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Wer
die Nachtigall stört
Tyger!
Tyger! burning bright ...
„Tyger!
Tyger!
burning bright
In
the forest of the night,
What
immortal hand or eye
Could
frame thy fearful symmetry?
In
what distant deeps or skies
Burnt
the fire of thine eyes?
On
what wings dare he aspire?
What
the hand dare seize the fire?”
(William
Blake, 1757 – 1827) (1)
Eine
Zigarrenkiste öffnet sich und offenbart uns u.a. ein zerbrochenes Taschenmesser,
ein paar Murmeln, einen Penny mit dem Abbild Lincolns, einen Stift, zwei geschnitzte
Figuren, eine weibliche und eine männliche, eine Münze mit einem kleinen
Indianerkopf und einige andere kleine Dinge, mit denen ein sechsjähriges
Mädchen spielt. Geheimnisvolles, ja Magisches und Verborgenes ist in diesen
Dingen, die zwei Kinder im Astloch eines Baumes gefunden habe. Jean Louise Finch
(Mary Badham) heißt das Mädchen, die so gar nicht sein will wie ihre
Altergenossinnen, die lieber in Hosen herum läuft und mit Jungen spielt
und sie manchmal auch verprügelt. „Scout” nennen sie alle, und sie hat
einen vier Jahre älteren Bruder, Jeremy, genannt Jem (Philipp Alford),
mit dem sie sich mal streitet, aber zumeist doch gut versteht.
Beider
Vater ist Anwalt, Atticus Finch (Gregory Peck), und er erzieht seine beiden
Kinder allein, nachdem die Mutter vier Jahre zuvor verstorben ist. Eine schwarze
Hausangestellte, Calpurnia (Estelle Evans), kümmert sich um sie, wenn Atticus
in seinem Büro arbeitet oder vor Gericht erscheinen muss. Wir befinden
uns in den 30er Jahren in dem kleinen Ort Maycomb in Alabama. Und für Scout
und Jem scheint die Welt in Ordnung, denn sie sind wohl behütet und haben
einen sie liebenden Vater.
Robert
Mulligan („Der Mann im Mond”, 1991) nahm sich 1962 des mit dem Pulitzer-Preis
ausgezeichneten, zwei Jahre zuvor erschienen Romans von Harper Lee an, der bis
heute in den Staaten eine Art Kult-Roman darstellt. Horton Foote schrieb – nach
anfänglichem Zögern, er könne dem Roman nicht gerecht werden
– das Drehbuch und Alan Pakula („Aus Mangel an Beweisen”, 1990; „Die Akte”,
1993) produzierte den Film, der zu einem Riesenerfolg wurde und drei Oscars
(u.a. für Gregory Peck) sowie fünf weitere Nominierungen sowie zwei
Golden Globes (Peck und Elmer Bernstein) errang.
Mulligan
hatte auch in der Besetzung des Films einen guten Riecher, denn neben Peck sorgen
die Jung-Stars Mary Badham, Phillip Alford und John Megna für ausgezeichnete
Leistungen. Auch die übrige Besetzung des Films kann sich sehen lassen.
„And
what shoulder and what art
Could
twist the sinews of thy heart?
And,
when thy heart began to beat,
What
dread hand and what dread feet?
What
the hammer? What the chain?
In
what furnace was thy brain?
What
the anvil? what dread grasp
Dare
ist deadly terrors clasp?” (1)
Mulligan
zeigt uns eine dieser typischen Kleinstädte im Süden der Staaten nach
der Weltwirtschaftskrise. Nur wenige weiße und kaum ein schwarzer Einwohner
verfügt über ausreichendes Einkommen. Scout und Jem haben es ein bisschen
besser als der Durchschnitt der Bevölkerung; am Sonntag gibt es schon mal
Rinderbraten.
Eines
Tages bittet Richter Taylor (Paul Fix) Atticus, den schwarzen Landarbeiter Tom
Robinson (Brock Peters) zu verteidigen. Robinson wird von dem verarmten Farmer
Ewell (James Andersen) und seiner Tochter Mayella (Collin Wilcox Paxton) beschuldigt,
Mayella brutal geschlagen und vergewaltigt zu haben. Ewell ist der Prototyp
eines Rednecks, d.h. eines jener verarmten weißen Südstaatler, die
ihren ganzen Hass über ihre eigene Situation auf Schwarze projizieren.
Sheriff
Tate (Frank Overton) muss Robinson im Gefängnis einer anderen Stadt unterbringen,
um sein Leben nicht zu gefährden.
Währenddessen
scheinen Scout und Jem ganz andere Probleme zu haben. Sie verbringen einen unbeschwerten
Sommer mit ihrem neuen Freund Dill (John Megna), der jeden Sommer nach Maycomb
kommt und bei seiner Tante Stephanie (Alice Ghostley) wohnt. Was die drei vor
allem beschäftigt, ist die Frage, wie Arthur Radley (Robert Duvall, in
seiner ersten Kinofilm-Rolle) aussieht. Radley, den alle Boo nennen, wohnt mit
seinem mürrisch aussehenden Vater Nathan (Richard Hale) ein paar Häuser
weiter. Das Haus ist verbarrikadiert, und noch niemand scheint den geheimnisvollen
Boo gesehen zu haben. Dafür ranken sich allerlei Gerüchte um Boo.
