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Die
Weisheit des Blutes
Wer
einen guten Wagen hat, der braucht auch keinen Jesus. Genaugenommen braucht
er gar nichts weiter, denn der Wagen kann ihm Heim sein, treues Pferd, Altar.
Hazel Motes hat so einen Wagen und gemeinsam mit ihm will er den Klauen einer
verlogenen Religion entkommen – und mehr noch als ihr der Erinnerung an den
patriarchischen Großvater seiner Kindheit.
Kriegsheimkehrer
Hazel (vielsagend und tief, Brad Dourif) und sein Wagen machen eine anstrengende
Reise durch, in John Hustons (hier als Jhon) Spätwerk Wise
Blood aus dem Jahr 1979, immer umgeben und verführt von Menschen,
die den falschen Weg beschreiten, die sich für alles interessieren, nur
nicht für die Weisheit des Blutes und auch nicht für die Wahrheit.
Wertelos, verloren und ohne Zuhause, treibt Hazel in die Stadt, die große
Stadt, in der es viele Möglichkeiten gibt und große Einsamkeit. Zum
Ankommen hilft da erst einmal der Besuch bei einer dicken Liebesdienerin; die
ist zwar warm und neu, aber eigentlich ist Hazel auf der Suche nach einer Mission.
"I'm
not a preacher," sagt er noch zu Beginn, und von da sind es nur wenige Schritte bis
zu einer leidenschaftlich verfolgten Aufgabe. Hazel beschafft sich seinen Wagen,
den billigsten, den ersten, Hauptsache er hat Reifen und einen vollen Tank,
und macht sich auf zur Bekehrung der Welt. Die Welt allerdings ist verkommen,
unehrlich, von niederen Motiven getrieben, und auch Hazel und sein Wagen können
sich deren verwirrender Einflüsse nicht entziehen. Sie begegnen einer ganzen Palette von Charakteren,
die letztlich auf nichts anderes aus sind, als die Erfüllung ihrer eigenen
egoistischen Wünsche, Hoffnungen und Vorstellungen: Asa Hawks (Harry Dean
Stanton), der blinde Prediger, verkauft sich als Spektakel und ist ein verlogener
Heuchler. Sabbath Lily (kindlich verrucht, Amy Wright), seine Tochter, ist nicht
mit ihm verwandt und braucht nur jemanden, an den sie sich hängen, den
sie besitzen kann. Und ähnlich geht es der Vermieterin (Mary Nell Santacroce),
die Hazel durch Drohungen in ein Abhängigkeitsverhältnis drängen
will, das sie Ehe nennt. Von verwirrend rührender Naivität ist da
noch Enoch Emory (leichtfüßig, Dan Shor), doch auch er ist auf der
Suche nach einer Funktion, eher als nach einem Menschen. Enoch will Kontakt,
er will Kommunikation, und dazu will auch er Hazel. Als der sich ihm entzieht,
flieht er in die Fiktion, in die wohlgeordnete und verstehbare Welt des Filmes
und der Kindheit. Huston gesteht ihm das eine Zeitlang zu, spielt Slapstickmusik
und gibt Enoch als Riesenaffe Gonga Raum im Film. Letztlich freilich muß
er scheitern: auch mit bizzaren Riesenaffen will niemand ein vertrautes Treffen.
Letztlich
können auch Hazel und sein Wagen sich nicht mehr schützen vor dieser
Welt. Vor den offensiv vorgetragenen sexuellen Anzüglichkeiten der Kindfrau
Sabbath Lily brechen sie gemeinsam resigniert zusammen, dann werden sie noch
Komplizen im Todschlag. Die Flucht mag nicht gelingen, und so versinkt mit dem
Wagen auch Hazels Hoffnung in einem Weiher vor der Stadt, Opfer beide einer
willkürlichen und zerstörerischen, polizeilichen Autorität. Ohne
Wagen bleibt dem Prediger dann doch nur Jesus. Es schließt sich ein Kreis,
die Rückkehr in die religiös verklärte Kindheit ist vollzogen.
Hazel wird zum inneren Eremiten; genaugenommen nimmt er die Welt an und ernst,
und so verschließt er sich auch mit großer Kraft und Zielstrebigkeit
weiterer Kommunikation mit ihr. Alleine lebt Hazel in Wahrheit und Erkenntnis,
und als ihm diese zu genommen werden drohen, scheut er auch nicht vor dem letzten
Schritt zurück.
In
Wise Blood verbinden sich die Visionen eines alten Mannes, Huston, mit denen
einer jungen Frau, Flannery O'Connor, lupuskranker Autorin der Romanvorlage.
Beide haben einen Blick auf das Bizzare, das Absurde, und so gelingt eine Erzählung,
die zu tänzeln scheint zwischen Groteske, Slapstick, großem Schmerz
und tiefer Erkenntnis. Und wenn man sich fragt, wem sie denn nun letztlich zu
eigen
sei, jene besondere Weisheit, die Weisheit des Blutes, dann mag man ohne Zögern
sagen: den Autoren doch.
Christina
Hein
Die
Weisheit des Blutes
Wise Blood.
USA,
1979. R: John Huston, B: Benedict Fitzgerald, Flannery O'Connor (Roman), K:
Gerry Fisher, S: Roberto Silvi, P: Kathy Fitzgerald, Michael Fitzgerald, D:
Brad Dourif, Jhon Huston, Dan Shor, Harry Dean Stanton, Amy Wright, Mary Nell
Santacroce, Ned Beatty, William Hickey u.a. 108 min.
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