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Water
Lilies
Marie
taucht ab und wieder auf
Bei Better
Than Chocolate war
es Bodypainting, bei When
Night is Falling dann
Zirkusartistik und Ausdruckstanz – im lesbischen Film hat man gerne ein bisschen
kreative Kleinkunst zum Petting. Da wirkt das Regiedebüt der Französin
Céline Sciamma über lesbische Synchronschwimmerinnen eigentlich
nur wie eine logische Fortführung einer langen Tradition. Und anfangs werden
hier auch alle bekannten Knöpfe gedrückt: Die kleine schüchterne
Schwarzhaarige und die dralle, selbstbewußte Blonde kennen wir auch schon
aus den oben genannten Filmen, die Lokalisierung im Mittelstufenjahrgang erinnert
zudem an Raus
aus Åmål,
die schüchterne Marie ähnelt Rebecka Liljeberg, während die explosive
Florianne der jungen Kate Winslet aus Heavenly
Creatures wie aus
dem Gesicht geschnitten ist.
Und doch spürt man als Zuschauer
bei Water Lilies jede Erwartung vom traditionell süßlichen
und provozierend konfliktlosen Coming-Out-Film langsam und unwiderruflich ins
Leere abgleiten: Unterschwellige Synthesizermusik und verschwörerische
Kamerawinkel weisen von Anfang an darauf hin, dass dies auch eine Geschichte
über Voyeurismus ist: Wenn die zurückhaltende Marie bewegungslos im
Wasser abtaucht wie einst Dustin Hoffman in Die
Reifeprüfung,
dann nicht aus philosophischer Selbstentfremdung, sondern weil sie den muskulösen
Bewegungen der Synchronschwimmerinnenbeine zuschauen will. Und sie macht dort
keineswegs halt: Ohne genau definiertes Ziel verschafft sie sich Zugang zu Florianne,
diesem obskuren Objekt ihrer Begierde, erst im Training, dann auf Parties, und
ehe sie es sich versieht, sitzt sie auf deren Bett. Es ist dieser Moment, an
dem sie ebenso wie der Zuschauer bemerkt, dass sie erstens keine Ahnung hat,
was sie da eigentlich will, und zweitens plötzlich nicht mehr sicher ist,
welche Rolle Florianne bei der ganzen Geschichte eigentlich spielen möchte.
Wie jede Voyeurin strebt Marie erstmal unter die Dusche und muss tief durchatmen,
als könnte sie sich von ihren Begierden reinigen.
Geschickt sorgt das vieldeutige Drehbuch
und die sogartige Inszenierung von Sciamma dafür, dass man als Zuschauer
nie sicheren Boden unter den Füßen spürt: Es entwickeln sich
kleine, gemeine Machtspiele, und schnell weiß man nicht mehr, wer hier
wen ausnutzt. Denn die drall-blonde Florianne widersetzt sich dem Klischee der
außen männerfressenden, innen verletzlichen Prinzessin. Und das Problem
der schüchtern-schwarzhaarigen Marie ist nicht ihre unerwiderte Liebe,
sondern der Umstand, dass sie jeder sehen kann, wenn sie unbeweglich in der
Ecke sitzt und minutenlang mit gesenktem Kopf Florianne anstiert.
Die beiden jugendlichen Darstellerinnen
balancieren hier auf sehr hohen, gefährlichen Seilen, und dass sie in keinem
Moment abstürzen, bleibt als erstaunliche Leistung im Kopf. Vor allem Pauline
Acquart arbeitet mit einer geradezu martialischen Maske aus Verwirrung, Anstrengung
und Selbstbeherrschung, die jederzeit zu explodieren droht. Indem sie ihre Figur
stets im schweigsamen Zwielicht hält, meistert Acquart auch extreme Szenen
wie jene, in der Marie Floriannes Mülltonne durchwühlt, um etwas mit
dem Geruch der anderen daran zu finden, ein Taschentuch, eine Coladose, ein
fauliger Apfel, den die Geliebte im Mund hatte, egal. Was als romantische Komödie
begann, wird zunehmend ein Fall für den Stalker-Paragraphen. Aber selbst
diese Erwartung umgeht der Film geschickt: Niemand hier erfüllt irgendwelche
Klischeevorstellungen.
Sciamma folgt in extrem langen POV-Aufnahmen
dem Blick Maries, lässt uns an ihrem zunehmend unheimlichen Voyeurismus
teilhaben und unterläuft so geschickt den vermeintlichen Voyeurismus des
Zuschauers. Zudem entgeht sie der Ästhetisierungsfalle der meisten Lesbenfilme
durch mutige Entscheidungen bei der Bildkadrierung und Motivsuche. Statt romantischer
Vorstadt gibt es hier dunkle Tiefgaragen und labyrinthische Häuserreihen;
aber nirgends trifft Sciamma die Beklemmung unter einer scheinbar perfekten
Oberfläche besser als bei ihrer Darstellung des Synchronschwimmens: Water Lilies
ist auch die Studie einer absurden Subkultur von wasserfester Schminke, eingefetteten
Haaren und rasierten Bikinizonen. Die Schwimmszenen werden meist ohne Musik
gezeigt, und die Kamera geht viel zu nahe ran, um die Schönheit der Busby
Berkeley-Choreographien zu würdigen. Statt dessen
sieht man angestrengte Grimassen und Nasenklammern auf Mädchengesichtern,
die ohne ersichtlichen Grund bizarre und ruckartige Bewegungen vollführen.
Man hätte es am Originaltitel, der
übersetzt »Die Geburt der Tintenfische« heißt, ablesen
können: Water Lilies ist kein Feelgoodfilm, sondern einer
dieser äußerst seltenen klugen und schonungslos ehrlichen Liebesfilme:
Niemals wird die Möglichkeit der Demütigung ignoriert, der man sich
mit jeder vermeintlich romantischen Handlung aussetzt, niemals wird verleugnet,
dass man sich hier im Bereich der menschlichen Extremzustände befindet.
Es ist die Geschichte einer Öffnung, die Geschichte einer Geburt, eines
unsicheren Vorwagens. Marie taucht ab, dann taucht sie wieder auf. Beides war
eine gute Entscheidung, aber dies ist kein Film, der einem vormachen wollte,
dass man dabei nicht nass wird.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Water Lilies
Naissance des pieuvres. F 2007. R,B: Céline Sciamma. K: Krystel Fournier. S: Julien Lacheray.
P: Balthazar Productions u.a. D: Adele
Haenel, Louise Blachère, Pauline Acquart, Warren Jacquin, Serge Brincat
u.a.
81 Min. Pro-Fun ab 3.7.08
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