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Die
wilden Engel
Cormans
Wild
Angels
ist, wie kaum anders zu erwarten, ein waschechtes Exploitation-Movie, nach allen
Regeln der Kunst. Strukturell nimmt dieser Bikerfilm (womit wesentliches an
und für sich bereits gesagt wäre) bereits den nur wenige Jahre später
(auf breiter Ebene wahrnehmbaren) Pornofilm vorweg: Die Handlung ist allenfalls
sekundär, zumindest aber in so geringem Maße vorhanden, dass die
Spielfilmlänge unter diesem Gesichtspunkt kaum berechtigt scheint. Sie
dient allenfalls als Stichwortgeber für mal endlos lange und langweilige,
mal endlos amüsante, spekulative Sequenzen, schnell und nur des billigen
Effekts wegen runtergekurbelt: Minutenlang fährt man auf der Harley durch
zerklüftete Landschaften, genüsslich lang inszenierte Schlägereien
finden statt, wo es sich gerade anbietet und wenn sie sich nicht anbieten, wird
eben irgendein Grund, bzw. Anlass erfunden. Knallige Setdesigns - wie etwa bizarre,
mit allerlei Nazi-Memorabilia eingerichtete Kneipen und dergleichen mehr - werden
einzig und allein des Knalligseins wegen ins Bild geholt und fungieren nicht
notgedrungen sinnstiftend als Kulisse für die Narration. Kein Zweifel:
Mit diesem Film wird exemplarisch in der Berlinale-Retrospektive "New Hollywood"
jene oft unterschlagene Traditionslinie des Kinos gewürdigt, die unter
hehren Cineasten bestenfalls Naserümpfen hervorruft. Ein diebisch unmoralisches
Vergnügen bisweilen, dem nicht selten sinnentleerten Treiben auf der großen
Leinwand zuzusehen.
Wild
Angels
entstand 1966, gewissermaßen in einer Zwischenphase, was allzu freie Darstellungen
von Gewalt angeht und das merkt man ihm sichtlich an: Seine zahlreichen Gewaltszenen
stehen noch eindeutig in jener naiven, beinahe schon unschuldigen Tradition,
die Hershell Gordon Lewis, Professor für englische Literatur, 3 Jahre zuvor
mit seinem höchst amüsanten Blood
Feast,
gemeinhin als erster Gorefilm der Filmgeschichte bezeichnet, begründete
und zugleich mit einer Schwemme ähnlich konzipierter Filmen fortführte.
In Lewis' Werk fliegen, von monotonen Orgelsounds begleitet, mit Himbeersirup
beschmierte Schaufensterpuppenarme durch die Luft, eindeutig als solche erkennbare
Plastikmasken werden böse mit Frittieröl malträtiert und dergleichen
mehr: Das an sich Widerwärtige in den Bildern bricht sich in der offen
amüsierten bis unbeholfenen Darstellung, die, von den bestenfalls hölzernen
Darbietungen der Mimen noch unterstützt, jede Ernsthaftigkeit aus dem Film
treibt. Ganz ähnlich liegt der Fall in Wild
Angels,
der zwischen Hakenkreuzflaggen, Orgien unter Palmen und ruppigen Schlägerein
sein exploitatives Spielchen treibt: Auch wenn in einer der Schlüsselszenen
- das Begräbnis eines Gangmitglieds in einer Kirche schlägt nach nur
wenigen Sekunden in eine wüste Party um, in der Pastoren geknebelt, Interieurs
zerstört und Leichen pietätlos drapiert werden - eine Frau von mehreren
Männern brutal vergewaltigt wird, kann man den Film, zumindest aber Peter
Fondas Sonnenbrille, noch immer cool finden, ohne um seine Reputationen fürchten
zu müssen. Erst zwei Jahre später würde George A. Romero Lewis'
Vorlage bildästhetisch aufgreifen, drastische Gewalt auch drastisch, jenseits
von Camp, in Night
of the living Dead
nachempfindbar gestalten und so der naiven Unschuld der bisherigen "Gewaltfilme",
zumindest für die nächsten ca. 15 Jahre, ein Ende bereiten.
Doch
soll all der Ruch von Bahnhofskino und Dosenbier nicht davon ablenken, dass
es durchaus auch ernste Untertöne in diesem Film gibt. Wenn "Loser"
(Bruce Dern) zu Beginn, kurz bevor man einigen Hispanics ein paar auf die Zwölf
geben wird, weil sie angeblich sein Bike gestohlen haben, ein Pferd an der Straße
mit den Worten "Go now! You're free!" losbindet, dieses aber nicht
so recht in Freiheit entfliehen will, ihm vielmehr sogar die nächsten Minuten
auf Schritt und Tritt folgen wird, dann ist das, bei aller seltsam entrückten
Komik, die dieser Moment ausstrahlt, auch als tragische Schlüsselszene
zu verstehen. Nicht nur, weil das Pferd, wenn die Prügelei ihrem Höhepunkt
entgegen sieht, scheut, damit die Polizei auf sich und das juristisch zu ahndende
Vorgehen aufmerksam macht und eine Verfolgungsjagd in Gang setzt, an deren Ende
Loser niedergeschossen am Boden liegen wird und dessen Begräbnis am Ende
des Films auch das Ende von "Blues" (Peter Fonda) bedingt. Sie steht
darüber hinaus auch symbolisch für den - paradoxerweise - eigentlich
recht konservativen Nukleus des Films: Der Drang nach jener Freiheit, die an
allen Ecken und Enden in diesem Film beschworen wird - nicht zuletzt als der
Pastor in bereits angesprochener Begräbnissequenz kurz vor seiner Abreibung
Blues darauf anspricht, was er denn eigentlich anfangen will, ist die Freiheit
erst mal erreicht, worauf dieser verdächtig lange zögert und allenfalls
leere Parolen als Antwort gibt -, stellt nicht viel mehr als eine diffuse Stoßrichtung
dar, Rebellieren als Selbstzweck, ohne Ziel und Utopie. Gerade dieses Element
begründet vielleicht erst die dem Dialog zwischen dem Pastoren und Blues
folgende ausschweifende Festivität, die seinerzeit auch in Deutschland
- "Unsere Jugend ist nicht so!" - ein empörtes Medienecho nach
sich zog: In der überbordenden Groteske potenzieren sich alle Elemente
jedweden rebellischen Habitus, die zuvor, eines nach dem anderen, minutiös
und einzeln protokolliert, fast schon präsentiert wurden. Eine Rückkopplung
quasi, die in ihrem steten signifyin' doch nur auf eine bedrückende Leere
hinter dem dargebotenen Verhalten verweist: Dekadenz. Ein letztes Aufbegehren
ist das, vor dem letzten, melancholischen Bild: Blues schaufelt schweigsam Erde
in das Grab seines Freundes, auf der Tonspur von herannahenden Polizeisirenen
begleitet, seine Gangfreunde hat er von dannen geschickt, als wüsste er,
dass seine Zeit abgelaufen ist. Wenn die Kamera in einer Kranfahrt nach oben
die Perspektive verschiebt und dem Bild emblematischen Charakter verleiht, könnte
man fast meinen, er schaufelte sich da sein eigenes Grab.
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Die
Wilden Engel
(The
Wild Angels, USA 1966)
Regie:
Roger Corman; Drehbuch: Charles B. Griffith
Darsteller:
Peter Fonda, Nancy Sinatra, Bruce Dern, u.a.
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