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Was die Rechte nicht sieht ..., kommt erst recht aus dem Ohr hinaus.
Die Politkommune ergießt
am Luxusswimmingpool opernhaft-pathetische Gefühle. Carla Aulaulu serviert
mit der Anmut eines pin-up-Girls den Tee, begleitet auf der Tonspur von einem
DDR-Sprecher (Originalton), der eine weitere Anerkennung des Arbeiter- und Bauernstaates
meldet sowie dessen Willen zur Entspannung. Für Entspannung sorgen jedoch
praktisch amerikanische Liebeslieder, die jedem eine Chance geben (»for
you can take the chance«). Zu Andy-Williams-Schlagern liest Steven Adamczewski
stockend und mühsam, aber auf englisch, aus einem politischen Buch vor:
»Zum Unterschied zum Faschismus ist der Terrorismus kein Schnellverfahren
für Revolutionäre.« Während Magdalena Montezuma auf dem gepflegten Rasen die
scheußlichen Brandwunden des Revolutionärs (Rainer Kranich) pflegt,
verschmilzt Revolutionär Steven Adamczewski, dem Becken entsteigend, mit
Carla in einem langen feuchten Kuß. Luzi Kryn wird belehrt, daß
es zunächst gelte, Kader aufzustellen und eine Parteiorganisation zu schaffen.
Doch Carla folgt dem Mao-Wort, daß die politische Macht aus den Gewehrläufen
komme, und vereinigt sich in sehr erotischen Posen mit einem Schnellfeuergewehr,
dieses aufs Publikum, das heißt in die Kamera abfeuernd. Rainer, sterbend,
erinnert sich der fleischlichen Liebe zu Carla. In einer Rückblende sieht
man die entsprechende Sequenz aus ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRASSE I. TEIL.
Das Largo von Händel, gespielt vom Orchester Mantovani, versüßt
ihm den Tod ebenso wie Zarah Leanders Erfolgslied aus dem Film Gabriela: »Weil man niemals weiß«.
Gedreht hat Praunheim den Film
1970 in Berlin, noch vor dem Schwulenfilm. Gedacht war das Material (17 Minuten) als »Probeaufnahmen
beziehungsweise erste Zusammenarbeit mit dem Kameramann Robert van Ackeren«
(Praunheim) für die Schlußsequenz des Films NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS. Da Dietmar Kracht in diesem Film jedoch nicht mehr Hauptdarsteller
sein sollte, machte der Regisseur aus den extravaganten Kommunardenszenen einen
eigenen Film.
Aufgeführt wurde der Film
zwei Jahre später, am 4. Juli 1972, im ZDF - kurz nach der Baader-Meinhof-Aktion.
Das gefiel keinem mehr. Die Frankfurter Rundschau erklärte den Regisseur
zum Hiwi der Rechten: »Mit diesem konzeptionslosen Streifen füllt
Rosa von Praunheim Augen und Ohren der Rechten und betreibt damit deren Geschäfte.«
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erkannte Praunheims Konzept der doppelten
Ironie - »Er macht sich lustig über die, die sich über Terroristen
lustig machen« -, trat jedoch für die Zensurierung des Films ein:
»Das Fernsehen hätte diese Sendung weglassen sollen. Die Dinge sind
zu ernst.« Elf Jahre später wiederholte das ZDF den Film. Jetzt hatte
niemand etwas dagegen.
Der Ärger von damals ist
nachvollziehbar. Praunheim hatte die diversen Werte zu Sperrmüll umgewidmet
und sich ihrer für den Privatgebrauch bedient. Indem er Hollywood (die
Kamera van Ackerens) und Mao benutzte, Händel und Jary, den modernen Terrorismus
und die moderne Konsumwelt, löste er Versatzstücke aus Sinnzusammenhängen,
die Klischee geworden waren oder doch im Begriff, dies zu werden, und stellte
in seiner eigenen Welt den Sinnzusammenhang des Expropriateurs her, dessen Rechte
wieder weiß, was die Linke tut. In sein Ohr geht der DDR-Funk ein und
die Westmusik. Nebeneffekt ist in der Tat die Bloßstellung der Eindimensionalität,
und damit des Klischees der Stadtrevolutionäre, und die Bloßstellung
der eindimensionalen und ihrerseits klischeehaften Vorstellung der (Klein-)Bürger
von der Revolution. Beide Lager, das linke und das rechte, mußte
sich expropriiert fühlen. Der Film war nicht koalitionsfähig.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Rosa von Praunheim; Band 30 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags
Was die Rechte nicht sieht ..., kommt erst recht aus dem Ohr
hinaus
BRD 1970
Regie, Buch, Schnitt, Ton: Rosa von Praunheim. - Kamera: Robert
van Ackeren. - Musik: Händel: »Largo«, gespielt vom Orchester
Mantovani; »Gabriela«, gesungen von Zarah Leander; polnisches Lied
von Konieczny und Szmidt; u. a. - Darsteller: Carla Aulaulu, Magdalena Montezuma,
Luzi Kryn, Steven Adamczewski, Rainer Kranich, Dietmar Kracht, Alix Buchen (nicht
aufgeführt). - Produzent: Rosa von Praunheim im Auftrag des ZDF. - Drehzeit:
Sommer 1970. - Drehort: Berlin. – Produktions-Kosten: 20 000 DM. - Format: 16
mm, Farbe (Ferrania). – Original-Länge: 17 min. - Kinoerstaufführung:
3.11. 1972, Hofer Filmtage. - TV: 4.7. 1972 (ZDF). - Verleih: offen
Der Film verwendet einen Ausschnitt aus ROSA ARBEITER AUF GOLDENER
STRASSE 1. Teil.
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