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Wenn
die Gondeln Trauer tragen
"Dreh
dich nicht um"
Unbeschwertheit
steht am Anfang. Johnny (Nicholas Salter) und seine Schwester Christine (Sharon
Williams) spielen auf einer Wiese nahe des Anwesens ihrer Eltern Laura (Julie
Christie) und John Baxter (Donald Sutherland). Der Junge fährt mit dem
Fahrrad, das Mädchen in ihrem roten Cape spielt mit einem Ball. John schaut
Dias von einer Kirche an, Laura studiert ein Buch. So unbekümmert geht
es in Nicolas Roegs Film nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier - die
u.a. auch den Stoff für Hitchcocks "Die
Vögel",
"Rebecca"
und "Jamaica Inn" lieferte - nur noch einmal zu: in der berühmten
Liebesszene zwischen John und Laura in einem Hotel in Venedig, die zu einer
der berühmtesten Filmszenen dieser Art geworden ist.
Das
Glück und die Zufriedenheit der vierköpfigen Familie wird jäh
gestört, als John aufgrund einer Vorahnung plötzlich das Haus verlässt
und in panischer Angst zu einem kleinen See rennt, als ob es um sein Leben gehe.
Aber es geht um das Leben seiner Tochter, die er nicht mehr retten kann. Christine
liegt im See, ertrunken. Schreiend, schluchzend, verzweifelt holt John das tote
Mädchen aus dem See.
Bis
hierhin scheint der Film nichts weiter als eine "normale" Familientragödie,
und man könnte denken, es gehe jetzt um die Verarbeitung dieses schrecklichen
Ereignisses. In gewisser Weise ist dies auch richtig. Denn John nimmt eine Stelle
in Venedig an, dieser geheimnisvollen, einzigartigen, verwinkelten und von Wasser
umspülten Stadt. Der Winter bricht an, und John hat die Verantwortung für
die Renovierung einer kleinen Kirche in Venedig übernommen - auch um sich
und Laura Abstand von dem furchtbaren Tod der kleinen Christine zu verschaffen,
während Johnny für die Zeit der Arbeiten an der Kirche in einem Internat
in England untergebracht wurde.
Laura
und John lieben sich, und bis zum Schluss des Films spürt man die innige
Zuneigung der beiden. Die erwähnte Liebesszene besteht aus einer einzigartigen
Montage aus Vorspiel, Liebesakt und Ankleiden danach - und trotz der damaligen
puritanischen Proteste gegen den Film v.a. aus den USA handelt es sich eben
nicht um eine profane Sex-Szene, sondern wirklich um die Bebilderung der Liebe
zwischen den beiden, deren Entwicklung sich wie ein roter Faden durch den Film
zieht.
Der
andere - im wahrsten Sinne, weil durch die Farbe Rot repräsentierte - Faden
der Geschichte scheint dieser Liebe diametral entgegengesetzt. Er zieht sich
vom Tod des Kindes im roten Regencape über den Rotwein, der sich kurz danach
über einige Dias ergießt, den teilweise roten Ball des Mädchens
bis hin nach Venedig, wo man u.a. eine rote Kerze im Zimmer von Bischof Barbarrigo
(Massima Serrato) sieht, für den John an der Kirche arbeitet.
Dieser
zweite Faden der Geschichte ist durch Mysteriöses, letztendlich Unerklärliches
repräsentiert, durch Ereignisse und Personen, über deren Ursachen
bzw. Motive man zwar Spekulationen anstellen kann, die aber letztendlich zu
nichts führen. In Venedig treffen Laura und John auf zwei ältliche
Schwestern, Wendy (Clelia Matania) und die blinde Heather (Hilary Mason). Heather
erklärt Laura, Christine gehe es dort, wo sie jetzt sei, ausgezeichnet.
Sie habe immer noch ihr rotes Cape an. Heather scheint hellseherische Fähigkeiten
zu haben - das zweite Gesicht, wie Wendy sagt. Und Laura, die den Tod ihrer
Tochter noch lange nicht verkraftet hat, fängt an zu glauben, was Heather
behauptet: Sie könne Kontakt mit Christine aufnehmen. John hingegen hält
dies alles für Hokuspokus und befürchtet, Laura könne sich in
etwas Abstruses hineinsteigern.
Roeg
visualisiert ein düsteres, kaltes Venedig, was wiederum mit den Erinnerungen
der meisten Menschen an die Lagunenstadt kontrastieren muss, wenn es um den
weiteren Gang der Geschichte geht. Wir treffen auf merkwürdige Menschen:
einen Bischof, der an der Restaurierung "seiner" Kirche wenig Interesse
zeigt, einen zwielichtigen Kommissar und einen Hotelmanager, der auch nicht
unbedingt vertraueneinflößend wirkt. Doch nicht nur das. Unerklärliche
Geräusche während der Nacht, als sich Laura und John im Dunkeln verlaufen
haben, in die weitere Szenerie einmontierte, ganz kurze Szenen, in denen man
die beiden ältlichen Schwestern hämisch lachen hört, eine Seance
der beiden, an der Heather mitwirkt und nach der Heather Laura warnt, ihr Mann
sei in Lebensgefahr, wenn er in Venedig bleibe, ein Unfall des Sohnes in England,
der Laura veranlasst, Venedig zu verlassen, um dann feststellen zu müssen,
dass Johnny außer ein paar Kratzern nichts abbekommen hat - all diese
Kleinigkeiten verdichten sich in der Gesamtschau des Geschehens zu einem geheimnisvollen
Background, als ob sich hinter den verschlossenen Häusern, den hohen Gemäuern,
den dunklen und teils einsamen Winkeln der Stadt eine Verschwörung aus
dem Jenseits abspielen würde.
