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The
White Diamond
Ist
nun schon eine Weile her und eigentlich müsste man zu diesem (schönen)
Film wirklich viel schreiben. Das erlaubt mir wohl meine Zeit (ein bisschen
auch gerade meine Schreib-Unlust) nicht, aber so ganz unerwähnt will ich
den Film dennoch nicht lassen. Also nur ein paar Noten, die mich wer weiß
wohin führen.
Er
war nämlich wirklich sehr groß, ja großartig. Wobei man vielleicht
schon ein Freund der Filme von Werner Herzog sein muss, um das nachzuempfinden.
Alle anderen werden kopfschüttelnd von dannen ziehen, aber so war das bei
Herzog wohl schon immer.
Nach
dem etwas orientierungslos geratenen Rad
der Zeit
ist The
White Diamond nichts
anderes als eine Rückkehr zu den besten Zeiten Herzogs. In der Wahl seines
Sujets zeigt er sich, wie gewohnt, treffsicher, auch bezüglich der Positionierung
desselben in sein eigenes Werk (Herzog meinte ja mal, er drehe eigentlich nicht
immer den selben Film, sondern eigentlich einen einzigen großen Film und
er würde diesen gerne mal aus allen seinen Filmen zusammensetzen: Mit The
White Diamond
ist er an dieser Aussage verdammt nahe dran.). Zum Teil fügt sich die Thematik
- ein Aero-Wissenschaftler baut einen Mini-Zeppelin, um das Dach des Regenwaldes
mit Kameras zu untersuchen, nicht zuletzt auch deshalb, weil ein vergleichbarer
Vorstoß vor vielen Jahren seinem Freund, ein Dokumentarfilmer, das Leben
gekostet hatte - schon so nahtlos in den Herzog-Kosmos ein, dass man bisweilen
zweifelt, ob das Ganze nicht insgesamt ein Spielfilm mit Drehbuch ist (ein Drehbuch,
das vielleicht im Scherz Little Werner needs to fly genannt wurde, den es geht
um genau das: Das kindliche Staunen, das Wissenschaft, Fliegerei und Cinephilie
zugrunde liegt und in diesem Film ist Werner Herzog es selbst vor allem, auf
den das alles zutrifft).
Es
finden sich die starken Bilder aus Herzogs Spielfilmen und dokumentarischen
Arbeiten wieder, in immer neuen Kontexten, oft schon als Zitationen, als Verweise
innerhalb des eigenen Werkes. Dass dem Wissenschaftler, dessen kindliches Staunen
über die Welt der Aerodynamik sich, durch Herzogs Kameraauge betrachtet,
1:1 überträgt, einige Finger an der Hand fehlen, dass er, wie Reinhold
Messner in Gasherbrom, an
einigen Stellen in Tränen ausbricht, ist für den Kenner nur erwartbar
gewesen. Gleichzeitig weiß Herzog aber darum: The
White Diamond ist,
bei aller Ernsthaftigkeit, von einem subtilen Witz durchzogen, einer altersweisen
Ironie, die sich nie konkret in den Vordergrund schiebt, aber stets im Hintergrund
erahnbar bleibt.
Natürlich
geht es, wie immer bei Herzog, vor allem auch um Bildproduktion. Das ganze Projekt
- Kameras aus der Luft in die Dachkrone des Regenwalds, einer der letzten Sphären
des Unbekannten unserer heutigen Tage, vergleichbar vielleicht mit dem Grund
des Meers zu Beginn des 19. Jahrhunderts - ist davon getragen, Dinge sichtbar
zu machen. Folgerichtig lässt Herzog The
White Diamond
mit Bildern aus der Frühzei der Filmgeschichte beginnen, die die Geschichte
der Fliegerei verdeutlichen sollen. Die ersten Antriebe aber, überhaupt
so etwas wie Film zu erdenken, entstanden aus der Problematik mangelnder Sichtbarkeit:
Eadweard Muybridge ging Mitte des 19. Jahrhunderts eine Wette ein, ob das Pferd
beim Galopp alle Hufe gleichzeitig in der Luft habe. Eine Anordnung von 24 Fotokameras,
die mit Fäden ausgelöst werden konnten, ergaben schließlich
einen parzellierten, fotografischen Bewegungsablauf. Das war noch nicht Kino,
aber schon nicht mehr weit weg. An einer Stelle sagt Herzog in White
Diamond:
"In Celluloid we trust!" - und er erhebt sich in die Lüfte, um
Bilder zu machen, die noch nie zuvor gesehen wurden.
