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Whity
In die Wüste
...
Fassbinder dreht einen Western.
Was vielen unglaublich, merkwürdig erschien, geschah 1971. In Spanien gedreht,
dort wo viele Italo-Western entstanden, erzählt Fassbinder die Geschichte
eines Halb-Sklaven namens Samuel King (Günther Kaufmann), der paradoxerweise
den Spitznamen Whity trägt. Der Film, der bei Publikum und Kritik gleichermaßen
durchfiel, mit dem anscheinend niemand etwas anfangen konnte, hat im Rückblick
allerdings trotzdem seinen Platz im Gesamtwerk des Regisseurs.
"Whity" hat die äußere
Form eines Westerns; er spielt vor den gängigen Kulissen, er zeigt die
Akteure in den alt bekannten Kostümierungen, und Fassbinder zitiert kräftig
seine Vorbilder. Doch im Gegensatz zum Genre-Western sind die Dialoge eher spärlich,
die Musik - vor allem die Lieder, die Hanna Schygulla vorträgt - alles
andere als Saloon-Songs im üblichen Sinn, und die Handlung ähnelt
in vielem eher einer Tennessee-Williams-Südstaaten-Geschichte.
1878, Südstaaten. Whity ist
der illegitime Sohn des Großgrundbesitzers Ben Nicholson (Ron Randell)
und der schwarzen Köchin Marpessa (Elaine Baker) und arbeitet, wie seine
Mutter, als Kutscher, Diener usw. im Hause seines Vaters. Der hat zwei Söhne
aus erster Ehe: den schwachsinnigen Davy (Harry Baer) und den homosexuellen
Frank (Ulli Lommel). Ben ist in zweiter Ehe mit der Nymphomanin Katherine (Katrin
Schaake) verheiratet. Whity wird selbstverständlich nicht als Sohn, sondern
als Haussklave behandelt und bekommt auch die Peitsche zu spüren. Einmal
lässt er sich sogar für Davy auspeitschen. Whity will, dass es "der
Herrschaft" in allen Lebenslagen gut geht. Er verbietet seiner Mutter,
Lieder wie "Glory, glory halleluja" zu singen.
Sein einziger Trost: die Saloon-Sängerin
und Prostituierte Hanna (Hanna Schygulla), mit der er heimlich ein Verhältnis
hat. Er liebt sie und sie liebt ihn. Und sie will weg, doch Whity nicht. Er
sagt, er sei zufrieden mit seinem Leben und wolle seine Familie nicht verlassen.
Was Whity nicht weiß: Zwischen
den Familienmitgliedern herrschen Konflikte, die nicht offen ausgetragen werden.
Jeder - außer Davy - integriert gegen jeden. Was Whity davon erfährt,
artikuliert sich in Mordaufträgen: Frank möchte, dass Whity seinen
Vater tötet; Katherine möchte, dass er Frank ermordet. Und Ben selbst
schickt seiner Frau einen falschen mexikanischen Arzt, der sie verführen
und ihr weismachen soll, Ben sei todkrank. Ben will Katherine "testen".
Als der Arzt seinen Auftrag erfolgreich abgeschlossen hat, erschießt ihn
Ben. Hanna wird Zeugin dieses Mordes, verrät dem Sheriff aber nichts davon.
Dann klärt Hanna Whity über
die anderen in der Familie und ihre Absichten auf, auch darüber, dass ihr
Ben Geld gegeben hat für ihr Schweigen: Whity erschießt Ben, Katherine,
Frank und Davy und flüchtet mit Hanna in die Wüste. Es ist klar, dass
sie dort verdursten werden.
Man könnte "Whity"
als eine Art experimentellen Film einordnen. Denn vieles von dem, was Fassbinder
hier in einem fast minimalistischen, einem schwülen Südstaatendrama
ähnlichen Film inszeniert hat, wird in etlichen seiner späteren Filme
- auch in der sog. "BRD-Trilogie" - in anderer Weise wieder aufgegriffen.
Die zentralen Kategorien, um die
die Geschichte kreist, sind Geld und Liebe und die Beherrschung aller Akteure
durch diese beiden Momente. Whitys Familie ist beherrscht von Verrat und Intrigen.
Katherine will Alleinerbin des Besitzes werden. Für Frank gilt dasselbe.
Und Ben will seine lästige Frau, die er durch die Intrige mit dem falschen
Arzt überführt hat, los
werden. Für Whity ist diese Familie auch
seine Familie - trotz der sklavenhalterischen Umstände, unter denen er
dort leben muss. Man könnte auch sagen: Whity ist das schwarze Schaf dieser
Familie - was besonders deutlich würde, wenn man den Film seiner "Südstaaten-Verkleidung"
berauben würde.
Whity hält lange - auch gegenüber
seiner Mutter - an der Familie fest, versucht den beiden Stiefbrüdern zu
helfen, es dem Hausherrn und Katherine recht zu machen. Auch gegenüber
dem sozialen Umfeld verhält sich Whity friedlich - obwohl man ihn dort
als "Nigger" behandelt und etwa im Saloon verprügelt, nachdem
Hanna ihn in aller Öffentlichkeit geküsst hat.
Es geht also um das Austarieren
der Möglichkeiten eines Menschen, sich trotz aller Widrigkeiten in derartige
Strukturen zu integrieren. Whity versucht dies bis an die Grenzen des Möglichen.
Erst dann - als ihm Hanna die Augen öffnet - greift er erst zum Whisky,
dann zum Revolver und tötet die Nicholsons. Davy, von Harry Baer mit bleichem,
manchmal etwas grünlich schimmerndem Gesicht wortlos gespielt, folgt Whity
von einem Mord zum anderen - bis er und Whity im Stall stehen. Whity richtet
den Revolver auch auf ihn. Ein leichtes zustimmendes Nicken von Davy verkündet
dessen Einwilligung, auch ihn zu töten. Davy, der Schwachsinnige, ist der
einzige der vier, der verstanden hat, um was es hier geht.
