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Was
Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
S*E*X
„It's getting
late, and while I wait, my poor heart aches on.
Why keep
the brakes on? Let's misbehave.
I feel quite
sure affair d'amor would be attractive;
While we're
still active, let's misbehave.“
(1)
In der Blütezeit der (vermeintlichen?) sexuellen
Revolution Anfang der 70er Jahre brachte Woody Allen einen Film in die Kinos,
der sich in sieben Episoden dem Thema Nr. 1 widmete. Aber es wäre sicherlich
weit gefehlt, diesen Film ausschließlich als eine Persiflage, eine ironische
Studie oder sarkastische Abhandlung zu diesem Thema zu verstehen. Allen gelang
zudem ein nicht minder humorvoller Schlag gegen das eigene Business. So unterschiedlich
die sieben Episoden auch sein mögen, überzeugen sie doch alle durch
den Sarkasmus in der Verknüpfung von Sex und Filmgenres.
Wer nicht mag, kann die folgende Wiedergabe der Episoden
ruhig überspringen. Aber ich musste sie en
detail nochmals wiedergeben.
1. Wirken Aphrodisiaka?
Der Narr in der ersten Episode, der seinen Chef,
den König, zu Tode langweilt mit seinen Versen, die nicht mal den letzten
Hund hinterm Ofen hervorlocken, ist letztlich – so wird sich erweisen – nur
am mittelalterlichen Hofe, um der Königin nahe zu sein und zu treten. Als
dies bei einem ersten Versuch im königlichen Garten auf wenig Gegenliebe
stößt, müssen die entsprechenden Mittelchen, der Königin
in den Nachttrunk geschüttet, zum Erfolg führen, und die einem Narren
zugesprochene List, die Wachen vor dem königlichen Schlafgemach zu täuschen.
List führt zur Lust??
Allen erweist sich in dieser ersten Episode als Meister
der gereimten Ironie. Sprüche wie „Besteig mich wie zehn Büffel”,
so die Königin nach dem Genuss des Schlaftrunks, oder „Ich bin so wild
wie ach ein Stier, wohin jedoch nur mit dem Bier”, „Ein Pech, dass die Büchsenöffner
noch nicht erfunden sind” (schließlich muss der Narr das Hindernis des
eisernen Keuschheitsgürtels überwinden), oder auch „Langer Rede, kurzer
Sinn – jetzt muss er ‘rin” erweisen sich allerdings für den Narr als kontraproduktiv.
Denn der Macht des Königs, der plötzlich im Schlafzimmer auftaucht,
ist er dann doch nicht gewachsen. Ein letzter ironischer Spruch, und der Kopf
fällt.
Deutlich zu spüren ist schon hier Allens Fähigkeit,
eine derartige Geschichte im Rahmen jenes Genres zu platzieren, das ansonsten
Ritter-Artus-Sagen oder Ritterfilmen vorbehalten ist. Ganz nebenbei wird jedoch
auch der Bedeutung der hoch gepriesenen Liebesmittelchen ein gehöriger
Schlag versetzt.
2. Was ist Sodomie?
Wenn am Schluss dieser Episode ein ehemals angesehener
praktischer Arzt am Straßenrand als Bettler sitzt und flüssiges Wollwaschmittel
(statt Alkohol) in sich hinein kippt, muss etwas schief gelaufen sein. Der Arzt,
ein gewisser Dr. Ross, vormals ein ganz normaler Zeitgenosse der New Yorker
gehobenen Mittelschicht, macht tatsächlich eine Rosskur durch, vielmehr
eine „Schafkur“.
Er hätte seinen merkwürdigen Patienten
Milos Stavros lieber hochkant hinauswerfen sollen, der ihm doch tatsächlich
erzählte, er habe sich in der Einsamkeit der armenischen Berge nicht nur
in ein Schaf namens Daisy verliebt, sondern es auch mit diesem wollenden Etwas
getrieben – und das sei das höchste der Gefühle gewesen. Anfangs baff,
lernt Ross das süße Kleine kennen – und es geht ihm wie Milos, von
dem sich Daisy zu dessen Verzweiflung abgewandt hatte. Als ihn seine Frau erwischt,
wie er seinen Schafwollpullover streichelt, ist alles zu spät. „Du riechst
nach Hammelkeule”, dieser empörte Satz der empörten Gattin ist der
Anfang vom Ende: es naht die Scheidung. „Der Angeklagte hat mit einem Schaf
Ehebruch begangen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Schaf noch nicht volljährig
war.”
