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Waterworld
WATERWORLD,
von dessen Produktion immer neue ökonomische und persönliche Katastrophenmeldungen
kamen, wurde zum teuersten Unternehmen der Traumfabrik bis dato, ohne daß
irgendjemand übermäßigen Enthusiasmus entwickelt hätte,
und das Kinoeinspiel nach zwei Wochen - 45 Millionen Dollar - deutet nicht darauf
hin, daß er in die Gewinnzone kommt, BATMAN 3 hat schon am ersten Wochenende
52,7 Millionen eingespielt. Bei WATERWORLD war auch kein egomanisches Dreiviertelgenie
wie Michael Cimino bei HEAVEN'S GATE am Werk, sondern ein biederer Handwerker
wie Kevin Reynolds, der obendrein schon ein paarmal mit dem Star und Mitproduzenten
des Films, Kevin Costner, zusammengearbeitet hat und für überschaubare
Verhältnisse von Aufwand und Schauwerten bekannt ist. Budget und Produktionsumstände
dieses Films sind vielleicht ganz einfach nur aus Versehen entgleist, das augenfälligste
Symptom für eine tiefergreifende Krise der Filmproduktion für den
globalen Markt. Sein kulturelles und wirtschaftliches Vergehen ist seine Lust
an der Materialität, seine Kulissen sind richtig gebaut, nicht digitalisiert
(auch wenn der Film auf diese Art von make
believe
nicht ganz verzichten wollte), und er möchte sein Element, das Wasser,
in jeder Form spürbar machen.
Es
ist ein durchaus vergnügliches Spiel, das da beginnen will: der Planet,
der das Universal-Logo bildet, beginnt sich zu verwandeln, das Land, das Eis
verschwindet, die Erde wird zur „Waterworld". Dann sehen wir einen Mann,
der versonnen in ein Glas pinkelt, während sein Schiff
in den Wellen sanft schaukelt. Dann schüttet er seinen Urin in eine Maschine,
die daraus Trinkwasser macht, das der Held, es ist Kevin Costner, dann gleich
wieder zu sich nimmt. Es lebe die Recycling-Idee!
Dieser
Mariner ist scheinbar ziellos in der Wasserwelt unterwegs, ein Trapper und Händler,
den nichts so schützt wie seine vollkommene Autonomie. Er ist ein Held
höchstens für sich selbst, alles andere interessiert ihn, wie weiland
den Fremden ohne Namen, mit dem ihn überdies sein maskenhaftes deadpan-Gesicht
verbindet, nicht im geringsten. Einsam schippert er mit seinem aus blechernem
Abfall zusammengeflickten, mit allerlei raffinierten Gadgets ausgestatteten
Katamaran über das Meer und trifft auf andere Einsame, die meisten von
ihnen sind böse und verrückt. Was er anzubieten hat, ist das Wertvollste
in dieser nachapokalytischen Welt: Erde. In einem ebenfalls aus Schrott zusammengesetzten
befestigten Atoll handelt er sich damit einerseits ein Tomatenpflänzchen
und andererseits eine Menge Ärger ein, übersteht knapp einen furiosen
Angriff der Bösewichte, die „Smokers" heißen und tatsächlich
von ihrem üblen Anführer (Dennis Hopper) bis zum kleinsten und gemeinsten
Mann an Filterzigaretten aufs Lungenschädlichste was wegpaffen (ich frage
mich, woher das Zeug in dieser Welt stammen mag, in der jedes Pflänzchen
eine ungeheure Kostbarkeit darstellt). Ansonsten sind sie eine Art Hell's Angels
auf Wasserskiern und allen möglichen hochseetauglichen Fortbewegungsmitteln.
