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Weizenherbst
Zwei
für Ozu recht ungewöhnliche Einstellungen, eine zu Beginn, eine gegen
Ende. Am Anfang: Eine Totale auf ein kleines Tal, einen durchfahrenden Zug,
ein Landschaftsbild weit jenseits allen Menschenmaßes - jedoch nicht nach
Art der sonst kontrapunktisch zwischen die Geschehnisse geschobenen Aufnahmen
von Wäldern oder Bäumen, die beinahe abstrahiert sind zu Bildern der
Natur. Sondern etwas, das es sonst kaum gibt, ein Rückzug aus den Verflechtungen
der Menschen, ein Blick von Nirgendwo; das wird sich nicht wiederholen in dem
Film, der sonst ganz auf die Familie Mamiya konzentriert bleibt, einzig das
Schlussbild scheint ein leises Echo dieser Abstandnahme. Die zweite ungewöhnliche
Einstellung ist beinahe so etwas wie das Gegenteil der ersten; sie zeigt Noriko
(Setsuko Hara) und ihre Schwägerin am Strand, von hinten, die Kamera schwenkt
nach oben, höher und höher, affiziert in der eigenen Bewegung auch
den Betrachter, es ist eine Szene der Versöhnung, des beginnenden Verständnisses.
Das
Problem Norikos ist vertraut: sie ist 28, sie soll verheiratet werden, ihr Chef
will die Ehe mit einem Jugendfreund arrangieren. Noriko zögert, sträubt
sich, ihr Bruder Koichi (Chishu Ryu) drängt sie, aber auch die Eltern,
mit denen Noriko ebenso wie mit Koichi und seiner Familie - darunter zwei höchst
ungebärdige Söhne - unter einem Dach lebt, verlieren langsam die Geduld.
Beinahe vollständig verbleibt (mit der einen großen Ausnahme) der
Film in der Sphäre der Familie Mamiya; ein Einschnitt, den sie erlebt hat,
wird mehrmals erwähnt: Shoji, ein weiterer Sohn, ist im Zweiten Weltkrieg
ums Leben gekommen. Am Anfang kommt ein tauber und halb seniler Großonkel
zu Besuch, die Kinder treiben schlechte Späße mit ihm. Weit spannt
Ozu die Darstellung, drei Generationen leben hier miteinander, stehen gegeneinander.
Die alle Konvention unterwandernden, sich keinem Befehl unterordnenden Kinder,
die in leiser Trauer befangenen Großeltern, die Zwischengeneration mit
Noriko, die an der Schwelle steht - und wenn sie sie überschreiten wird,
wird auch die Familie auseinanderfallen. Die Großeltern sehen wir zweimal
im Gespräch, wir haben ein glückliches Leben geführt, sagt, beim
ersten Mal, der Mann. Es hätte glücklicher sein können, meint
sie. Es folgt ein Blick in den Himmel, in dem, weit oben, ein Luftballon schwebt.
Lange verharrt der Blick darauf. Irgendwo, sagt der Mann, ist ein Kind jetzt
unglücklich. Später, wieder die beiden. Sie: Wir haben ein glückliches
Leben geführt. Er: Es hätte glücklicher sein können. Norikos
Abschied steht jetzt bevor, die Großeltern werden Tokio verlassen müssen,
die Familie löst sich auf. Bakushu ist also auch die Darstellung eines
letzten Moments, dem sein Vorübergehen als Melancholie wie als Spannung
zwischen die Zeilen des Gezeigten und des Gesprochenen geschrieben steht. Charakteristisch
eingefangen wird dieser Moment - wie in "Brothers and Sisters of the Toda
Family", nur steht er da am Anfang, hier am Ende - in einer Fotografie:
die ganze Familie in einem Bild, ein letztes Mal, vielleicht.
Was
das Glück ist, was die Liebe und wie das eine sich, auf Dauer, zum anderen
verhält: diese Fragen durchziehen, wie ein ums andere Mal eigentlich alle
späteren Ozu-Filme, auch "Bakushu". Noriko gibt darauf eine Antwort,
es ist nicht die von der Konvention erwünschte. Sie heiratet nicht den
wohlhabenden Mann, den der Chef ihr vorgeschlagen hat, den wir nicht zu sehen
bekommen, sondern Yabe, den Assistenten ihres Bruders, der soeben eine Stelle
im weit entfernten Akita angenommen hat. Er ist Witwer und hat eine kleine Tochter;
nicht zuletzt finanzielle Probleme sind es (ausdrücklich spielen sie hier
immer wieder eine wichtige Rolle), die gegen diese Verbindung sprechen. Noriko
aber setzt sich durch. Liebst du Yabe, fragt ihre letzte noch ledige Freundin
(auch der Freundeskreis aus Schulzeiten ist dabei, sich aufzulösen)? Nein,
meint Noriko, es ist noch nicht Liebe. Eine Frage der Zeit, meint die Freundin.
Das Glück ist bei Ozu keine Sache der Überwältigung, der ersten
Blicke, des Außergewöhnlichen. Glück ist dann, ließe sich
vielleicht sagen, wenn man es nicht merkt.
Die
letzte Einstellung. Die Kamera fährt ein wogendes Feld entlang. Weiter
geschieht nichts. Das wogende Feld, die Bewegung der Kamera, dazu nur die Musik.
Diese Kritik ist zuerst
erschienen in:
Weizenherbst
BAKUSHU
Early
Summer
Japan
- 1951 - 125 min.
Verleih:
offen
Erstaufführung:
5.7.1972 BR III
Produktionsfirma:
Shochiku
Regie:
Yasujirô Ozu
Buch:
Yasujirô Ozu, Kôgo Noda
Kamera:
Yûshun Atsuta
Musik:
Senji Ito
Darsteller:
Setsuko
Hara (Noriko Mamiya)
Chishû
Ryû (Kôichi Mamiya)
Chikage
Awashima (Aya Tamura)
Kuniko
Miyake (Kôichis Frau)
Ichiro
Sugai (Norikos Vater)
Chieko
Higashiyama (Norikos Mutter)
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