Dass Milos Ross dann auch noch – nach dem Verlust
seines gesamten Vermögens an die geschiedene Gattin – Daisy entwendet,
um das lüsterne Schaf wieder in die Berge zu bringen –, versetzt Ross den
letzten Schlag.
Das Kuriose an dieser Episode ist wohl, dass Sodomie
nicht etwa verpönt ist. Ross, so könnte man sagen, hat nur das Pech,
dass Daisy nicht reich ist.
3. Warum haben manche Frauen Probleme, zum Orgasmus
zu kommen?
Dass es sich hier ausgerechnet auch noch um eine
Italienerin handelt, von der ihr Ehemann schon annimmt, sie sei frigide, wundert
kaum. Fabrizio sucht sich bei allen möglichen Leuten gute Ratschläge,
selbst bei einem Pfarrer, der meint, er würde ja mal versuchen, Gina, die
Unglückliche selbst ... aber das verbiete ihm sein Amt. Nichts hilft. Bis
– ja bis Gina in einer Galerie mit lauter schönen Dingen und lauter mehr
oder weniger schönen Leuten, die sich die teuren Sachen anschauen, das
besagte Gefühl plötzlich übermannt (oder sagt man hier: überfraut?),
jetzt Sex haben zu müssen. Ohne Öffentlichkeit geht’s nicht: auf einem
Balkon während eines rauschenden Fests, im Restaurant unterm Tisch anderer
Leute, ja sogar im Beichtstuhl. Amen.
Alle Hüllen und Regeln fallen. So ist Gina eben
und Fabrizio spielt mit, sprich: wenn schon, denn schon.
4. Sind Transvestiten Homosexuelle?
Aber keineswegs? Oder doch? Der gealterte Sam, zusammen
mit Frau und Tochter eingeladen bei den künftigen Schwiegereltern der Tochter,
hält es nicht lang auf seinem Stuhl. Unter dem Vorwand eines dringenden
Bedürfnisses verschwindet er im Schlafgemach der Hausherrin, um sich dort
seinem wirklich dringenden Bedürfnis hinzugeben, nämlich sich in Frauenkleider
zu hüllen. Als der Hausherr erscheint, gelingt es ihm gerade noch, durchs
Fenster zu flüchten. Doch ein Taschendieb, der ihm das Handtäschchen
mopst, bringt auch den entsprechenden Aufruhr, einschließlich Polizei.
Als seine Frau ihn hinter den Frauenkleidern erkennt, kommt es zum ersten ehelichen
therapeutischen Gespräch. Da kann nur noch ein Psychiater helfen.
Ist Sam also homosexuell? Aber keineswegs. Er muss
nur behandelt werden. Alles locker, alles easy.
5. Was sind Perverse?
Ganz im Stil der 60er Jahre öffnet Allen den
Blick in eine jener Ratespiele, ganz ähnlich Robert Lembkes „Was bin ich?”,
nur dass das Thema lautet „Was bin ich für ein Perverser?” Als erstes treffen
wir auf einen dieser normalen Bürger, die sich gern in der U-Bahn entkleiden.
Keiner aus dem Rateteam kommt auf seine Neigung. Statt Fragen zu stellen wie
„Vergewaltigen Sie gern?” oder „Verführen sie gern Kinder?” hätte
man viel profaner fragen sollen. Höhepunkt des Ratespiels aber ist der
alte Rabbi Chaim Baumel, der nicht nur Fetischist (er liebt Seidenstrümpfe)
ist, sondern sich gern fesseln und peitschen lässt, während seine
Frau zu seinen Füßen Schweinefleisch isst. Dem Publikum gefällt’s.
6. Sind die Ergebnisse von Ärzten und Kliniken,
die Sexualforschung und -experimente betreiben, korrekt?
Wohl einer der Höhepunkte der sieben Episoden
ist der Besuch eines Sexualschriftstellers namens Victor Shakapopulis und einer
Journalistin namens Helen Lacey bei dem von (den wohl bekanntesten Sexualforschern
jener Zeit) Johnson und Masters gefeuerten Sex-Frankenstein Dr. Bernardo und
seinem buckligen Gehilfen Igor, der nach einem der Experimente – Bernardo verschaffte
ihm einen vierstündigen Orgasmus – geistig und seelisch verkrüppelte.
