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Warnung
vor einer heiligen Nutte
Ohne innere Entwicklung
"Ich sage
ihnen, dass ich es
oft sterbensmüde
bin, das
Menschliche
darzustellen,
ohne am Menschlichen
teilzuhaben."
(Thomas Mann; aus dem
Abspann des Films)
"Hochmut
kommt vor dem Fall."
(aus dem Vorspann
des Films)
Irgendwo in Spanien. Eine Villa. Menschen in der
Villa. Ein paar Bedienstete, die in rauen Mengen Cubra Libre ausschenken an
die in kleinen Gruppen oder allein dort befindlichen Leute. Keine Gäste,
nein Schauspieler, Aufnahmeleiter, Produzent und andere an einem geplanten Film
Mitwirkende.
Es herrscht eine gespannte Atmosphäre. Alles
wartet. Der Regisseur Jeff (Lou Castel) ist noch nicht da. Es herrscht Geldnot.
Ein Scheck war nicht gedeckt. Ohne Geld kein Film. Und Filmmaterial fehlt auch
noch, auch als Jeff endlich eintrifft. Wir treffen auf die Darsteller, die schöne
Hanna (Hanna Schygulla), ihre Kollegen, den eher stillen Ricky (Marquard Böhm),
den Star des Films Eddie (Eddie Constantine), der meist allein herumsitzt und
trinkt und beobachtet, was sich in der Villa, die einem spanischen Minister
gehört, abspielt. Auf Sascha (Rainer Werner Fassbinder), den leicht aufbrausenden
Herstellungsleiter, seine Produktionssekretärin Babs (Margarete von Trotta),
den Aufnahmeleiter Korbinian (Ulli Lommel), einen devoten Mann, der auch noch
stolz erzählt, dass er alles macht, was seine Frau von ihm verlangt, und
der sich von allen, vor allem Sascha herumkommandieren lässt. Auch Babs
wird von Sascha gescheucht und beschimpft. Auf Billi (Monica Teuber), die Maskenbildnerin,
den Oberbeleuchter Marc (Rudolf Waldemar Brem), seinen Gehilfen Jesus (Thomas
Schieder) und etliche andere Leute, die hinter der Kamera arbeiten.
Die gespannte Stimmung hat ihren Grund nicht nur
darin, dass man auf den Regisseur wartet, auf das Geld und den Beginn der Dreharbeiten.
Einige der Beteiligten kennen sich, arbeiten mehr oder weniger fest in einer
Gruppe, während die anderen eher daneben stehen, nicht so richtig dazu
gehören, wie der Italiener Marc es formuliert, der sich wie ein "Neger"
fühle.
Was Fassbinder nun in den gut eineinhalb Stunden
zeigt, sind vor allem die Abhängigkeiten innerhalb der Anwesenden und der
Versuch des Regisseurs, vor allem durch Geschrei und mehr oder weniger vorgespielte
Autorität eine gewisse Ordnung in die Dinge zu bringen, um endlich mit
dem Drehen beginnen zu können. Diese, oft erbärmlichen und auch erniedrigenden
Versuche Jeffs jedoch werden überlagert durch die Beziehungen unter den
Anwesenden. Es handelt sich zum Teil um schon länger bestehende, teilweise
um gerade zu Ende gehende, teilweise um sich neu aufbauende, vor allem sexuelle
Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren.
Der Ausstatter Fred (Kurt Raab) zum Beispiel beobachtet
neidisch, wie sich zwischen einzelnen Männern Beziehungen anbahnen. Er
scheint verzweifelt, einsam. Hanna, die sich als einzige aus den etlichen Auseinandersetzungen
weitgehend heraushält, macht sich zunächst über den älteren
Schauspieler Eddie lustig, lässt sich dann jedoch auf ein sexuelles Abenteuer
mit ihm ein. Andere wie Ricky treiben es mit Männern wie mit Frauen, Ricky
z.B. mit Jeff, den er schon länger kennt. Hanna flirtet aber auch mit dem
Oberbeleuchter, der unmäßig beginnt zu trinken, als sie sich Eddie
zuwendet. Jeff macht allen möglichen Frauen wie Babs oder der Maskenbildnerin
Billi Heiratsanträge und will mit ihnen angeblich nach Peru.