Manche sagen, sein Vater habe ihn eingesperrt, andere halten ihn für gefährlich.
Die
Kinder jedenfalls entwickeln ein ausgesprochen lebhaftes Interesse daran, mehr
über Boo zu erfahren. Sie suchen die Gefahr und das Abenteuer.
Dann
kommt es zum Prozess gegen Tom Robinson. Während Atticus alles in seiner
Macht stehende tut, um das Lügengebäude der Ewells aufzudecken, rechnet
doch selbst er nicht mit einem Freispruch. Doch es kommt noch schlimmer ...
„When
the stars threw down their spears,
And
water'd heaven with their tears,
Did
He smile His work to see?
Did
He who made the lamb make thee?
Tyger!
Tyger! burning bright
In
the forests of the night,
What
immortal hand or eye
Dare
frame thy fearful symmetry?” (1)
„To
Kill a Mockingbird” (2) ist kein Gerichtsfilm, obwohl die einzige knapp 30 Minuten
dauernde Szene, in der gegen Tom Robinson verhandelt wird, eine Schlüsselszene
des Films ist. Atticus Finch hält ein ca. zehnminütiges Plädoyer
– gegen Ignoranz, Rassismus, Lüge und Verleumdung –, das es in sich hat
und die ganze Verzweiflung, den ganzen Mut und die Integrität eines Mannes
offenbart, der sich stets für andere eingesetzt hat. Dabei gilt für
die Rolle Gregory Pecks, was für den gesamten Film gilt: Die Inszenierung
ist in keiner Weise aufdringlich, heroisch überzogen oder lehrhaft. Peck
spielt diesen Atticus Finch eher zurückhaltend, ja minimalistisch, und
dies verträgt sich sehr gut sowohl mit dem Spiel der jungen Darsteller,
die eine Kindheit voller Unschuld präsentieren, in die dann aber die dunklen
Seiten des Lebens Einzug halten, als auch mit den Umständen des „Falls
Robinson”, der in Wirklichkeit ein „Fall Ungerechtigkeit und Boshaftigkeit”
ist.
Gerade
diese dunklen Seiten des Lebens, mit denen die Kinder konfrontiert werden und
vor denen ihr Vater sie nicht schützen kann, verändert ihr Leben,
ihre Einstellung und ihr Verhalten. In einer weiteren Schlüsselszene, in
der Finch vor dem örtlichen Gefängnis Wache hält, weil er und
der Sheriff befürchten, eine aufgebrachte Meute könne versuchen, Robinson
zu lynchen, demonstriert dies: Jem, Scout und Dill, die beobachten, wie Männer
mit Gewehren Finch dazu zwingen wollen, Robinson herauszuholen, treten hinzu
und weigern sich, ihrem Vater zu gehorchen, der sie auffordert, nach Hause zu
gehen. Scout erkennt unter den Männern Walter Cunningham (Crahan Denton),
einen armen Farmer, der Finch nicht mit Geld bezahlen kann und ihm deshalb ab
und an Produkte liefert, um seine Schulden für eine frühere anwaltliche
Leistung zu begleichen. Scout begrüßt ihn und fragt ihn, was er hier
mache, erzählt von den Schulden und beginnt ein Gespräch. Sie erreicht,
dass Cunningham und die anderen wieder nach Hause ziehen.
Der
Film wird erzählt von der erwachsenen Scout, und ist – bis auf die knapp
halbstündige Gerichtsverhandlung – auch aus der Perspektive der Kinder
gedreht. „To Kill a Mockingbird” verknüpft Realistisches mit Märchenhaftem.
Die Figur Finch repräsentiert eine Idealvorstellung eines Vaters wie eines
Mannes, der Gerechtigkeit und Verständnis für seine Mitmenschen zum
primären Inhalt seines Lebens gemacht hat. Gleichzeitig stellte Harper
Lee mit Boo Radley eine Person in die Geschichte ein, die angesichts ihrer Unsichtbarkeit
und der Geschichten, die über Boo erzählt werden, über weite
Strecken von Buch und Film sowohl Ängste als auch Neugier weckt. Boo ist
ein Mann, den man als „zurückgeblieben” charakterisieren würde. Doch
auch er ist ein Mensch, der zwischen Gut und Böse, gerecht und ungerecht
sehr gut zu unterscheiden weiß und sich vor allem als ein Freund der Kinder
und ihr Retter erweisen wird.
Eine
zentrale Aussage des Films charakterisiert die Geschichte vielleicht am besten.