Bernardo verkündet nicht nur, 38 cm seien die richtige Länge für
einen Penis. Er behauptet auch, dass es einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen
Leuten, die extensiv masturbieren, und ihrem Entschluss, in die Politik zu gehen,
gebe. In seinem Labor experimentiert er nicht nur mit einem Nilpferd, sondern
auch mit einem Mann, der mit einem überdimensionalen Roggenbrot Sex hat
– und er ist dabei, das Hirn einer Lesbierin in den Kopf eines Elektromechanikers
zu verpflanzen.
Mit Helen allerdings hat er anderes vor: Zwanzig
Pfadfinder sollen sie besteigen, während er dabei ihre Atmung messen will.
Das ist den beiden Besuchern zu viel.
Als Helen und Victor die Flucht aus dem Labor gelingt,
werden sie von einer riesigen weiblichen Brust verfolgt, die Menschen tötet:
Eines ihrer Opfer rutscht auf der Sahne aus und ertrinkt in der Milch.
Dass Victor als Held dieses „Horrorfilms” die Titte
besiegt, die daraufhin von der Polizei in ein Waisenhaus verbracht werden soll,
um den armen Kleinen nützliche Dienste zu erweisen, sprich: Milch zu geben,
versteht sich fast von selbst. Aus allem Unnützen kann man noch etwas Nützliches
zaubern.
7. Was passiert bei einem Samenerguss?
Der Gipfel aber ist jene letzte Episode im Zentrum
des menschlichen Gehirns, in der ein eifriger Operator und ein für den
Samenerguss zuständiger Spezialist mit allerlei Hilfskräften an Computern,
im Maschinenraum und an anderen Orten des menschlichen Körpers dabei sind,
ihrem Herrn endlich einen Orgasmus zu verschaffen, der gerade im Restaurant
einer reizenden Schönheit gegenübersitzt. Man hat einiges zu tun:
Angstzustände müssen überwunden werden, im Maschinenraum kurbeln
starke Männer die Erektion an und einem der Spermien (Allen selbst), die
wie Fallschirmspringer im Flugzeug angeleint sind, bevor sie springen, kommen
Zweifel, ob es wirklich hier weg will. Nicht zuletzt müssen sich die Spezialisten
im Hirn mit einem „Pfarrer” plagen, der das Gewissen beeinflussen will, um es
nicht „zum Äußersten” kommen zu lassen.
Ein fröhliches „Glory Halleluja” führt
schließlich zum vollen Erfolg.
Allen bewegt sich – ganz abgesehen von der sarkastischen
Übertreibung – immer zwischen zwei „Räumen”: dem der ironischen Befassung
mit sexuellen Praktiken und ihrer medialen respektive öffentlichen „Verarbeitung”
und dem der Frage nach diesen Praktiken oder Verhaltensweisen selbst. Dabei
spitzt er die Kritik insbesondere an der filmischen, medialen und öffentlichen
Diskussion in verschiedener Weise zu. Steht er im Grunde in der ersten Episode
– wenn auch in tragikomischer Weise – seinem Narren sehr nahe, nicht ohne zu
verkennen, dass dessen geringe Überzeugungskraft der Anwendung eines Mittelchens
weichen muss, nimmt er in der Daisy-Episode jene feine, „aufgeschlossene“ Gesellschaft
in der Gesellschaft voll aufs Korn, die alles duldet, aber auch alles bestraft,
wenn es ums liebe Geld geht.
Besonders deutlich wird dies in der TV-Rateshow,
in der Allen – was hierzulande sich kaum jemand erlauben könnte, ohne sich
den Vorwurf des Antisemitismus einzuhandeln – einen Rabbi mit masochistischen
Neigungen öffentlich vorführt. Die mediale, über alle Tabus erhabene
Entblößung kommt als so selbstverständlich daher, dass sie über
30 Jahre, nachdem der Film in die Kinos kam, wie eine Voraussage heutiger Reality-Shows
etc. erscheint.
„You know
my heart is true, and you say you for me care;
Someone is
sure to tell, but what the hell do we care?