Selbst als endlich das Filmmaterial eingetroffen
ist, dauert es noch Stunden, bis schließlich gedreht wird. Jeff ist mit
nichts richtig einverstanden, und am Schluss meint er, er sei erst zufrieden,
wenn der Film ein Flop werde.
"Es gibt
Augenblicke, in denen
ich sehr diktatorisch
bin. Ich habe
zwar auch Filme
gemacht, die
anders gedreht
worden sind,
aber wenn der
Druck zu groß
wird, dann
werde ich zum
Diktator. Wenn
die Arbeit
schwierig ist
oder wenn das
Ganze schlecht
läuft, wenn die
Leute auch
noch auf einem
herum trampeln,
anstatt einem
zu helfen,
dann bleibt halt nur
noch die Diktatur."
(Rainer Werner Fassbinder)
Es wurde darüber spekuliert, ob "Warnung
vor einer heiligen Nutte" zustande gekommen war angesichts der Auseinandersetzungen
während der Dreharbeiten zu Fassbinders Film "Whity", die ebenfalls in Spanien stattfanden. Dies
würde auf eine Intention hindeuten, die Innenansicht der mehr oder weniger
festen Gruppe der Leute im Fassbinder-Team und die Rolle des Regisseurs als
potentiellem Diktator (s. Zitat) in einem Film aufzuzeigen. Das am Schluss des
Films eingeblendete, oben angeführte Zitat von Thomas Mann, und die Inszenierung
selbst deuten allerdings auch darüber hinaus. Fassbinder versucht, die
Abhängigkeiten innerhalb einer relativ großen, heterogenen Gruppe
von Menschen, die zu einem bestimmten Zweck (der relativ unwichtig ist) zusammen
gekommen sind, aufzudröseln. Diese Gruppe enthält eine Teilgruppe
von Menschen, die sich bereits länger kennen (so wie bei der Fassbinder-Truppe
auch), andere, die dazu stoßen, wieder andere, die als Stars gelten (Eddie
Constantine), mit denen eher vorsichtig umgegangen wird.
Die Relationen sind geprägt von mehr oder weniger
starken hierarchischen Strukturen einerseits, von ganz unterschiedlichen Charakteren
andererseits. Das Verhältnis zwischen Sascha und Babs etwa ist fast sadomasochistisch
geprägt. Obwohl Sascha sie oft erniedrigend behandelt, will sie bei ihm
bleiben und erklärt dies auch Jeff, der mit ihr nach Peru will. Eifersucht
und Neid sind weitere Momente, die das Verhältnis zwischen den Akteuren
kennzeichnen, etwa wenn Jeff verlangt, Babs solle das Team umgehend verlassen,
weil sie nämlich seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hat mit der Bemerkung,
sie könne Sascha nicht verlassen. Schließlich will Fassbinder die
Nähe zwischen Opfer- und Tätermentalität deutlich machen, etwa
bei Korbinian, der alle Demütigungen "einfach" erträgt und
daraus sogar noch etwas Positives konstruiert.
Gerade an den sexuellen Beziehungen zwischen den
Akteuren wird aber noch etwas anderes deutlich: Sie sind von einer gnadenlosen
Beliebigkeit gekennzeichnet, einer Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit, die
darauf hindeuten, dass sich die Akteure über ihre Bedürfnisse, Gefühle
und ihre eigene Stellung im Gespinst der Gruppe in keiner Weise bewusst sind.
