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Wilderness
Entweder „Comedy
wider Willen“ oder gar nichts
Ein Thriller/Horrorfilm, der über Gebühr
auf graphische Gewaltdarstellung setzt, muss sich nicht wundern, wenn man sich
weigert, ihn so ernst zu nehmen, wie er es selber für angemessen hielte.
Selbst für den Fall, dass man sich für die generell austauschbaren
Plots ausnahmsweise mal Mühe gegeben hat, aber aufgebohrte Knochen, ausgebrannte
Augen, abgeschnittene Finger („Hostel“), eingemachte Leichenteile, Stacheldraht-Folter
(„Wrong Turn“), freigelegte Eingeweide, aufgespießte Köpfe
(„Wilderness“) und derlei anatomische Experimente überschreiben schlicht
einen handlungstechnischen Unterbau und einen eventuellen Subtext, der meist
eh nur künstlicher Anlass und stimulativer Ideengeber für die Gewaltphantasien
der Macher - ergo: entbehrlich - ist. (Im ersten Fall spielt die exzessive Gewalt
jedoch eher für Eli Roths paranoiden „Politthriller“; in dem unschuldige
Amerikaner in einem zusammengekritzelten Osteuropa-Gemälde selbstredend
auch von Vertretern des „alten Europas“ gemeuchelt werden; und exponiert noch
die unverschämte Auffassung des Regisseurs, anstatt sie vernachlässigbar
zu machen oder selbstironisch und satirisch-dreist ins Gegenteil zu verkehren.)
Berechtigt also, solche Produktionen schnellstens unterschiedslos zur immerhin
sich selbst bewussten Schlock-Horror-Fraktion à la „2001 Maniacs“ zu
verorten, dessen suppiger Splatter von vornherein nichts anderes als geschmacklos
sein will.
Als willkürliche Triebfeder dient bei „Wilderness“
der erlebnispädagogische „Outward Bound“-Ausflug auf eine scheinbar unbewohnte
(an die schottischen Highlands gemahnende) Insel, der der Häftlingsgruppe
eines Jugendgefängnisses nach dem Suizid eines terrorisierten Mitinsassen
kurzerhand als Kur verschrieben wird. (Was Top-Managern die Ellenbogen abrunden
und unter ihnen eine Art Gemeinschaftsgefühl stiften kann, ist ja zumindest
einen Versuch wert.) Um dann ein wenigstens annähernd paritätisches
Geschlechterverhältnis herzustellen, das für eine vernünftige
Gruppendynamik unverzichtbar ist, trifft man halt zufällig auf drei junge
Frauen. Als soweit alles angerichtet ist, radikalisieren mysteriöse Angriffe
den Trip zum Extrem-Survival.
Die insgesamt recht unsympathische Clique versammelt
an Delinquenten so ziemlich alles, was sich an Klischees aus einem düsteren
Jugendknast bergen lässt: ein genuiner Psychopath, ein ebenfalls drangsalierter
(offenbar nach Anleitung designter) Nerd, unterschiedlich motiviertes, zufallsgeneriertes
sadistisches Füllmaterial, aber auch ein halbwegs Aufrechter, den man nach
dem überraschend frühen Abtreten der beiden Aufsichtspersonen als
Protagonisten bezeichnen muss. Die eingebauten Ambivalenzen verleihen ihm aber
keine Plastizität, indem sie eine reizvolle Widersprüchlichkeit entwickeln,
sondern geben ihn schlicht der Lächerlichkeit preis, womit der Film ganz
mutig auf einen Helden und eine funktionierende durch ihn induzierte massenkompatible
„What would you do?“-Perspektive verzichtet.
Ganz so viel Selbstvertrauen beweist der britische
Low-Budget-Streifen dann aber doch nicht. Denn ein anderes Motiv, als sich zu
verkaufen, kann man ohne Anmaßung einfach mal ausschließen. Im Bewusstsein,
eine unberechenbare Klientel zu bedienen, sich auf einem gesättigten Markt
zu bewegen und das Rad nicht gerade neu zu erfinden, sind die Herstellungskosten
dementsprechend gering gehalten - hauptsächlich aufgrund des großen
Anteils an debütierenden Darstellern, die sich aber ganz im Interesse der
Produktionsfirma nicht zwingend für weitere Engagements aufdrängen.
