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Warum
Israel
In seinem Debüt von 1973 entfaltet
Claude Lanzmann bereits sehr anschaulich all seine Inszenierungsmethoden, die
sein späteres Mammutwerk „Shoah“ zu einem solch gewichtigen Klassiker
des Dokumentarfilms avancieren lassen sollten: die Orte existieren, aber was
sie von sozialer Realität künden, ist von den historischen Erfahrungen
überformt und so zeigen auch ihre Bilder stets mehr als ihre bloße
mediale Verdoppelung. Was in „Shoah“ die Spuren der Nicht-Erinnerung waren –
beispielsweise eine beschauliche Waldwiese, unter deren Grün sich tausende
Leichen eines Massengrabs befinden – ist in „Warum Israel“ die Frage nach der
A-Normalität der Normalität.
Das Vorgehen gleicht dem in Shoah frappierend:
kein voiceover, (fast) kein Musikeinsatz aus dem offscreen,
keine Archivaufnahmen, keine unmittelbar chronologische Ausrichtung. Stattdessen
eröffnet das Sprechen der Protagonisten die Perspektive auf die Dialektik
der Bilder. Und diese Dialektik wird beständig von Lanzmann selbst angekurbelt,
wenn er sich immer wieder als Konstrukteur des Geschehens mitinszeniert, naiv
nachfragt, den Verlauf der Erzählungen nicht nur lenkt, sondern gelegentlich
in ihn hinein interveniert.
Bereits die Klammer des Films – in der
Exposition trägt ein Sänger ein Spartakisten-Lied vor, mit dem der
Film auch geschlossen wird, nachdem sich der Regisseur im Museum alle in Auschwitz
Ermordeten mit dem Namen Lanzmann vorlesen lässt – verweist auf den Gründungsmythos
Israels. Das europäische Leben, das Leben in der Diaspora, die unentwegte
Erfahrung des Antisemitismus kulminierte in Auschwitz. Wie aber einen Staat
begründen, der als Fluchtort für alle Juden gelten soll, gleichzeitig
in seiner Verfasstheit als normaler Staat mit staatsspezifisch normalen organisationalen,
politischen, sozialen und ökonomischen Problemen konfrontiert ist? Der
nun über ein Territorium verfügt, aber weder einzig durch den Rekurs
auf die Religiösität noch durch eine negative Identität durch
die Erfahrung von Auschwitz sein Fortbestehen sichern kann? Lanzmann schildert
nun, oftmals nicht ohne Witz, die Heterogenität dessen, was Leben in Israel
bedeutet, wie erst aus der Differenz ein geschlossenes Bild ermittelbar wird:
die Versprechungen der Jüdischen Agentur an die Immigranten auf Arbeit
und Wohnraum, die bereits im Vorfeld nicht zu bewältigen sind; das zurückgezogene
Leben in den Kibbuzen, an denen bereits ein deutliches Arm/ Reich-Gefälle
ablesbar ist; die Schwierigkeiten, eine israelische Armee zu behaupten und den
institutionalisierten Tod irgend zu legitimieren; die endlich erlangte jüdische
Solidarität, die sich zugleich einem kulturalistischem Rassismus, vor allem
gegenüber den osteuropäischen Juden, ausgesetzt sieht; die eben nicht
selbstverständliche Selbstverständlichkeit jüdische Produkte
im Supermarkt zu kaufen, die es bisher schlicht nicht gegeben hat.
Und dann zeitigen sich immer wieder die
Bruchstellen, an denen die Normalität von der eingeschriebenen Historie
überlagert wird. Ein jüdisches Gefängnis, in dem Juden sich hinter
Gittern begegnen? Wie es sich anfühle, als Jude einen Juden zu verhaften,
fragt Lanzmann eine sichtlich konsternierte Polizistin, die die Frage nicht
versteht. Bisher habe sie noch keinen Araber verhaftet, lautet die Antwort.
Ein anderer Polizist wird von einem aufgebrachten Passanten als Nazi beschimpft.
Kurz darauf berichtet er davon, wie er von seinen Eltern in Auschwitz getrennt
wurde. Das ist der rote Faden des Films: die Bruchstellen an denen die Fragilität
der Normalität immer wieder aufblitzt und ihre eigene Konstruktion kennzeichnet,
weil sie nur behauptet, nicht aber widerspruchsfrei gelebt werden kann.
In diesem Sinne gleicht sich auch Lanzmanns
Inszenierungsmethode dieser Konstruktionsleistung an. Im Booklet gibt er Auskunft
darüber, wie sehr er das Primat der Objektivität des Dokumentarfilms
gegenüber diesem roten Faden beugt: Die Supermarkt-Szene etwa berichtet
von wenig unmittelbarer Authentizität: „Ich brachte sie in einen großen
Supermarkt in Jerusalem, gab ihnen Anweisungen: „Los, seid erstaunt!“ Sie verstanden
sofort, was ich sagen und tun wollte, sie fühlten und lebten es ja selbst
und haben es folglich auch wunderbar gespielt.“ Lanzmann nutzt entsprechend
gezielt die vorgefundenen Orte, arrangiert Irritationen, die die Situation zwar
nicht im Augenblick hergeben, aber beständig mittransportieren. Ein Mittel,
das er in Shoah“, mit seinem Prinzip des erneuten Durchlebens, um so die Toten
durch die Überlebenden sprechen zu lassen, perfektionieren wird. Er dekonstruiert
den Mythos, indem er durch den Verweis auf dessen Flüchtigkeit hervorkehrt,
was der Mythos eigentlich verdecken will.
Erst durch dieses Vorgehen wird „Warum
Israel“ zur kritischen wie unumstößlichen Liebeserklärung. Frei
von zeitgenössischen politischen Entwicklungen transportiert der Film einen
Blick auf jüdische Identität, die die Erfahrung von Auschwitz abstreifen
will und doch immer wieder auf sie zurückgeworfen wird. Allein aus diesem
Grund brilliert er durch Zeitlosigkeit: Immerhin sind die Strukturen des sekundären
Antisemitismus, etwa die Vergleiche des „israelischen“ Verhaltens mit dem der
Nazis und die Einschätzung Israels als Besatzungsmacht, allgegenwärtig.
Und schon die Tatsache, dass einstige Rezensionen den Film mit einem Fragezeichen
betitelten, ruft einen Eindruck von der Notwendigkeit dieses Dokuments hervor.
Wem das nicht reicht, dem sei gesagt, dass die DVD ansonsten eine beträchtliche
Lücke in der hiesigen Editionslage des Werks von Lanzmann schließt.
Sven Jachmann
Dieser Text
ist zuvor erschienen bei: www.kino-zeit.de
Warum
Israel
(Pourquoi
Israel, Frankreich/ Italien 1973)
Regie:
Claude Lanzmann
Darsteller:
Gert Granach, Beno Grünbaum, Avraham Schenker, Ran Cohen u.a.
Länge:
192 Minuten
DVD
bei:
absolut Medien
Bildformat:
1,33:1 (4:3)
Sprache/
Ton: Mehrsprachige OF, Deutsch eingesprochene Fassung (Dolby Digital 1.0)
Extras:
Podiumsgespräch (43 Min.), Booklet mit zwölfseitigem Interview mit
Claude Lanzmann
FSK:
ohne Altersfreigabe
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