An
einer anderen Stelle wird hinter einen mächtigen Wasserfall geblickt. Hinter
diesen verschwinden Millionen von Vögeln, die dort offenbar nisten. In
der Legendenwelt der Dschungelbevölkerung verbirgt sich hier eine wunderbare
Welt. Aus Respekt vor dieser Legende zeigt Herzog die Aufnahmen von hinter dem
tosenden Wasser nicht. Herzog ist noch immer Anwalt der Verschiedenartigkeit
der weltweiten Kulturen und er ist noch immer auf der Suche nach Bildern. Es
ist schon gar nicht mehr nötig, sie zu zeigen. Ferner ist es der Traum
einer aufgeklärten Wissenschaft, einer Wissenschaft, die aus dem 19. Jahrhundert
herrührt, aus dem in die Ferne streifen, Werner Herzog eigentlich als Abenteurerfigur,
die in die Peripherie streift, mit dem heutigen Wissen aber verbunden, dass
es vor allem Demut vor dem, was vorgefunden wird, sein sollte, die das Handeln
bestimmt. Ein vielleicht etwas naiver, im Kino aber rührend zu träumender
Traum. Man folgt Herzog gerne auf seinen Pfaden.
Und
doch gibt es, zum Ende, wenn alles in der Tat, nach vielen Rückschlägen,
gelungen, das Trauma des Wissenschaftlers überwunden ist, Bilder von eigenartiger
Schönheit zu sehen. Flora und Fauna aus dem Dach der Welt. Oft bizarr anmutend,
weil man mit der Kamera durchs Blätterdach kracht, aber doch von Schönheit,
ohne den Gegenstand zu verklären, weil klar ist, dies ist ein Bild, dies
wurde gemacht. In dieser Organisation von Bildern, die nicht nur stumpf das
Atemberaubende sucht, liegt Herzogs Gespür und Kraft.
Das
Große und das Kleine, darauf hat Gilles Deleuze hingewiesen, sind bei
Werner Herzog wichtige Säulen. In der Spannung der Größenverhältnisse
spielen sich seine Filme ab. Und dann gibt es ein Bild in diesem Film, der Schärfebereich
ist so schmal es nur geht: Ein Wassertropfen, der von einem Blatt hängt.
In ihm spiegelt sich der ganze, großartige Wasserfall, der weiter hinten,
im Bild selbst nicht mehr repräsentierbar, liegt. Seine ganze Größe
ist zu sehen, auf dem Kopf stehend und fokussiert, in einem einzigen Wassertropfen.
Herzog fragt den Rastafari, mit dem er an diesen Ort gekommen ist, ob er in
diesem Tropfen ein Universum sehe. Dieser antwortet, er könne nichts sehen,
wegen dem Donner, der Herzog sei. Das Große und das Kleine ist in diesem
Moment aufgehoben, fällt in eins. Die Romantik aus zahlreichen Filmen Herzogs
wird mit sich selbst gebrochen. Herzog scheitert in diesem Moment und macht
sich auf diese Weise selbst zur zentralen Figur seines ganzen Werkes, in diesem
zentralen Moment desselben.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
The
White Diamond
Deutschland
/ Japan / Großbritannien 2004 - Regie: Werner Herzog - Darsteller: Graham
Dorrington, Werner Herzog - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
91 min. - Start: 10.3.2005
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