Nach
der großen Escape-Szene hat der Held ein kleines Mädchen und eine
junge Frau am Hals. Die heilige Familie des Abenteuerfilms wäre mal wieder
komplett, und wie wir es aus den entsprechenden Genres gewohnt sind, hat der
Held so seine Schwierigkeiten damit, diese Familie zu akzeptieren. Das Mädchen
Enola (Tina Marjorino) verschmiert sein Boot mit Kreidezeichnungen, und die
Frau (Jeanne Triplehorne) stellt moralische und emotionale Anforderungen, die
dem Mariner eher suspekt sind. Das Mädchen trägt überdies als
Tätowierung auf dem Körper einen Lageplan von einem Stück festen
Landes. Deswegen sind die Smokers hinter ihr her, und deswegen muß noch
viel gekämpft und geschossen und geflohen werden. Der Mariner verliert
sogar sein Schiff, und beim großen Endkampf muß der verrottete Supertanker
in die Luft gejagt werden, auf dem die Piraten ihr Hauptquartier haben (und
dessen Namen wir im Augenblick des Untergangs lesen können: Exxon Valdez),
bevor das Land schließlich tatsächlich gefunden wird. Das ist nun
wirklich das Paradies und macht vielleicht deswegen die ganze mythische Konstruktion
der Story kaputt: der McGuffin offenbart sich als Kitsch. Aber der Mariner,
man kennt das ja, muß wieder weg; er ist irgendwie für das Leben
auf dem Meer geboren, so daß auch die Frau nur mit großen braunen
Augen ziemlich traurig, aber verständnisvoll übers Meer schauen kann.
WATERWORLD
ist so etwas wie MAD MAX - BEYOND THUNDERDOME auf dem Wasser, der vor allem
deswegen so großartig funktionierte, weil er nichts anderes als ein verkleideter
Western war. Entsprechend ist WATERWORLD gleich ein mehrfach verkleideter Western.
Der einsame Cowboy, das Fort, der Indianerüberfall, die zögernde Liebesgeschichte,
die mit einem Gespräch am Lagerfeuer beginnt, die boy-hero-Beziehung,
die sympathischerweise mal eine girl-hero-Beziehung
ist, der Zwang des einsamen Helden, weiterzuziehen. Man könnte es sich
so richtig gemütlich machen: Alles da. Der Mariner, den Kevin Costner als
reduktionistische Variante aller seiner Helden, von Robin Hood bis Wyatt Earp,
gibt, ist eine Melange aus dem klassischen und dem Spät-Helden: Er ist
noch der große Problemlöser, auch wenn er eigentlich gar nichts anderes
im Sinn hatte, als allein und frei übers Wasser zu gleiten und ab und zu,
schließlich sind ihm ja schon Kiemen gewachsen, zu den versunkenen Städten
hinabzutauchen. Aber er ist auch ein ziemlicher Neurotiker, der niemandem trauen
kann und der folgerichtig dann auch nicht recht zum neuen Adam taugen will.
WATERWORLD
könnte eigentlich ein Film von durchaus ausreichendem Unterhaltungswert
sein, ein gigantischer Kindermatinee-Spaß mit einem Endzeit-Peter-Pan
und einem Bösewicht, der Captain Hook und Smutje in einer Person ist. Ein
bißchen Robinson Crusoe, ein bißchen „Submariner"-Comics, ein
bißchen „Road Warrior", ein bißchen Tarzan, Wildtöter,
Django und Robin Hood, ein bißchen Shane und ein bißchen Moses,
ein bißchen PLANET DER AFFEN und ein bißchen „Schatzinsel",
die Rekonstruktion des Helden aus dem Geist der Recycling-Ära, ein reiner
crowd-pleaser
wie Costner sagt, ohne jeden Anflug von Selbstreferenz und -zweifel, wie noch
in WYATT EARP. Aber dafür ist der Film dann doch immer wieder zu brutal,
zu unübersichtlich, zu sophisticated (besonders Dennis Hopper hat ein paar
wirklich komische Dialogzeilen). Und das will uns schon etwas sagen, daß
der teuerste Film aller Zeiten einer ist, in dem vor allem Schrott vorkommt.
Dieser Schrott ist nämlich unzweifelhaft echt, man könnte ihn, hat
man das Gefühl, jederzeit anfassen, und das ist, vielleicht, auch die visuelle
Philosophie von WATERWORLD, daß nämlich das wahre Abenteuer eine
Rückkehr zum Materiellen ist, zu einer Art der physischen Realität,
die im Kino schon so selten ist wie „dirt" in der Waterworld.
