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Wenn
die Gondeln Trauer tragen
Daphne
Du Mauriers phantastische Kurzgeschichten und Romane kamen zu filmischen Ruhm
vor allem durch Altmeister Alfred Hitchcock, der einige ihrer Werke in spannende
Thriller umsetzte, zu erwähnen wären vor allem "Die
Vögel"
oder "Rebecca".
1973 adaptierte Nicolas Roeg, vorher Kameramann für Truffaut, Lean und
Corman, ihre Kurzgeschichte "Don't look now". Er kreierte daraus einen
fesselnden Mysterythriller, der zweifelsohne zu einem der beklemmendsten Erlebnisse
der Filmhistorie gehört.
Erzählt
wird die Geschichte des britischen Ehepaares Laura und John Baxter, die vor
kurzem den tragischen Tod ihrer jungen Tochter Christine zu beklagen hatten.
Während John sich mit dem puren Fakt des Todes abgefunden hat, ist Laura
immer noch labil und nimmt Pillen gegen die Depressionen. Um eine andere Umgebung
zu sehen, sich zu rehabilitieren, nimmt John einen Job als Restaurateur in Venedig
an. Doch die Vergangenheit holt sie ein, als Laura in einem Restaurant auf das
Schwesternpärchen Heather und Wendy trifft. Die blinde Heather behauptet,
sie habe das Zweite Gesicht, und könne mit den Toten kommunizieren. Halbgare
Nachrichten von Gefahr überbringt das skurrile Medium der faszinierten
Laura, die fortan ein ganz anderer Mensch zu sein scheint. Sie scheint der psychischen
Gabe der beiden Frauen verfallen zu sein. John fürchtet einen Zusammenhang
mit dem Serienkiller, der derzeit in Venedig umgeht.
Das
alles wird relativ kompliziert, und das polarisierende Ende soll an dieser Stelle
nicht verraten werden. In "Wenn die Gondeln Trauer tragen" geht von
überall Misstrauen und Düsterheit aus. Roeg inszeniert fast jede Figur
des Films als vertrauensunwürdig und geheimnisvoll. Der Bischoff, der Hotelier,
der Polizeichef - sie alle sind weit von einem Sympathieträgerstatus entfernt
und machen insgesamt einen undurchschaubaren, mysteriösen Eindruck. Hinzu
kommt die Signalfarbe Rot, die sich wie der sprichwörtliche rote Faden
durch den ganzen Film zieht. Da wäre das Regencape der toten Christine,
das sie trug, als sie ertrank, das Muster auf dem Ball, mit dem sie spielte,
der Rotwein, der sich auf dem Dia ausbreitet, die Kerze, die in dem Schlafzimmer
des Bischofs steht. Zwischen den tristen, gedämpften Farben, die in dem
Venedig zu Wintereinbruch herrschen, ist das knallige Rot, die einzige Farbe,
die aus dem grau-braunen Brei hervorsticht. Ein Indikator für Gefahr in
diesem Falle.
Das
erwähnte rote Regencape taucht im Laufe des Films noch öfter auf.
John Baxter sieht seine tote Tochter des Öfteren in den verwinkelten Straßen
Venedigs umherlaufen. Seine durch Heather prophezeite Gabe für übernatürliche
Dinge ignoriert er zwar, jedoch wird ihm dies im späteren Verlauf des Films
zum Verhängnis. Wie wir erfahren, scheint er es hier mit etwas Übernatürlichem,
Unheiligen zu tun. Während des Showdowns wacht der Bischof aus dem Schlaf
auf, als würde er die Präsenz des Bösen spüren. Man beachte
auch den Passanten, der wiederholt "diavolo" schreit, oder die Kerze
zum Gedenken an Christine, die in der Kirche von Geisterhand ausgeblasen wird.
Auch Johns Beschäftigung mit einer gefälschten Kirche, und der Fortsetzung
seiner Arbeit daran, trotz seiner Bedenken gegenüber des mysteriösen
Bischofs, sind Faktoren, die beim Finale zu bedenken sind.
Roegs
Inszenierung ist visuell. Die umständlich verklausulierte Kurzgeschichte
kann man gar nicht plausibel auf die Leinwand bringen, und so vermeidet er es
auch tunlichst, uns mittels optischer Verfremdung, wie etwa gern benutzte Stilmittel
wie der Weichzeichner oder andere Farbfilter, mitzuteilen, wann wir Halluzinationen
sehen, und wann wir die Realität mitbekommen. Dadurch wird "Wenn die
Gondeln Trauer tragen" sicherlich schwerer, aber auch interessanter. Wenn
man die passenden Zusammenhänge zieht, dann offenbart sich durchaus ein
beachtliches Werk - auch auf inhaltlicher Ebene.
Der
visuelle Höhepunkt ist die skandalöse Sexszene, in der Roeg in spektakulärer
Offenheit seine Stars Donald Sutherland und Julie Christie nackt und in wildem
Rausch offenbart. Die schnell, aber doch sinnlich montierte Szene: Roeg schneidet
hier Vorspiel, den Liebesakt an sich, und das spätere Ankleiden in eine
einzige, gigantische Liebessequenz zusammen, die sofort, besonders in den USA,
für Furore sorgte. Dadurch, dass das Ankleiden und Schick machen der beiden
Protagonisten den schamlosen Ausschweifungen gegenübergestellt wurde, zeigt
Roeg den Sex als normalen, integralen Bestandteil der Ehe - das war zu viel
für das Amerika, das mit prüden Mütterchen á la Doris
Day aufgewachsen ist.
"Wenn
die Gondeln Trauer tragen" ist ein phantastischer, düsterer Mysterythriller
von unaufhaltbarer Spannung, trickreicher Bebilderung und wundervoller Musik
von Pino Donaggio. Nicolas Roeg machte sich mit diesem Film namhaft, schuf seinen
eigenen Klassiker, einen britischen Gruselthriller mit Niveau und optischer
Revolution.
Björn
Last
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Texte
Wenn
die Gondeln Trauer tragen
Originaltitel:
Don't look now. Großbritannien/Italien,
1973. Regie: Nicolas Roeg. Drehbuch: Allan Scott, Chris Bryant (nach dem Roman
von Daphne Du Maurier). Produktion: Peter Katz, Frederick Muller, Anthony B.
Unger. Kamera:
Anthony B. Richmond, Nicolas Roeg. Schnitt:
Graeme Clifford. Musik:
Pino Donaggio. Darsteller: Julie Christie (Laura Baxter), Donald Sutherland
(John Baxter), Hilary Mason (Heather), Clelia Matania (Wendy), Massimo Serato
(Bischof Barbarrigo), Renato Scarpa (Longhi). Farbe.
110 Min.
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