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Willenbrock
Die
Geschichte ist schnell erzählt. Magdeburg (Coproduzent ist auch der MDR).
Die Geschäfte laufen (Autohandel). Der Chef (Axel Prahl) pflegt die Beziehung
zu mehreren Frauen. Da stören Kriminelle (Russen) die Nachtruhe. Versuchter
schwerer Diebstahl mit Waffen. Ab in den Knast für 10 Jahre? Aber nein.
Der Staatsanwalt legt die Tat als Bagatelldelikt zu den Akten und läßt
die Russen frei. Ein Schock. Keine Rechtssicherheit mehr! Willenbrocks Wille
ist gebrochen. Hilft die Kunst? Der Gebrochene geht in eine Ausstellung. Todesbilder
gucken.
Man
reibt sich die Augen. Das soll ein Film des Regisseurs von "Nachtgestalten"
sein, von "Halbe Treppe", von "Herr Wichmann von der CDU"?
Das soll eine Verfilmung des Romans von Christoph Hein sein?
Hanebüchen!
Hilft der Kunstkanal? Ich denke schon. Arte hat coproduziert. Und wenn nicht
gesendet wird, kommt der Rechnungshof. - Was ist passiert? Vorher wurde vor
der digitalen Kamera spontan agiert, frei improvisiert; das Kleinstteam legte
keine Positionen fest; die power kam von den Darstellern, und Dresen wurde für
diese Disposition gemocht und geliebt. Mit "Willenbrock" ist alles
anders. Die Anstrengung einen E-Film, Kunst, zu machen, schlägt durch.
Der Film lähmt. Wir haben jetzt das 35-mm-Format, Cinemascope, und Michael
Hammon, der sich als "Bildgestalter" versteht, an der Kamera. "Ich
liebe die Möglichkeit mit Räumlichkeiten zu arbeiten und die Figuren
zu integrieren". - Um es gleich zu sagen: die Darsteller sind integriert,
gar verloren in der Fotografie. Sie sind jetzt für die Kamera da. Und nicht
umgekehrt.
Aber
nochmal. Warum dieses Kunstabenteuer? Was ist passiert? Andreas Dresen: "Ich
bin nachts wach geworden und vor einer wehenden Gardine stand plötzlich
ein Mann in unserem Hotelzimmer. Ich bin aufgesprungen und ihm schreiend nackt
hinterher gerannt. Dieser Vorfall hat uns dann traumatisiert. Wir waren plötzlich
voller Ängste. ... Und im Roman muß (der Held) begreifen, daß
die Welt, in der er lebt sehr viel brüchiger ist, als er je für möglich
gehalten hätte. Er verliert seine Selbstsicherheit, und alles gerät
ins Wanken".
Soweit
zu den parallelen Welten. Damit diese zusammen- und letzte Fragen menschlicher
Existenz ins Blickfeld kommen, hat sich das Drehbuch ausgedacht, Heins Romangestalten
aus dem definitiven zeitgeschichtlichen Kontext (Nachwendezeit) zu lösen
und in allgemeine deutsche, ja europäische Gegenwart zu setzen, denn es
geht "um Größeres, Europa, mit seinen Grenzen, mit dem Verlust
von Werten und dem Zerfall eines Rechtssystems" (Coautorin Laila Stieler),
und Magdeburg kann auch Lübeck sein.
Soso,
jetzt kommen wir aber über letzte Fragen allgemein gültiger Art doch
wieder zum Nachwendebezug. Denn jetzt sind es nicht die Lüburger oder Magdebecker,
die nörgeln, sondern das Drehbuch ist es. Unbegreiflich viele Sequenzen
werden darauf verwendet, um mit pädagogischem Zeigefinger begreiflich zu
machen, daß das System versagt, zerfällt, Hilfe verweigert. "Scheißrussen!
Mauer baun!" - "Die wollen doch auch leben!", der andere.
Kriminelle
wollen auch leben: so sieht nörgelnde Ausgewogenheit aus. Oder platte Penetranz.
Wenn in den ersten Sätzen des Films gleich zweimal die Floskel "Wenn
Sie wissen, was ich meine" eingebaut ist, dann weiß ich in der Tat,
was ich meine.
Wenn
Autorenfilmer Andreas Dresen vorhatte, Heins "Willenbrock" für
die Kinoreihe "Film und Literatur" zu konzipieren, ist das ja nichts
Schlimmes. Auch nicht, daß alles im Film über die Dialoge läuft.
Aber genau das funktioniert nicht. Das Wort wird theatralisch abgefeiert, und
der souveräne Frauenheld hat Mühe, seine Schüchternheit zu verbergen.
Weil das, was gesagt wird, platt ist, wird das Gestelzte peinlich. Hier hätte
nur Dresens berühmte Ironie helfen können. Aber sie hilft genausowenig
wie das Rechtssystem. Sie glänzt durch Abwesenheit. Willenbrock, aufgemischt,
das wärs gewesen.
Dieser
Text erscheint auch in der: taz
Willenbrock
Deutschland 2004 - Regie: Andreas Dresen - Darsteller: Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle, Dagmar Manzel, Christian Grashof, Andrzej Szopa, Tilo Prückner, Vladimir Tarasjanz - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 107 min. - Start: 17.3.2005
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