Als Scout sich mit einem Jungen geprügelt hat und nicht mehr in die Schule
gehen will, weil die Lehrerin mit ihr geschimpft hat, sagt Finch zu seiner Tochter:
„Ich
werde dir jetzt einen schönen Trick sagen. Damit kommst du mit allen möglichen
Leuten viel besser aus. Du verstehst einen Menschen erst richtig, wenn du die
Dinge oder was es gerade ist, auch mal von seinem Standpunkt aus betrachtest,
wenn du mal in seine Haut kriechst und darin herum spazierst.”
Diese
Aussage und die Tatsache, dass der Film in einer Zeit gedreht wurde, in der
die Diskriminierung der afroamerikanischen Einwohner der Staaten ganz andere
Ausmaße hatte als heute, machen „To Kill a Mocking Bird” zu einem mutigen
Zeugnis der amerikanischen Filmgeschichte, dessen Aussagen allerdings über
die konkrete Geschichte hinaus auch heute noch Gültigkeit besitzen.
•
D V D •
Format:
Dolby, HiFi Sound, PAL
Studio:
Universal/DVD
Sprachen:
Deutsch (Dolby Digital 1.0) Englisch (Dolby Digital 1.0) Französisch (Dolby
Digital 1.0) Spanisch (Dolby Digital 1.0) Italienisch (Dolby Digital 1.0)
Untertitel:
Deutsch, Englisch, Französisch, Portugiesisch, Dänisch, Finnisch,
Schwedisch, Norwegisch, Niederländisch, Tschechisch, Polnisch, Türkisch,
Ungarisch, Bulgarisch
Bildformat:
16:9, 1.85:1
Obwohl
dies kein DVD-Bericht ist, möchte ich auf die DVD von Universal Picture
hinweisen. Sie enthält neben dem Hauptfilm, dem Original-Trailer, Produktionsnotizen
und Biografien einen Audiokommentar des Regisseurs und des Produzenten (Pakula)
und vor allem ein 90 Minuten langes Making Of, das hervorragend gemacht ist.
In Schwarz-Weiß 1998 aufgenommen, präsentiert es einerseits Interviews
mit Schauspielern (übrigens auch den ehemaligen Kinderdarstellern Mary
Badham und Phillip Alford und des Darstellers Tom Robinsons, Brock Peters, über
dessen eigene Erfahrungen mit Rassismus), Duvall, Peck, Collin, Wilcox Paxton,
dem Regisseur, dem Drehbuchautor u.a.m, andererseits aber auch Einwohnern von
Maycomb über deren Erinnerungen an ihre Kindheit, an die Verhältnisse
in den 50er Jahren, in den 30er Jahren. Der Film verknüpft Interessantes
über die Entstehung von „To Kill a Mockingbird” mit dem historischen Hintergrund,
lässt Literarisches einfließen, zeigt alte Fotografien und Filmaufnahmen
aus Alabama usw. Ich habe selten ein derart ausgezeichnetes Making Of auf einer
DVD gefunden, das auf diese Weise den Film aufarbeitet und ihn dokumentarisch
ergänzt.
Trotz
des Alters des Films sind Bild und Ton mehr als zufriedenstellend.
Und
noch etwas Gutes gibt es zu berichten: Während die DVD bei amazon € 14,99
kostet, bekommt man sie derzeit bei Zweitausendeins für € 9,99! (21.11.2004)
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat:
Besonders wertvoll.
Wertung
DVD: 10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
(1)
Das Making Of zum Film auf der CD beginnt mit diesen Zeilen aus einem Gedicht
von William Blake.
(2)
Das Gedicht „Out of the Cradle Endlessly Rocking” von Walt Whitman animierte
Harper Lee, ihren halb-autobiographischen Roman „To Kill a Mockingbird” zu betiteln.
Wer
die Nachtigall stört
(To
Kill a Mockingbird)
USA
1962, 129 Minuten
Regie:
Robert Mulligan
Drehbuch:
Horton Foote, nach dem Roman von Harper Lee
Musik:
Elmer Bernstein, Mack David
Director
of Photography: Russell Harlan
Montage:
Aaron Stell
Produktionsdesign:
Henry Bumstead, Alexander Golitzen, Oliver Emert
Darsteller:
Gregory Peck (Atticus Finch), Mary Badham (Jean Louise „Scout” Finch), Phillip
Alford (Jeremy „Jem” Finch), Robert Duvall (Arthur „Boo” Radley), John Megna
(Charles Baker „Hill” Harris), Frank Overton (Sheriff Heck Tate), Rosemary Murphy
(Maudie Atkinson), Ruth White (Mrs. Dubose), Brock Peters (Tom Robinson), Estelle
Evans (Calpurnia), Alice Ghostley (Tante Stephanie Crawford), Paul Fix (Richter
Taylor), Collin Wilcox Paxton (Mayella Violet Ewell), James Anderson (Robert
E. Lee „Bob” Ewell), William Windom (Staatsanwalt Gilmer), Crahan Denton (Walter
Cunningham Sr.), Richard Hale (Nathan Radley), Steve Condit (Walter Cunningham
Jr.)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0056592
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