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Westworld
„Which
world do
you just
come from?“
Das Prinzip von
Freizeitparks ist die kontrollierte oder vorgegaukelte Gefahr. Die Schreie in
Achter- und Geisterbahnen oder 3D-Kinos sind ungehemmter Ausdruck der Lust an
der eigenen Angst, die ausgelebt werden kann, ohne dass man sich wirklich in
einer Gefahrensituation befände. Sind hinter den Kulissen der Urlaubsunterhaltungsindustrie
doch beständig Männer zu Gange, die rechnen, warten und kontrollieren,
um den Thrill einerseits, die Sicherheit andererseits zu maximieren.
Das Prinzip von
philosophischer Science Fiction ist es, Probleme der gesellschaftlichen, moralischen
oder psychologischen Existenz des Menschen im Hier und Jetzt auf weit entfernte
Galaxien und/oder Zeiten zu projizieren: auf den Planet
der Affen
etwa,
oder in die Tagebuchaufzeichnungen der interstellaren Reisen Ijon Tichys.
Das Zusammentreffen
dieser beiden Prinzipien findet in der zweiten Regiearbeit Michael Crichtons,
der sich seine Brötchen – oder besser gesagt: Milliönchen – zumeist
als Bestsellerautor verdiente (z.B. mit Jurassic
Park,
wo es ebenfalls um einen aus alten Mythen und (seiner Zeit) neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnissen zusammengeschusterten Freizeitpark ging), bereits im Titel statt.
„Westworld“, der Name eines dystopischen Westernthemenpark, klingt natürlich
an „westliche Welt“, als reales politisch-ideologisches Konstrukt, an.
Der Freizeitpark
„DELOS“ setzt sich zusammen aus „Westworld“, „Medieval World“ und „Roman World“.
Lebensechte Roboter vermitteln den Besuchern die perfekte Illusion, sich in
den jeweiligen Epochen, mit all ihren Gefahren und Verlockungen, zu befinden.
Hier werden (sadistische) Kindheits- und (sexuelle) Männerträume wahr.
Hier darf jeder sein und tun was er will und das ohne jegliche moralischen Bedenken.
Weiß man doch, dass die Figuren, die einen umgeben, keine echten Menschen
sind und alle Gefahren nur scheinbar. Sind hinter den Kulissen der Urlaubsunterhaltungsindustrie
doch beständig Männer an ihren Computern und Überwachungsmonitoren
zu Gange, die rechnen, warten und kontrollieren, um den Thrill einerseits, die
Sicherheit andererseits zu maximieren.
Auch die beiden
Freunde Peter und John amüsieren sich großartig in Westworld. Aus
den Kleinbürgern mit ihren Kleinbürgersorgen werden skrupellose Outlaws,
die skrupellos Outlawdinge tun: Huren vögeln, Männer erschießen
und aus Gefängnissen ausbrechen. Doch der Biss einer (mechanischen) Schlange
setzt dem Treiben ein jähes Ende. Vorbei ist es mit dem infantilen Paradies
der ungesühnten Amoral und der Unsterblichkeit. Die Maschinen proben den
Aufstand und rächen sich grausam an den Gästen. Und die Computer,
Überwachungsmonitore und Schalttafeln stehen und flimmern im Angesicht
der Katastrophe ebenso nutzlos, wie ein paar Jahrzehnte später in United 93 angesichts einer
wesentlich reelleren terroristischen Bedrohung.
Die möglichen
Lesarten des Films sind vielfältig. Man könnte ihn als Allegorie auf
das Kino deuten. Die Besucher sind die Protagonisten in ihrem eigenen Film.
Die drei Themenparks korrespondieren drei – zu Freizeitparkattraktionen reduzierten
– Genres: Western, Ritter- und Sandalenfilm. Die Amoral von Peter und John,
die schließlich bestraft wird, als reaktionäre Reaktion auf die Antihelden
New Hollywoods, etwa bei Peckinpah, an den hier in punkto Kunstblut und Zeitlupe
sowieso Einiges erinnert. Der Film wirft so die Frage nach der moralischen Dimension
des Kinos auf, danach, wie weit die Identifikation mit Mafiabossen (The
Godfather),
Serienkillern (Bonnie
and Clyde)
oder Söldnern (The
Wild Bunch)
in der Traumwelt Kino gehen darf.
Oder als – ebenfalls
reaktionären – Kommentar auf einen allgemeinen Werteverfall. Eine Welt
absoluter Unverbindlichkeit, die man nach Belieben formen kann. Gerade eine
Maschine, Ausdruck von unkontrolliertem – und unkontrollierbarem – Fortschritt,
wird hier zum Arm des (ewigen moralischen) Gesetzes, zum schwarzen Reiter, der
die Menschen für ihre dekadente Genuss- und Machtsucht bestraft.
Wie dem auch sei,
für Fans der Trash- und Genrefilme der Siebziger ist Westworld sicherlich eine
Offenbarung. Wegen des Schlaghosenlooks, wegen der ersten computergenerierten
Bilder der Filmgeschichte, wegen Yul Brynner, der der fiesen Killermaschine
ein mienenloseres und kultigeres Gesicht zu verleihen wusste, als es Schwarzenegger
je konnte.
Abschließend
eine Handvoll tadelnde Worte zur kürzlich bei Warner erschienen DVD:
Minimalistisch
geht es los mit dem Aufkleber „nicht digital remastered“ und setzt sich nahtlos
fort mit dem garantiert vollkommen unbewegten Menü, das einen vor die Qual
der Wahl stellt: „Film starten“ oder „Sprachauswahl“ (Deutsch/Englisch; Deutsche
Untertitel für Hörgeschädigte). Ein wunderbar reißerischer,
unfreiwillig komischer Seventies-Trailer? Andere Specials (und seien es auch
nur Texttafeln, etwa über Yul Brynner oder die Computereffekte, wie gesagt,
die ersten überhaupt)? Oder auch nur ein ordinäres Kapitelmenü?
Fehlanzeige! Bild und Ton sind OK, trotzdem ist das wenig mehr als ein auf DVD
gebranntes VHS-Tape. Willkommen in der Welt der Zukunft! Und, apropos, auf das
Sequel, Futureworld, dürfen Fans
weiter warten.
Nicolai Bühnemann
Westworld
USA
1973
Buch
und Regie: Michael Crichton; Produktion: Paul N. Lazarus III; Musik: Fred Karlin;
Darsteller: Yul Brynner, Richard Benjamin, James Brolin; Länge: 85 Minuten:
FSK: 16
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