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Weltverbesserungsmaßnahmen
Auf
einen Schlag
Wie
Deutschland zu retten ist
Ob
Parteien, Gewerkschaften oder Unternehmer - in Deutschland haben alle ihre eigenen
Strategiepapiere, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Aber auch die Amateurpolitiker
an Kneipentresen und Kantinentischen sind ein nicht zu vernachlässigender
Kreativpool. Dem typisch deutschen Nörgler steht immer öfter der ebenso
typisch deutsche Weltverbesserer gegenüber, der sein Patentrezept zur Rettung
der Gesellschaft mit idealistischem Pathos vertritt.
In
Jörn Hintzers und Jakob Hüfners Episodenfilm Weltverbesserungsmaßnahmen versammelt
sich ein ganzes Arsenal von kauzigen Individualisten, die den Weg aus der Misere
weisen wollen. Da ist etwa die "Aktive Krankenversicherung", in der
sich die Patienten selbst zu Ärzten ausbilden und gemeinsam ihre erste
Blinddarmoperation durchführen. Oder eine "Regionalgeldinitiative",
die mit einem einfachen Tintenstrahldrucker Euro-Scheine mit einem sich immer
weiter ausbreitenden Zerfallspunkt versieht, was den Geldumlauf beschleunigen
und die Wirtschaft in der Region Lausitz ankurbeln soll. Ein idealistischer
Sohlenerhöher hat sich der Gleichstellung verschrieben und bringt die Menschen
durch individuell gefertigte Plateau-Schuhe auf die einheitliche Körpergröße
von 1,90.
Im
Pseudo-Doku-Verfahren haben Hintzer und Hüfner ihren Episodenfilm zusammengestellt
und versuchen, jeder Teilgeschichte auch filmästhetisch eine eigene Handschrift
zu verleihen. Ironische Anleihen am TV-Reportage-Stil und Werbefilm-Stereotypen
verstärken die komischen Effekte.
Weltverbesserungsmaßnahmen hat
nicht ganz den satirischen Biss von etwa Muxmäuschenstill. Trotzdem
beschreibt dieser Film in grotesker Weise den verwirrten Geisteszustand, in
dem sich dieses Land im Zeichen von Arbeitslosigkeit, Gesundheitsreform, Hartz-Hysterie
und Ich-AG-Wahn befindet. Das Bedürfnis nach einer rettenden Idee, das
bis in die späten 80er noch in linken Ideologien und Alternativbewegungen
gebündelt wurde, ist heute eine rein individuelle Angelegenheit. Typisch
deutsch ist dabei die Sehnsucht nach monokausalen Denkmodellen, die die Probleme
unserer Zeit auf einen Schlag erklären und lösen wollen. Weltverbesserungsmaßnahmen ist
ein urkomischer, intelligenter und politisch hochaktueller Film, eine Perle
des deutschen Low-Budget-Kinos.
Martin
Schwickert
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ULTIMOs Film-Kritik-Archiv
Weltverbesserungsmaßnahmen
Deutschland
2005 - Regie: Jörn Hintzer, Jakob Hüfner - Darsteller: Thomas Schmieder,
Rüdiger Klink, Max Mauff, Harald Schrott, Claudia Geisler, Andreas Nickl,
Katja Rosin, Jan Schütte - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
88 min. - Start: 11.8.2005
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