Was wiederum den Produzenten die Möglichkeit gibt, im nächsten ihrer
Verbrauchsgüter einer neuen Riege an „unverbrauchten (und kostengünstigen)
Talenten“ eine Chance zu geben.
Wenn solch konsequenter Beliebigkeit eine gehörige
Portion Unplausibilität als Komplize zur Seite gestellt wird, kann das
entweder durchaus interessant werden - etwa wenn man als Zuschauer versucht,
die Reihenfolge der Tode zu antizipieren - oder einfach nur dämlich: Wo
sich beim dritten und jüngsten Auswurf der „Final
Destination“-Franchise (gleichfalls
ein Opfer dieses Bündnisses) die männliche Hauptfigur offenbar unberührt
von den erlebten Traumata (und seinen Platz auf der Abschussliste missachtend)
in heller Vorfreude auf den Weg zu einem Sportereignis macht, nur um das Gefahrenpotenzial
der U-Bahn auszuschöpfen, ignoriert in „Wilderness“ der Vergewaltiger in
der Truppe (ein weiteres „unerlässliches“ Obligat), die angespannte Gesamtsituation
im Allgemeinen und die bestialische Tötung seines engsten Kumpels im Speziellen,
um noch rechtzeitig vor dem eigenen Ableben seiner Rollendefinition zu genügen.
Was zunächst als reichlich verkaterte Soziologie
mit aufgeschnappten pädagogischen und psychologischen Versatzstückchen
angeht, potenziert sich zum Ende hin, wenn alles miteinander verkocht wird,
zur unerträglichen Migräne. Schließlich wurde ja die ursprüngliche
Versuchsanordnung ziemlich schnell hinfällig, sodass der Film seine wichtigen
Aussagen – sprich: die inhaltliche Substanz – auf andere Konfliktsituationen
projizieren muss. Dem beratungsresistenten Attentäter (dessen Identität
schon derart früh enthüllt wird, dass man das Gefühl nicht los
wird, der verantwortliche Autor hätte sich im Stolz über diese Idee
einfach verplappert) wird da mal eben im Angesicht der umliegenden Leichenteile
wegen seines unverantwortlichen Handelns eine Szene (inklusive psychologischer
Diagnose und pädagogischer Lektion) gemacht; den tumben Mitläufer
erwischt es dann, als man unzimperlich aushandelt, wem er denn eigentlich hörig
ist; dem Außenseiter wird nur eine denkbar kurze Genugtuung über
die erlittenen Qualen seiner Peiniger vergönnt; und ansonsten werden hier
in einer Tour Rachegefühle befriedigt und zu diesem Zweck die gestellten
Fallen des Killers (und die Angriffe seiner Jagdhunde) auch auf gruppeninterne
Feinde umgewidmet.
Das alles nimmt zwar bisweilen irrwitzig genreparodistische
Ausmaße an, aber nicht zuletzt das irritierende Pathos der debilen Schlusszeile
(„Ich bin auf dieser Insel gestorben. Wir alle sind gestorben.“), die abschließend
ausgetauschten bedeutungsschwangeren Blicke und die geschmeidigen, völlig
deplatziert dazwischen geschnittenen Helikopter-Aufnahmen der Insellandschaft
wollen hier allen Ernstes Seriosität versichern, ohne dass auch nur irgendetwas
dafür bürgen würde.
Erik Pfeiffer
Wilderness
WILDERNESS
GB
2006 – 93 min. – FSK: ab 18 – Erstaufführung: 19.3.2006 (International
Festival of Fantasy Films, Brüssel)
Regie:
Michael J. Bassett
Drehbuch:
Dario Poloni
Kamera:
Peter Robertson
Schnitt:
Kate Evans, Ryan Hendrick
Musik:
Mark Thomas
Darsteller:
Stephen Don (der Jäger), Stephen Wight (Steve), Sean Pertwee (Jed), Alex
Reid (Louise), Toby Kebbell (Callum)
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