Aber
diese Rückkehr zu einer parodistischen Form der Errettung der physischen
Realität ist in sich gar zu grotesk. Wenn der Film wirklich 165 Millionen
Dollar gekostet hat, dann ist das genauso viel wie die Regierung pro Jahr im
Rahmen des National Endowment for the Arts ausgibt, was, wie wir wissen, vom
Kongreß noch einmal radikal gekürzt wurde. Nun ist ja Film Ware und
Kunst, na ja, irgendwie was anderes, aber solche Zahlenspiele lösen dennoch
ein gewisses Unbehagen aus. Geldbewegungen in dieser Größenordnung
werden zu Problemen zwischen Kultur und Volkswirtschaft. George Lucas, ausgerechnet,
hat die Kevin-Costner-Vehikel der letzten Zeit als typisch für die Fehler
der amerikanischen Filmindustrie bezeichnet und gefordert: „Weniger Geld, mehr
Phantasie!" Das sagt sich so leicht. Nicht die perfekte Illusion, nicht
noch eine Explosion, nicht noch ein Joyride durch Megacities machen das Kino
teuer, sondern Geschichten erzählen mit wirklichen Dingen, mit wirklichen
Elementen, zum Beispiel mit Wasser.
Aber
wahrscheinlich wird WATERWORLD nach und nach sein Geld schon einbringen, und
sei's als Teil von Universals Unterhaltungspark, sei es auf dem irgendwann „regulierten"
Videomarkt in China. Ruinös ist indes ja schon die Verlangsamung des Kapitalflusses,
ruinös ist vor allem eine Verknotung der Zeichen im semiologischen Internet.
WATERWORLD Ist recycled, aber selbst nicht recht recyclebar: Trash höherer
Kategorie. Wenn man ins Kino geht, in unseren Tagen, darf man sich als Teil
einer großen Ver- und Entsorgungsmaschine fühlen. Die Bilder werden
produziert, sie müssen verbraucht und ihre Rückstände beseitigt
werden. Das wird natürlich um so problematischer, je größer
die synthetischen Zusätze sind. WATERWORLD gibt sich da geradezu biologisch;
wir können, beinahe, immer unseren Blicken trauen. Der Entmaterialisierung
unserer Wahrnehmung wird kaum Vorschub geleistet, der Blick geht zurück,
hin zu einer, wenn auch ins Groteske verzerrten, topografischen, vertikalen
Welt-und Raumerfahrung (womit wir im übrigen auch wieder beim Western wären).
Man kann in diesem Film untersuchen, wie unwirklich bereits die materielle Existenz
von Dingen und von Räumen zwischen ihnen geworden ist, wenn es darum geht,
Geschichten in Bildern zu erzählen. Was Kevin-Costner-Filme so teuer macht,
ist ihre Altmodischkeit, und was zwischen DANCES WITH WOLFES und dem, vom selben
Kameramann fotografierten WATERWORLD geschehen ist, ist eine ungeheure Abnutzung
der materiellen Wahrnehmung einer schon wieder neuen Generation. Aber nur in
dieser materiellen Welt funktioniert der Schauspieler Costner, er ist einer
mit einem verschwitzten Hemd und mit den Spuren von Arbeit, keine Comic-Figur
wie Stallone, keine Glamour-Version des Männerkörpers, er braucht
den Geschmack von richtigen Dingen.
WATERWORLD
steht, „gebastelt" wie er ist, doch ganz allein, keine Comics- oder TV-Vorlage,
kein Sequel, kein Remake, kein BestsellerAutor im Hintergrund, keine Aussicht
auf gutverkäufliche Video-Spiele, novelisation,
Plastik-Figuren, Trading Cards. Nur
ein Kevin Costner, lost
in the seas.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
9/95
WATERWORLD
USA
1995. R: Kevin Reynolds. B: Peter Rader, David Twohy. P: Charles Gordon, John
Davis, Kevin Costner. K: Dean Semler. Sch:
Peter Boyle. M:
James Newton Howard. T:
Keith A. Wester. A: Dennis Gassner, David Klassen. Ko:
John Bloomfield. Visual Effects: Michael J. McAlister. Pg: Universal/Gordon
Co./Davis Entertainment/Licht/Mueller Film. V: UIP. L: 135 Min. St: 21.9.1995.
D: Kevin Costner (Mariner), Dennis Hopper (Deacon), Jeanne Tripplehorn (Holen),
Tina Majorina (Enola), Michael Jeter (Gregor), Gerard Murphy (Nord).
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