Als
dann John trotz der Abwesenheit Lauras in England sie und die beiden älteren
Damen auf einem Boot sieht - zusammen mit einem Sarg -, kommt in John der Verdacht
auf, die beiden Frauen seien möglicherweise in die Mordserie verstrickt,
die in Venedig schon mehrere Opfer gefordert hat. Ein Sturz Johns von einem
Baugerüst in der Kirche, bei dem er nur knapp dem Tod entkommen kann, untermauert
die Prophezeiung von Heather.
Aber
es kommt noch schlimmer.
In
"Don't Look Now" verarbeitete Roeg die verwirrende Kurzgeschichte
der Daphne du Maurier zu einem zumeist undurchschaubaren Spiel, in dem zwischen
Phantasie, Realität, Sinnlichem und Übersinnlichem nicht zu unterscheiden
ist. Dabei gelingt es Roeg, das Spiel mit menschlichen Ängsten, wie es
du Maurier in vielen ihrer Geschichten betreibt, visuell beeindruckend umzusetzen.
Die Angst in "Don't Look Now" korrespondiert dabei mit Bruchstücken
von Erinnerung (etwa wenn John an die ertrinkende Tochter denkt oder Schritte
über Scherben). Ganz ähnlich wie in "Die Vögel" ist
es das Unerklärliche, ja Unwahrscheinliche und gleichzeitig doch nicht
Beherrschbare, Un-Fassbare, was sich wie ein schicksalhafter, ja böswilliger
Schleier über die Menschen legt - in "Die Vögel" eben eine
kooperativ auftretende aggressive Schar von normalerweise harmlosen Singvögeln,
in "Don't Look Now" sehr viel weniger handgreiflich merkwürdige
Gestalten wie ein in rot gekleideter Zwerg bzw. vor allem das "zweite Gesicht",
d.h. die vermeintliche Fähigkeit sowohl Heathers, als auch Johns, zukünftige
Geschehnisse voraus zu ahnen, als real zu sehen.
Für
den Betrachter entsteht daraus eine schier nicht auszuhaltende Spannung zwischen
der Hoffnung, Laura und John könnten der Gefahr entrinnen, und dem zum
bitteren Ende sich entwickelnden Geschehen.
In
ähnlicher (wenn auch von der Geschichte her nicht in gleicher) Weise wie
Polanski in "Rosemary's
Baby"
(1968) montiert Roeg eine scheinbar nach vernünftigen, verstandesmäßigen,
logischen, aufgeklärten Regeln konstruierte Welt mit dem genauen Gegenteil:
dem Mysterium des nicht greifbaren Bösen, das sich in Angst und Tod manifestiert
und nicht kontrollierbar ist. Und wie Polanski, aber auch Friedkin in "Der
Exorzist"
(1973) setzt Roeg mit "Wenn die Gondeln Trauer tragen" in einer Phase
der "Restauration" einer vor allem technizistisch und rationalistisch
verstandenen "Aufklärung" (d.h. der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg)
ein Zeichen von Irrationalität - so, als ob erneut wie im 19. Jahrhundert
die Romantik ihre kritischen Fragen an den rationalistischen Diskurs der Aufklärung
stellen würde. Gerade die überdehnte Betonung der Vernunft als Weg
heraus aus Aberglauben, Irrtümern und Vorurteilen hin zu einem "golden
age of peace, harmony and tolerance" gegenüber der Bedeutung von Phantasie
und Emotion verursachte die Bewegung der Romantik als Gegenbewegung zur Aufklärung.
Besonders
in der phantastischen, erschreckenden und visuell exzellenten Schlussszene des
Films wird der Zweifel am "kritischem Rationalismus" jener Zeit (so
der Name jener streng rationalistisch argumentierenden Philosophie u.a. eines
Karl Popper in den 60er Jahren) und an den mathematisch operierenden (sozial-)
wissenschaftlichen Methoden der "empirischen Sozialforschung" jener
Epoche manifest, hinter denen nicht mehr und nicht weniger als ein kalter, emotionsloser
Fortschrittsglaube stand. Wenn der rote Zwerg in "Don't Look Now"
am Ende das Messer zieht, erscheint das vor diesem Hintergrund - trotz der Tragik
des Geschehens - wie ein fast schon ironischer Kommentar zur Zeit.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: http://www.follow-me-now.de
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Texte
Wenn
die Gondeln Trauer tragen
(Don't
Look Now)
Italien,
Großbritannien 1973, 110 Minuten
Regie:
Nicolas Roeg
Drehbuch:
Allan Scott, Chris Bryant, nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier
Musik:
Pino Donaggio
Kamera:
Anthony B. Richmond, Nicolas Roeg
Montage:
Graeme Clifford
Produktionsdesign:
Giovanni Soccol
Darsteller:
Julie Christie (Laura Baxter), Donald Sutherland (John Baxter), Hilary Mason
(Heather), Clelia Matania (Wendy), Massimo Serrato (Bischoff Barbarrigo), Renato
Scarpa (Inspektor Longhi), Leopoldo Trieste (Hotelmanager), David Tree (Anthony
Babbage), Ann Rye (Mandy Babbage), Nicholas Salter (Johnny Baxter), Sharon Williams
(Christine Baxter), Adelina Poerio (Zwerg)
Internet
Movie Database:
©
Ulrich Behrens 2005
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