Der Mord steht in dieser Hinsicht
nicht für Mord, sondern für die Destruktion von Verhältnissen,
die nicht integrieren können - für eine Art selbstzerstörerischen
Prozess, aus dem nur einer als "Sieger" hervorgehen kann. Hätte
Ben gesiegt, wäre Katherine verarmt auf der Straße gestanden. Hätte
Frank gesiegt, wäre er einfach an die Stelle seines Vaters getreten. Hätte
Katherine gesiegt - unter der Voraussetzung, Ben wäre wirklich sterbenskrank
gewesen und Whity hätte nur Frank getötet -, wäre sie an die
Stelle von Ben getreten. Nur Davy hätte nicht siegen können. Integration
ist unter solchen Bedingungen unmöglich. Nur Unterwerfung.
Den Sieg davon trägt jedoch
Whity - einer, der sich der Macht und dem Kreislauf des Geldes nicht unterworfen
hat, sondern auf die Liebe setzt. Whity ist sich bewusst, dass er nie an die
Stelle Bens treten könnte. Und der Mord an den vier Familienmitgliedern
- selbst wenn dies in irgendeiner Weise möglich gewesen wäre - macht
diesen Weg sowieso unbegehbar. Whity scheitert an seiner Familie. Der Weg mit
der einzigen Person, die ihn liebt und die er liebt, in die Wüste, diese
Flucht vor den Strukturen und ihren Mechanismen kann man daher auch als einen
Weg in die Unmöglichkeit bezeichnen - die Unmöglichkeit, sich der
Macht und dem Kreislauf des Geldes anders zu entziehen als durch Flucht in das
Nichts - eine Nische, die nur für kurze Zeit ihm und Hanna ein Leben außerhalb
von Strukturen erlaubt, in denen das Geld der große Hobel ist, der sich
alles unterwirft.
Whity erscheint in dieser Perspektive
fast als Gegenstück etwa zu Lola in dem gleichnamigen Film Fassbinders (1981), die sich die Männerwelt und ihre Mechanismen
zu eigen macht, um in dieser Welt zu überleben, und andererseits als männliches
Pendant zu Maria Braun in "Die Ehe der Maria Braun" (1979), die ähnlich wie Lola handelt, aber am Ende
durch eine Explosion umkommt, so dass die individuellen Perspektiven eines Weges
"mit den Verhältnissen" vor der historischen Kulisse des aufblühenden
Kapitalismus der 50er Jahre schnell verblassen werden. Whity wie Maria Braun
versuchen auf unterschiedliche Weise, sich in diesen Verhältnissen zu integrieren
- allerdings mit dem Unterschied, dass Maria Braun sie für sich nutzen
will, während Whity erkennen muss, dass dies zum Scheitern verurteilt ist.
Die Wüste, das Nichts, das
Ex-Territoriale ist eine nur für kurze Zeit mögliche Stätte der
Gefühle jenseits des Geldes. Das Scheitern von Whity und Hanna hat trotzdem
etwas Tröstliches, weil es das Scheitern eben jenseits dieser Allmacht
verkörpert. Gleichzeitig ist dieser tröstliche Schluss aber auch geprägt
von der tragischen Einsicht der Aussichtslosigkeit eines freien Lebens freier
Menschen innerhalb der bestehenden Strukturen. In gewisser Weise ist "Whity"
damit eben auch ein Schritt in Richtung "Lola" und "Die Ehe der
Maria Braun" und etlicher anderer Filme Fassbinders, in denen es um die
Möglichkeiten und dann auch historischen Voraussetzungen eines Lebens von
Freien in unserer Gesellschaft geht. Die Verzweiflung paart sich hier immer
mit dem Trost, die Unmöglichkeit mit dem Ausspähen von Utopie.
DVD
Sprache: Deutsch
(Dolby Digital 1.0)
Bildformat:
16:9
Dolby,
HiFi Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin:
17. Januar 2006
Arthaus setzt mit
dieser DVD die Reihe bislang unveröffentlichter Fassbinder-Filme fort.
Bild- und Tonqualität würde ich als gut bezeichnen. Die DVD enthält
neben einer Fotogalerie, dem Trailer und einer Biografie und Filmografie Fassbinders
in Texttafeln noch die 52 Minuten lange Dokumentation von Robert Fischer "Fassbinder
in Hollywood", in der so enge Freunde, Bekannte und Mitarbeiter Fassbinders
wie Michael Ballhaus (der später viel für Martin Scorsese arbeitete),
Hanna Schygulla, Ulli Lommel u.a. sich der Frage widmen, wie es Fassbinder wohl
in Hollywood ergangen wäre - ein durchaus interessantes Feature.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Zu diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Whity
Deutschland
1971, 95 Minuten (DVD: 92 Minuten)
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Rainer Werner Fassbinder
Musik:
Peer Raben
Kamera:
Michael Ballhaus
Schnitt:
Thea Eymèsz, Rainer Werner Fassbinder
Ausstattung:
Kurt Raab
Darsteller:
Günther Kaufmann (Samuel "Whity" King), Ron Randell (Benjamin
Nicholson), Hanna Schygulla (Hanna), Katrin Schaake (Katherine Nicholson), Harry
Baer (Davy Nicholson), Ulli Lommel (Frank Nicholson), Tomás Martin Blanco
(falscher mexikanischer Arzt), Stefano Capriati (Richter), Elaine Baker (Marpessa,
Whitys Mutter), Mark Salvage (Sheriff), Helga Ballhaus (Frau des Richters),
Rainer Werner Fassinder (Gast im Saloon)
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