichen Schaf-Nappings, gemein, gemein, gemein!
-leider nicht. Aber da wir mit ihm nicht nur bangen und fühlen, sondern
auch hoffen, wissen wir: So, wie es ist, kann es nicht bleiben.
Kann
man auf eine höhere Gerechtigkeit vertrauen? Gromits Knastlektüre
ist „Crime and Punishment" von einem gewissen Fido Dogstojewsky... Zum
Glück für unsere Sache besinnt er sich aber schließlich auf
die eigenen Kräfte. Auch Chefanimator Nick Park blieb in diesem Dog- &
Underdog-Film bei seinem Handwerk. Die Knetmassenfiguren werden in der Einzelbildschaltung
wie Schauspieler geführt, beleuchtet, geschnitten. Wir sind sehr weit weg
vom kommerziellen Animationsfilm, der auf Schadenfreude setzt und auf die sie
auslösende Gewalt, die man menschenverachtend nur deshalb nicht nennt,
weil wir im Karikatur-und Cartoon-Genre sind. Nick Parks Thriller-Melodram könnte
daher Vorläufer für ein eigenes Genre werden, in dem genauso gelacht
wird wie sonst auch, aber immer herzlich. - Komplettiert wird die Vorstellung
der AARDMAN COLLECTION II durch fünf Kurzfilme, darunter die animierte
preisgekrönte WAR STORY Von Peter Lord.
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: epd film
3/96
WALLACE
& GROMIT UNTER SCHAFEN
THE
AARDMAN COLLECTION, VOLUME II
A
CLOSE SHAVE.
Großbritannien
1995. R und D: Nick Park. P:
Michael Rose, Carla Shelley. K: Dave Alex Riddett. M:
Julian Nett. Animation: Steve Produzenten/Gründer der Aardman Animations:
Peter Lord, David Sproxton. Pg: Aardman Animations und Danube Entertainment
2. V:
MFA. L: 30 Min. St: 7.3.1996. Im Vorprogramm: THE TITLE SEQUENCE R: Luis Cook,
Dave Alex Riddett. 1 Min. WHAT'S PIG. R:
Peter Lord. 11 Min., 1996. EARLY
BIRD R: Peter Lord, David Sproxton. 5 Min., 1983. HEAT ELECTRIC COMMERCIALS--S
R: Peter Lord, Nick Park. 6 x 30 Sek. NOT WITHOUT MY HANDBAG R: Boris Kossmehl.
13 Min., 1993. MY BABY JUST CARES FOR ME R: Peter Lord. 3.30 Min., 1987. WAR
STORY R: Peter Lord. 5 Min., 1989. POP R: Sam Fell. 3 Min., 1996.
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