Trotz alldem gehört "Warnung vor einer
heiligen Nutte" (mit Nutte ist offenbar das Filmgeschäft gemeint,
im übertragenen Sinn vielleicht überhaupt eine hierarchische Struktur,
die von Geld- und Machtbeziehungen geprägt ist) zu jenen ganz wenigen Fassbinder-Filmen,
die mir überhaupt nicht nahe kamen. Ich kann mit diesem Film nicht warm
werden. Das hat seinen Grund sehr wahrscheinlich vor allem darin, dass Fassbinder
das, was er in der ersten Viertelstunde des Films schon deutlich aufgezeigt
hat, über die gesamte Länge des Films hinzieht. Außer dem von
Thomas Mann entliehenen "Schlussakkord" (das anfangs Zitierte) wiederholt
sich dies in unterschiedlichen Personenkonstellationen immer wieder und immer
wieder und wird mit der Zeit nicht nur langweilig, sondern auch nervig. Durch
diese Art der Inszenierung des ewig Gleichen geraten etliche Szenen und das
Spiel der Akteure in den Bereich des Plakativen, vergleichbar mit einer immer
wieder gezeigten Werbung, die man bald nicht mehr ertragen kann.
Damit fehlt diesem Film - ganz im Gegensatz zu fast
allen anderen Filmen des Regisseurs - etwas ganz Entscheidendes: das Entwicklungsmoment.
Die Idee zum Film entwickelt sich nicht, und damit wird letztendlich keine Geschichte
erzählt, sondern lediglich eine Art Standbild erzeugt, etwas Statisches
also, ein zur Bewegung unfähiges Ungetüm. Und das alles trotz der
teilweise durchaus glänzenden Schauspieler (insbesondere Hanna Schygulla).
An einem Schauspieler wird die fehlende Dynamik des Films allerdings besonders
deutlich, an Lou Castel, der den Regisseur spielt. Dessen Ausbrüche wirken
mit der Zeit nur noch aufgesetzt und unglaubwürdig. Und ähnliches
gilt für Marquard Bohm.
Es mag sein, dass der Film im Kontext des Fassbinderschen
Oeuvres und in der Entwicklung Fassbinders als Regisseur selbst seinen Platz
und seine Bedeutung hat. Fassbinder selbst äußerte sich dementsprechend,
und für ihn war der Film der Abschluss einer bestimmten Periode. Für
mich erscheint er - sozusagen von außerhalb betrachtet, von der Warte
des Publizisten oder auch in Bezug auf das Gesamtwerk - eher als überflüssig.
Das Statische, Unbewegliche des Films hat mich eher abgeschreckt, und beileibe
nicht überwältigt.
So unterscheiden sich die Geister.
"Warnung vor einer heiligen Nutte" erschien
am 23.8.2005 auf DVD bei Arthaus / Kinowelt. Die DVD enthält lediglich
eine deutsche Tonspur und keine Untertitel. An Bonusmaterial liefern die Herausgeber
lediglich Texttafeln (Biografie des Regisseurs, Auszüge aus dem Presseheft),
eine Fotogalerie und den Trailer.
Bild und Ton allerdings wirken so frisch, dass man
denken könnte, der Film sei gerade produziert worden. Eine annehmbare Edition,
wie von Arthaus und Kinowelt auch nicht anders zu erwarten war.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Warnung
vor einer heiligen Nutte
Deutschland
1971, 103 Minuten (DVD: 99 Minuten)
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Rainer Werner Fassbinder
Musik:
Peer Raaben, Leonard Cohen, Teodoro Cottrau, Gaetano Donizetti, Mike Kellie,
Gary Wright
Kamera:
Michael Ballhaus
Schnitt:
Thea Eymèsz, Rainer Werner Fassbinder
Ausstattung:
Kurt Raab
Darsteller:
Lou Castel (Jeff, Regisseur), Eddie Constantine (Eddie Constantine), Marquard
Böhm (Ricky, Schauspieler), Hanna Schygulla (Hanna, Schauspielerin), Rainer
Werner Fassbinder (Sascha, Herstellungsleiter), Margarethe von Trotta (Produktionssekretärin),
Hannes Fuchs (David), Marcella Michelangeli (Margret), Karl Scheydt (Manfred),
Ulli Lommel (Korbinian, Aufnahmeleiter), Kurt Raab (Fred), Monica Teuber (Billi,
Maskenbildnerin), Rudolf Waldemar Brem (Marc, Oberbeleuchter), Thomas Schieder
(Jesus, Beleuchter)
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