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Whale
Rider
Auf
einem Wal soll er gekommen sein, der Urvater des Volkes, in grauer Vorzeit.
Jetzt wartet Koro (Rawiri Paratene), der Anführer des Stammes auf einen
Nachfolger, einen Jungen, der in die Rolle hinein wachsen kann, die seine Vorfahren
bereits mit patriarchaler Macht ausfüllten. Es bedeutet den Zusammenbruch
einer Welt, als sein eigener Sohn ein Mädchen zeugt, bei dessen Geburt
ihr Zwillingsbruder und ihre Mutter ums Leben kommen. Nicht etwa, weil Koro
über den beiden Todesfällen zerbräche, sondern weil nun kein
- männlicher - Enkel mehr vorhanden ist, in seine Fußstapfen zu treten.
Trotz der problembewussten Geschichte um Anerkennung und Emanzipation ist Whale
Rider
ein freundlicher Film, der einen einlullt in seine neuseeländischen Landschaften
und Farben. Auch die Musik von der früher in der Band Dead Can Dance mit
ihrer Stimme in sphärische Höhen schwebenden Lisa Gerrard ist wundervoll,
Produktion und Produktionsdesign lagen in den Händen von Tim Sanders und
Grant Major, die zuletzt an Peter Jacksons Herr
der Ringe
mitschmiedeten. Viele große Namen wurden hinter der Kamera verbraten,
und dabei herausgekommen ist, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre,
vor allem eines: ein Film, der ganz bewußt versucht, gemocht zu werden.
Paikea
(Keisha Castle-Hughes), so hat ihr Vater das Mädchen genannt - ein Eklat,
ist doch Paikea der Name des Whale
Rider,
jenes mythischen Urahnen, der das Volk weise und mutig anführte - Fähigkeiten,
die Koro seiner Enkelin als weiblichem Kind nicht gerade zutraut. Die Geschichte
des Films ist spätestens hier gänzlich absehbar: Koro ruft die Jungen
des Dorfes zusammen, um aus ihnen den zukünftigen Häuptling zu ermitteln
und erlaubt es Paikea nicht, an den Auswahlverfahren teilzunehmen. Eine Emanzipationsgeschichte
ist Whale
Rider,
ein Film über ein Kind, das sich seinen Platz in einer Gesellschaft erkämpfen
muss und dabei gegen verkrustete Männerwelten anrennt. Was hierbei stört,
ist die Mutlosigkeit, mit der das Drehbuch von der Befreiung erzählt: Warum
muss das Mädchen, um endlich doch anerkannt zu werden, ausgerechnet all
jene Riten vollziehen, die bisher den Weg der männlichen Nachkommen vorzeichneten?
Warum muss es den Jungen im Stockkampf besiegen, den im Ozean versenkten Anhänger
hervortauchen, die traditionellen Lieder der Männer singen und schließlich
zu allem Überfluß auch noch den Wal reiten, der ihr so in der Apotheose
endlich den Thron des Stammes offen stehen läßt? Nichts bricht in
dieser vermeintlichen "Befreiung" die Strukturen der patriarchalen
Ordnung auf, es ist lediglich eine Frau an der Stelle eines Mannes, eine Frau,
die die alten Pfade betritt, die den von Männern bestimmten Regeln folgt.
Der Kampf Paikeas verläuft ein wenig zu glatt, man hätte sich etwas
mehr revolutionäre Emanzipationsrhetorik gewünscht, oder wenigstens
eine deutlichere Auseinandersetzung mit überkommenen Traditionen, statt
nur deren Umformung. Ähnlich problematisch funktioniert die emotionale
Beeinflussung des Zuschauers: man wird mit dem Kind zu Tränen gebracht,
weil sein Kampf gegen die männliche Ignoranz so aussichtslos scheint, und
man kommt der Protagonistin auf diesem Wege emotional so nahe, dass man glaubt,
alles sei wieder gut, wenn sie gen Ende nur den Posten des Anführers einnehmen
kann, der bis dato den Männern vorbehalten war. Die Erleichterung über
die versiegten Tränen ist so groß, dass einem nicht auffällt,
wie wenig sich damit eigentlich geändert hat. Sicherlich muss man Whale
Rider
zu Gute halten, dass es wohl gar nicht die Geschichte einer Revolution ist,
die er erzählen möchte. Caro versucht in ihrem Film nicht das Ende
der Traditionen und Riten zu fordern, sondern eher, jene in Einklang zu bringen
mit den Vorstellungen einer modernen Gesellschaft. Nichtsdestoweniger führt
dies zu einem eigentlich unkritischen Blick, verpackt in eine konventionelle
Geschichte.
Sieht
man hierüber hinweg, so bleibt ein routiniert inszenierter Film, der mit
seiner Erzählung des Mädchens in einer Männerwelt insbesondere
einem kindlichen Publikum sicherlich auch denkwürdige Inhalte zu vermitteln
mag. Dennoch ist Whale
Rider
in seiner Mischung aus Kindern, Walen, Postkartenbildern und professioneller
Umsetzung ein wenig zu gefällig in seiner Political Correctness. Der Film
scheint geradezu auf all die Festivalpreise hin produziert worden zu sein, die
er dann auch gewann: In Toronto, Sundance, Rotterdam und San Francisco nahm
der Film Auszeichnungen mit. Ein geplanter Erfolg - auch finanziell hat sich
der Film für seine Produzenten vollauf gelohnt. Trotz der glitschigen Oberfläche
der walblauen Bilder und der nur halb zu Ende geführten Emanzipation gönnt
man Whale
Rider
den Erfolg zwar eher als vielen anderen Produktionen, denen deutlich weniger
pädagogische Gedanken zu Grunde liegen, aber ein unangenehmes Gefühl
bleibt noch beim Verlassen des Kinos hängen: Whale
Rider
ist einfach viel zu brav, um wirklich zu bewegen.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Whale
Rider
Regie:
Niki Caro
Neuseeland/Deutschland,
2002
Starttermin:
14. August 2003
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