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Wild
X-Mas
Nach längerer Absenz ausgerechnet an Weihnachten
ins Elternhaus zurückzukehren, empfiehlt sich nicht für jeden. Natürlich
erfreut man sich zunächst am Schneemann im Garten, am geschmückten
Baum im Wohnzimmer und daran, von Verwandten und alten Freunden mit offenen
Armen empfangen zu werden. Bis man dann doch auf unangenehme Jugendgenossen
trifft und über schlechte Erinnerungen stolpert.
In seiner Jugend war Chris Brander ein dicklicher
Zahnspangenträger in einem Kaff in New Jersey, und er war unglücklich
in die nette, überaus attraktive Jamie Palamino verliebt. Jetzt arbeitet
Chris als erfolgreicher Musikagent in Los Angeles, ist schlank und gutaussehend
und wechselt Freundinnen wie seine Designer-Anzüge. Dass er an einem Vorweihnachtsabend
unangekündigt vor der heimatlichen Haustür steht, verdankt sich einem
wahnwitzigen Zufall: Chris war im Privatjet seines Chefs unterwegs, um das untalentierte,
aber ehrgeizige Pop-Sternchen Samantha nach Paris zu bringen. Das Flugzeug musste
notlanden, ausgerechnet im verschneiten New Jersey. Selbstredend ist auch High-School-Schwarm
Jamie nicht weit – die Traumfrau mixt Drinks in der Dorfdisco. Die alte Liebe
flammt wieder auf, aber die Hindernisse auf dem Weg zum Glück sind vielfältig:
Samantha hängt wie eine Klette an Chris – mit dem sie unglücklicherweise
bereits kurz verbandelt war –, und an Jamie ist auch der am Ort beliebte Rettungssanitäter
Dusty interessiert, der flott Gitarre spielt. Für Chris, dessen Ellbogenqualitäten
hier nicht verfangen, wird das Ringen um Jamies Gunst alles andere als ein Heimspiel.
Von der ersten Minute an gibt sich „Wild X-Mas“ jede
Mühe, seinem turbulenten Titel alle Ehre zu machen: Angefangen mit einer
Rückblende zu jener fatalen Abschlussparty, die den Anstoß für
den gedemütigten Helden gab, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Später
lässt vor allem Samantha als lebensuntüchtige Westküstenpflanze
die Funken sprühen, von der fahrlässig mit Alufolie befüllten
Mikrowelle im Luxusjet bis zur Eifersuchtsszene, in der eine komplette Weihnachtsdekoration
in Nachbars Garten zu Bruch und der eine oder andere Dorfbewohner zu Boden geht.
Dieser Wutanfall mit verheerenden Auswirkungen erinnert ein wenig an die Kettenreaktion
in Brian de Palmas High-School-Gruselfilm „Carrie“ (fd 20 286) – und als blondes Teufelchen hilft
Anna Faris einem tatsächlich über viele zähe Passagen hinweg.
Neben der passabel warmherzigen, aber langweiligen
Amy Smart als angebetete Jamie stellt Ryan Reynolds in der Hauptrolle den Problemfall
des Films dar. Offenbar kann sich der Darsteller nicht auf eine naturgegebene
Präsenz verlassen und nervt stattdessen mit unsäglicher Gesichtsakrobatik.
Am Scheitern des Hauptdarstellers trägt das Drehbuch eine gewisse Mitschuld,
weil es sich so gar nicht entscheiden kann, ob Chris nun der aalglatte Zyniker
oder der sympathische Kuscheltyp sein soll. Bei so viel Beliebigkeit wünscht
man sich, Nebenbuhler Dusty würde den Zuschlag kriegen; das Zeug zum „leading
man“ hätte der von innen strahlende, häufig witzigere Chris Klein
allemal. Es nimmt also nicht Wunder, dass die beste (und derbste) Szene in „Wild
X-Mas“ eher von Körpereinsatz und erfinderisch-eklektizistischer Regie
profitiert als von höherer Schauspielkunst: Chris’ glückloser Profilierungsversuch beim
Eishockey-Match auf dem Dorfteich läuft in Zeitlupe ab – wie der berühmte
Amoklauf des Protagonisten in Kubricks „Uhrwerk Orange“ (fd 17 806) gegen die eigene Gang. Auf der Tonspur wirbeln Rossini-Klänge,
während Chris, auf glühenden Kufen in Richtung Tor rasend, einen Mitspieler
nach dem anderen zur Seite drückt. Dann fliegt ihm der Puck ins Gebiss,
und vom Kieferchirurgen bekommt Chris nach zehn Jahren wieder eine Zahnspange
verpasst. Auch das eine unschöne Erinnerung an die Jugendzeit. Im Gegensatz
zu derart prägenden Erfahrungen wird man die harmlose Weihnachtsklamotte
jedoch schnell vergessen.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Wild
X-Mas
USA
/ Kanada 2005 - Originaltitel: Just Friends - Regie: Roger Kumble - Darsteller:
Ryan Reynolds, Amy Smart, Anna Faris, Chris Klein, Christopher Marquette, Julie
Hagerty, Stephen Root, Fred Ewanuick, Amy Matysio - FSK: ab 6 - Länge:
94 min. - Start: 21.12.2006
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