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Der
wilde Schlag meines Herzens
Mutters
Musik
Mit
"Der wilde Schlag meines Herzens" hat sich der französische Regisseur
Jacques Audiard an ein Remake von James Tobacks "Fingers" gewagt
Diese
Kamera hat nur ein Ziel. Bring mir den Kopf von Romain Duris. Hintergründe
werden in psychedelische Unschärfe getaucht. Ja, auch ganz vorne, zwischen
ihm und der Kamera, gehn drei eben gerade noch handlungswichtige Russen vorbei,
doch auch sie werden zu reinen Farbwerten eingedampft. Denn wir wollen wissen,
was vorgeht in dieser Birne - und nur dies.
Er
ist ein gutaussehendes Arschloch, wie es vielleicht früher Delon gespielt
hätte. Er dealt mit Immobilien, zerschlägt Scheiben von Wohnungen
und setzt Ratten in Kellern von Häusern aus, wo Migranten leben, spekuliert,
setzt Leute unter Druck und hört zeitgenössische Tanzmusik aus Qualitätskopfhörern
der Firma Sony. Doch im Gegensatz zu Delon hat er eine Psychologie. Es geht
was. In seiner Birne.
Der
Vater macht dieselbe Sorte Geschäfte wie er und sieht doch aus wie eine
leicht verrohte Version von György Ligeti. Die Mutter war Konzertpianistin.
Dies hätte auch das Schicksal des von Romain Duris gespielten Tom sein
sollen. Doch die Mutter starb, woran, wie man andeutungsweise erfährt,
auch der langhaarige Brutal-Vater nicht ganz unschuldig war. Und der junge Mann
gerät in das verrucht-brutale Milieu Pariser Klein-Fieslinge.
Aber
die Musik meldet sich zurück. Tom erkennt einen ehemaligen Agenten seiner
Mutter. Er nimmt Stunden bei einer chinesischen Pianistin, die kein Französisch
spricht. Mühsam reprogrammiert sich der kleine Schläger am Klavier.
Aggressionen und körperliche Staus müssen jetzt andere Wege gehen.
Die Kamera und die Lehrerin sehen der Sublimation bei der Arbeit zu. Er macht
pianistische Fortschritte in dem Maße, in dem er als Geldeintreiber und
Schwein nicht mehr funktioniert.
Jacques
Audiards Film tritt als Remake von James Tobacks "Fingers" auf, in
dem Harvey Keitel wesentlich brutaler einen Charakter gibt, der "schizophren"
zwischen den zwei Persönlichkeitsoptionen Sadismus und Verfeinerung pendelt.
Tom ist anders. Er baut sich von der einen Person in die andere um. Die Musik
wird ihm zum kulturellen Medikament.
Natürlich
nur die klassische: Eine gigantische Montage schaltet von seinen um Intonation
und Tempo einer Bach-Toccata kämpfenden Händen auf dieselben Hände,
wie sie zu im Kopfhörer laufender elektronischer Lounge-Musik in einer
Kneipe Luftpiano spielen. Hier die billigen Pre-Sets, dort die persönlich
erkämpfte und errungene Beherrschung der Klänge, das Handwerk, die
Kunst.
Zu
diesem Hausmusik gegen "Konserve" und Klassik gegen billigen Pop ausspielenden
Kulturbegriff Angela Merkels kommt das merkwürdige Motiv der Zivilisierung
und Kultivierung durch Feminisierung. Die Seite der Mutter muss gegen die des
Vaters gestärkt werden. Und das ist die der Musik, die nicht nur in der
Erinnerung an die Mutter und ihre schöne hochkulturelle Welt fortlebt,
sondern auch in der nur über Gesten und Berührungen mit Tom kommunizierenden
chinesischen Klavierlehrerin. In ihrem bescheidenen Appartement haust nur die
hohe Frau Musica, und man trinkt Tee statt Whisky.
Diese
ideologische Komponente wird allerdings nicht offensiv vertreten, sie ist eher
eine austauschbare Setzung, um das eigentliche Thema entwickeln zu können.
Dieses ist der Kopf des Romain Duris. Wie man von außen, durch den Kamerablick,
erkennen soll, dass die ambivalenten Züge sich von der einen zu der anderen
Seite langsam herüberneigen. Seine Klavierlehrerin kann ihn, gerade weil
sie nicht im sozialen Medium des Gesprächs mit ihm kommuniziert, erfolgreich
umkonditionieren.
Die
Liebesgeschichte, die dabei entsteht, wird, das ist eine der Leistungen des
Films, nicht romantisch bebildert, sondern nur durch Szenen der Anstrengung.
Sie erklärt sich alleine aus der gegenseitigen Erschließung einer
Welt: Er bringt ihr Französisch bei, sie bringt Ordnung in seinen Kopf.
Wie Keitel bei Toback, so ist auch Duris in beiden Rollen vorstellbar, als Schöngeist
und Schläger, und in beiden Verkörperungen profitiert er von der anderen
Möglichkeit. Doch hat Audiard diesen Antagonismus nicht als tragische Spaltung,
sondern als Stadien einer Entwicklung konzipiert. Das ist angesichts der Präferenz
des Gegenwartskinos für die Statik des schönen Scheiterns ein interessanter
Schritt, der in seiner filmischen Konzentration auf den Kopf und seine Möglichkeiten
der Entwicklung auch plausibel wird - obwohl die Idee der holden Kunst, die
aus der Umstrickung durch des Lebens finstren Kreis helfen soll, nicht überzeugt.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Der
wilde Schlag meines Herzens
Frankreich
2005 - Originaltitel: De battre mon cœur s'est arrêté - Regie:
Jacques Audiard - Darsteller: Romain Duris, Niels Arestrup, Linh-Dam Pham, Aure
Atika, Emmanuelle Devos - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge:
107 min. - Start: 22.9.2005
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