zur startseite
zum archiv
Der
Weiße mit dem Schwarzbrot
Wer war noch gleich Christof Wackernagel?
„Christoph (sic!) Wackernagel, geboren am 27. August 1951, stammt aus einer
fünfköpfigen Familie. Seine gymnasiale Schulausbildung brach er vorzeitig
ab. Dafür konnte er jedoch bald als Nachwuchsschauspieler und -regisseur
reüssieren.“ So heißt es bei Tobias Wunschik („Baader-Meinhofs Kinder.
Die zweite Generation der RAF“, 1997); mehr erfährt man in Jonas Groschs
eigenwilliger Dokumentation. Wackernagel spielte 1966/67 die jugendliche Hauptrolle
in Johannes Schaafs „Tätowierung“ (fd 14 840) und danach immer mal wieder
den jugendlichen Rebellen, etwa 1969 in Michael Verhoevens „Der Bettenstudent
oder: was mach’ ich mit den Mädchen?“ (fd 16 540). War Wackernagel, wie
Grosch per Insert behauptet, damals ein „Star“? Seine Biografie führte
ihn über Schwabing ins Baseler Drogenmilieu, wo er wegen Rauschgiftschmuggels
ein halbes Jahr einsaß. Nach einer psychotherapeutischen Betreuung gründete
er mit Freunden in Stuttgart 1970 die linke „Fantasia“-Druckerei, drehte Agit-Prop-Filme
und engagierte sich in der Roten Hilfe gegen die Isolationsfolter der RAF-Gefangenen.
Später verrichtete er Hilfsdienste im Stuttgarter Anwaltsbüro Croissant
und tauchte Anfang 1977 in den linksterroristischen Untergrund ab. Im November
1977 wurde er mit Gert Schneider nach einem Schusswechsel mit der Polizei in
Amsterdam verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Dort begann
Wackernagel mit dem Schreiben, veröffentlichte 1984 den Erzählungsband
„Nadja“, sagte sich von der RAF los. 1986 kam er in den offenen Vollzug, arbeitete
als Regie- und Dramaturgieassistent am Bochumer Schauspielhaus. Nach der Haftentlassung
arbeitete er für Fernsehen („Ins Blaue“, „Grüß Gott, Herr Pfarrer!“)
und Film („Der bewegte Mann“, „Männerpension“). Seit einigen Jahren lebt
Wackernagel in Bamako (Mali), um zu schreiben, Musik zu machen und sich in pragmatisch
durchführbar scheinende Projekte zu verstricken.
Diese ungewöhnliche, abenteuerliche
Biografie liefert den Hintergrund für den sichtbar gering budgetierten
Porträtfilm, der Wackernagel in Bamako aufsucht, ihn reden lässt und
ihn in seinem Alltag beobachtet. Die Perspektive des Protagonisten wird nicht
durch Dokumente illustrativ angereichert; auch spart sich der Filmemacher kritische
Fragen. So ergibt sich ein eigentümliches Bild: Christof Wackernagel lacht
gerne und viel, kann sich aber immer über die ungerechte Weltordnung echauffieren.
Dabei, so Wackernagel, wäre doch alles ganz einfach, viele Lösungen
lägen auf der Straße. Wenn Wackernagels Projekte dann doch immer
wieder scheitern, sieht er darin zumindest die Möglichkeit, aus Fehlern
zu lernen. Einerseits beklagt er sich bitter, dass er in der bundesdeutschen
Öffentlichkeit stets als „Ex-Terrorist“ wahrgenommen werde, andererseits
ist sein Auftreten nicht gänzlich frei von der Eitelkeit dessen, der seine
bürgerliche Existenz schon einmal in die Waagschale geworfen hat. Doch
die Alternative „Hollywood oder RAF?“ stellt sich längst nicht mehr, jetzt
macht Wackernagel in Bamako seine Erfahrungen. Um es mit seinem „Freund“ und
Mitmusiker Mamadou Coulibaly zu sagen: „Er möchte Afrikaner sein, aber
das ist schwierig.“ Einmal erzählt Wackernagel, eingebunden in ein zorniges
Plädoyer zur Abschaffung von Luxus-Geländewagen im Einsatz internationaler
Hilfsorganisationen, wie er und eine Bekannte von einem vorbeirauschenden Fahrzeug
bespritzt wurden: „Da dachte ich mir, zum Glück bin ich Neger – und nicht
so ein Arsch!“ Der Film registriert solche „Fehlleistungen“, lässt sie
aber unkommentiert. Vielleicht interessieren sie ihn auch nicht.
Bei genauerer Betrachtung entwickelt der
schmucklose Film einen erstaunlichen Reichtum: Der Filmemacher lässt seinen
Protagonisten zwar reden, kontrastiert aber
dessen Einsichten immer wieder durch Interviews mit jenen Malinesen, die auf
Wackernagels euphorischen Idealismus treffen. Manchmal – besonders befremdlich
– lässt der Filmemacher ihn auch reden und blendet Musik darüber,
lässt das Bild des gestikulierenden Projektemachers aber noch weiterlaufen.
Erfährt man dann noch (allerdings nicht im Film), dass Jonas Grosch ein
Neffe von Christof Wackernagel ist, bekommen diese Momente des offensiven Wegblendens
eine neue Qualität: Man meint, mit Händen greifen zu können,
wie sich hier jemand ein stimmiges Weltbild „bastelt“, um zu überleben.
Wackernagel berichtet auch, und dies ist der intensivste Moment des Films, der
eine engagierte Nachfrage gebraucht hätte, wie auf den theoretischen Zusammenbruch
seines politischen Weltbilds mit Verzögerung der emotionale Zusammenbruch
folgte. Von den konventionellen Veteranen-Erzählungen von Ex-Terroristen
der letzten Jahre hebt sich der Film ab, weil hier keine alten Kampfgefährten
vor die Kamera gezerrt, keine Gloriolen vergangener Kämpfe geflochten werden,
keine Revolutionsnostalgie betrieben wird. Stattdessen erzählt der Film
davon, wie jemand ein beschädigtes Leben lebt, wie aus Fehlern gelernt
wird und dabei immer wieder neue Fehler gemacht werden. Auf ganz andere Weise
geht hier „der Kampf weiter“, und dabei zuzusehen ist mitunter ganz schön
gruselig. Obwohl wir nicht ausschließen möchten, dass Christof Wackernagel
heute relativ glücklich ist. In Bamako, Mali.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Der
Weiße mit dem Schwarzbrot
Deutschland 2006 - Regie: Jonas Grosch - Darsteller: (Mitwirkende) Christof Wackernagel - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 73 min. - Start: 12.6.2008
zur startseite
zum archiv