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Water
Ghandi-Regenschirme
Wer hat wen geschlagen? Natürlich
mal wieder der Mann die Frau. Diesmal in Indien und zwar als bis in die Gegenwart
reichender Dauerzustand. - Schlimm genug, wenn kleine Mädchen mit alten
Männern verheiratet werden. Aber falls der Gatte stirbt, was im Fall der
Chuyia im Film „Wasser“ bereits in ihrem neunten Lebensjahr geschieht, fühlt
sich seine Familie nicht mehr für die Witwe verantwortlich und sie wird
einem speziellen Ashram überstellt, einem Haus, in dem hinduistische Witwen
den Rest ihres Lebens in Armut und Entsagung verbringen müssen.
Auch dass sich manche von ihnen,
um die Ashram-Kasse aufzustocken, inoffiziell prostituieren dürfen, wirft
kein besseres Licht aufs honorige indische Partriarchat, und wenn sich selbiges
auch kleine Kinder wie Chuyia zum Zeitvertreib ins Bett holt, dann scheints
ja zu klappen mit der idealen Verquickung von männlicher Rücksichtslosigkeit,
Macht und der Instrumentalisierung religiöser Dogmen für männliche
Interessen,- der Mann und die Religion: eine unheilige Allianz, die allerorten
funktioniert hat und funktioniert. Wo, wenn nicht in den großen Weltreligionen,
war - und ist noch - Frauenfeindlichkeit am tiefsten und effektivsten verankert?
Deepa Mehta, die von hinduistischen
Fundamentalisten mit Morddrohungen versehene Regisseurin von „Water“, schlägt
einen Weg ein, den auch andere Regisseurinnen beschreiten: Den eines geringeren
Widerstandes, der sich in diesem Fall manifestiert durch Anleihen beim Schicksalsroman:
Eine niedliche und freche Kindwitwe, eine alte Witwe, die sich niedlicherweise
nach Süßigkeiten sehnt, eine bildschöne Witwe im besten Heiratsalter,
zur Prostitution verdammt, des weiteren: einen gut aussehenden, bebrillten Ghandi-Anhänger,
der nicht nur, wie Ghandi, Jurist ist, sondern auch mit dem berühmten Ghandi-Regenschirm
spazieren geht und sich in die bildschöne Witwe verliebt; (sein Vater hat
sich von ihren Fähigkeiten aber auch schon regelmäßig überzeugen
können, was ihm dann doch den Spaß verdirbt), schließlich dann
Klischee-Ghandi selbst, der einen eigens für ihn auf einem Bahnhof errichteten
Thron erklimmt, nur um einen einzigen Satz zu wiederholen („Früher
habe ich daran geglaubt, dass Gott die Wahrheit ist, heute glaube ich, dass
die Wahrheit Gott ist“),
den das komplette Hinterhof-Indien sowieso schon von ihm kennt und jede Menge
(feminines) Ganges-Wasser und Wassermetaphorik, alles dies Überzeugungsmittel,
mit denen Mehta offenbar den steinernen Patriarchen des neuzeitlichen Indiens
erweichen will, aber jeden veritablen Menschenrechtler beschämen muss,
da die blanken Fakten ja wirklich schon genug aussagen.
„Water“ ist, nicht nur, weil er einen
aktuellen Missstand ins Jahr 1938 verlegt, auch, weil er meint, zu Herze gehen
zu müssen, indem er eine Soße aus Musik und pittoresker Nostalgie-Folklore
mit reizenden unglücklichen Kindern und hübschen unglücklichen
Frauen vermengt (und implizit das Schicksal langweiliger unglücklicher
Kinder und hässlicher unglücklicher Frauen hintanstellt), ein eher
schwacher, zu wenig aggressiver Film geworden, der mit abgemildert bollywoodesken
Methoden Aufklärungsarbeit leisten will. In Indien konnte er so tatsächlich
ein großes Geschrei auslösen, aber in Deutschland wird er vorwiegend
international interessierten Beamten ergreifende und bestürzende Schicksale
aus einem geheimnisvollen Land bieten - also ihnen ihre gepflegte, kulturell
wertvolle Abendunterhaltung sichern, nicht wahr?
Andreas Thomas
Water
Kanada / Indien
2005 - Regie: Deepa Mehta - Darsteller: Seema Biswas, Lisa Ray, John Abraham,
Sarala, Manorma, Raghuvir Yadav, Kulbushan Kharbanda, Vinay Pathak, Waheeda
Rehman, Rishma Malik - FSK: ab 12 - Länge: 118 min. - Start: 7.9.2006
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