They say
that spring means just one thing to little love birds;
We're not
above birds, let's misbehave.“
(1)
Ein anderer Aspekt durchzieht allerdings auch fast
alle Episoden, der wie das Gegenteil des umfassenden öffentlichen Tabubruchs
erscheint: Eine Italienerin, die nur in der Öffentlichkeit zum Orgasmus
finden kann, ein Narr der nur mit Hilfe eines Aphrodisiakums glaubt, mit einer
ansonsten unwilligen Frau Sex haben zu können, deuten auf die Kehrseite
aller Tabubrüche: die sexuelle Gefangenschaft, den gerade durch die Tabubrüche
bewirkten Zwang zum Orgasmus, den gesellschaftlich vermittelten Erfolgsdruck
usw.
Gerade die letzte Episode, in der Sexualität
zu einem rein mechanischen und computergesteuerten Vorgang im wahrsten Sinn
des Wortes verkommt und eigentlich nur Allens Sperma Zweifel äußert,
ob das denn alles seine Richtigkeit hat, deutet in diese Richtung, ebenso wie
die Anfangsszene des Films während des Vorspanns, in der Allen Dutzende
weißer Kaninchen zeigt, während Cole Porters „Let’s Misbehave” gespielt
und gesungen wird. Wie die Karnickel!
Und nicht zuletzt begeht Allen natürlich selbst
einen Tabubruch: Er spricht diese Dinge sarkastisch und oft mit dem ihm eigenen
Zynismus an und bebildert sie – auch die gerade in dieser Zeit enorm auflebende
Sexualforschung, wobei Bernardo zwar als Horrorgestalt à la Jekyll &
Hyde erscheint, aber letztlich nur die zu Ende gedachte (Speer-)Spitze eines
Eisbergs verkörpert. Bernardo „vergrößert” im wahrsten Sinn
des Wortes nicht nur die sekundären Geschlechtsmerkmale (die riesige Brust,
die tötet). Er quantifiziert alles, er will es wissen, so absurd seine
Experimente auch erscheinen mögen. Er opfert die Träger der Sexualität
um der vermeintlichen Erkenntnis willen auf dem Altar des verrückt gewordenen
Wissenschaftlers. Dass Allen dabei auch verschiedene Genres aufs Korn nimmt
– Sciencefiction, Horrorfilm, „Problemfilm” usw. – ist mehr als nur ein vergnüglicher
Nebeneffekt.
„We're all
alone; no chaperone can get our number;
The world's
in slumber, let's misbehave.
There's some
wild about you, child, that's so contageous;
Let's be
outrageous, let's misbehave.“
(1)
Dass in den Episoden zwischenmenschliche Beziehungen
ausschließlich über Sex definiert sind, ist dabei ebensowenig ein
Zufall wie die Tatsache, dass der Blick Allens auf seine Figuren nie gehässig
wirkt. Und schließlich bleibt ein Punkt der „Unruhe”: Meint es Allen vielleicht
doch ernst?
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
(1)
Cole Porter: „Let’s Misbehave“.
Was
Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
(Everything You Always Wanted to Know About Sex But
Were Afraid to Ask)
USA
1972, 84 Minuten
Regie:
Woody Allen
Drehbuch:
Woody Allen, David Reuben
Musik:
Cole Porter: „Let’s Misbehave“, Mundell Lowe
Kamera:
David M. Walsh
Schnitt:
Eric Albertson
Darsteller:
Woody Allen (Der Narr / Fabrizio / Victor Shakapopulis / Sperma No. 1), 1: Anthony
Quale (König), Lynn Redgrave (Königin), Alan Caillou (Vater des Narren);
2: Gene Wilder (Dr. Doug Ross), Elaine Giftos (Mrs. Ross), Titos Vandis (Stavros
Milos); 3: Louise Lasser (Gina); 4: Lou Jacobi (Sam); 5: Jack Barry (Jack Barry),
Baruch Lumet (Rabbi Chaim Baumel), H. E. West (Bernard Jaffe); 6:John Carradine
(Dr. Bernardo), Heather MacRae (Helen Lacey), Ref Sanchez (Igor); 7: Erin Fleming
(Frau), Tony Randall (Operator), Burt Reynolds (Sperma-Pult-Chef)
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