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The Wind that shakes the Barley
Der
diskrete Charme politischer Didaktik
In "The Wind that shakes
the Barley" zeigt Ken Loach die Anfänge des unschönen Befreiungskriegs
der Iren gegen die Briten
Ken Loach mag etwas Ähnliches
wie Gillo Pontecorvos La
Battaglia di Algeri (1966)
vorgeschwebt haben, aber sein neuer Film The Wind that shakes the Barley, ein Historiendrama um ein Brüderpaar, das sich im irischen
Unabhängigkeitskampf von 1920/21 auf feindlichen Seiten wiederfindet, verdeutlicht
erneut, wie schwierig politische Allegorien im narrativen Kino sind, muss sich
letzteres doch auf leicht vermittelbare Formen und vereinfachte Zusammenhänge
stützen. Loachs Filme neigen seit jeher zu grober Schematisierung, sowohl
was ihre Figurenzeichnungen als auch die Konflikte angeht, über die sich seine
Charaktere definieren. So tat er sich selbst keinen Gefallen, als er bei der
Premiere in Cannes, wo sein Film dieses Jahr mit der Goldenen Palme ausgezeichnet
wurde, The Wind that shakes the Barley als Kommentar auf die Besatzung des Irak verstanden wissen wollte.
History Repeating - Geschichte wiederholt sich. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg
in Nordirland, als Folge des Anglo-Irischen Vertrags von 1921, der die Spaltung
Irlands offiziell vollzog und die "Freien Staaten" (die heutige Republik
Irland) der englischen Krone unterstellte, gäbe einen kleinen Vorgeschmack
darauf, was den Staaten der westlichen Allianz (auch England) bei ihren demokratischen
Aufräumarbeiten im Irak in den kommenden Jahren noch bevorstünde.
So einfach ist der Sachverhalt
natürlich nicht. Der historische Imperialismus des alten Empire, das schon
in den zwanziger Jahren in den letzten Zügen lag, hat sich längst
überlebt. Parallelen zwischen dem Befreiungskampf der Iren gegen die englische
Krone, den afrikanischen Unabhängigkeitskriegen der sechziger Jahre und
der Irak-Besatzung lassen sich kaum ziehen, und das nicht nur, weil sich die
geopolitischen Verhältnisse in den vergangenen achtzig Jahren fundamental
gewandelt haben. Die postkolonialen Unabhängigkeitskämpfe sind heute
mehr denn je nationalistisch-sezessionistischer Natur, eine Tendenz, die auch
in The Wind
that shakes the Barley (der Titel stammt nicht von ungefähr aus einem irischen
Volkslied) deutlich anklingt, ohne hier allerdings eine laute Gegenstimme zu
finden.
Damien und Teddy (gespielt von
Cillian Murphy und Padraic Delaney) stehen bei Loach für die zwei Seiten
des irischen Widerstands. Der Mediziner Damien wurde erst spät politisiert,
sein Bruder Teddy dagegen engagierte sich früh in einer lokalen Zelle der
IRA. Interessant ist, dass Loach den Kampf aus der Sicht der verarmten Landbevölkerung
beschreibt, weit ab von den Metropolen Dublin, Belfast und London, wo die große
Politik gemacht wird. Loach mag Recht haben, dass die Probleme auf dem Land
andere waren als in den Städten; doch die eingeschränkte Perspektive
ist nicht unproblematisch, weil der sozialistische Impetus der Befreiungsbewegung,
der vor allem von den Städten ausging, in The Wind that shakes the Barley kaum Erwähnung findet.
Einzig der Zugführer und
Veteran Dan (Liam Cunningham) gewinnt bei Loach etwas politisches Profil; er
hat schon an der Seite von James Connolly und der sozialistischen Transportarbeitergewerkschaft
gekämpft. Connelly, der die sozialen Gegensätze nicht entlang nationaler
sondern Klassengrenzen sah, wird im Film kurz erwähnt, doch der Konflikt,
den Loach heraufbeschwört, schert sich wenig um historische Kontexte. The Wind that shakes the Barley beschreibt umso eindringlicher
die Zerwürfnisse innerhalb der Befreiungsbewegung und die Zerrissenheit
der Kämpfer angesichts der Radikalisierung des Widerstandes. Natürlich
ist Loach hier voreingenommen. Die Brutalität der englischen Soldaten dient
ihm als Rechtfertigung für das kompromisslose Vorgehen der IRA, auch gegen
die eigenen Leute. Ein Freund, der die lokale IRA-Zelle dem englischen Militär
ausliefert, wird von Damien eiskalt exekutiert. "Wir befinden uns im Krieg",
verteidigen sich die Widerständler. Loach zeigt keine glorreichen Helden,
sondern Realpolitik. Die Gewalt färbt ab und macht stumpf.
Der Bruch verläuft schließlich,
wie so oft bei Loach, zwischen gemäßigten "Realos" und
"Fundis", die sich mit dem faulen Kompromiss des Friedensabkommens
von 1921 nicht abfinden wollen. Doch abgesehen von ihren ausgebeulten Anzügen
unterscheiden sich die IRA-Hardliner kaum von den bourgeois-nationalistischen
Sinn Fein-Anhängern. Loach liefert einige leidenschaftliche Plädoyers
gegen die irische Unterwerfung, aber außer einer gehörigen Portion
Nationalpathos scheint er keine guten Argumente für die richtige Sache
zu finden. Wofür es sich zu kämpfen lohnt, zeigt Loachs Kameramann
Barry Ackroyd dafür auf umso eindrucksvollere Weise: The
Wind that shakes the Barley schildert das irische
Landleben als ein archaisches Idyll in sattesten Grün- und Brauntönen,
das gut zu Loachs altmodischer Didaktik passt. Loach kann in diesen Szenen das
pastorale Pathos von period pieces gerade noch vermeiden, aber insgeheim bekräftigen sie die
Prophezeiung eines englischen Landadligen, der im Film ein Irland unter republikanischer
Führung ein von Priestern verseuchtes Provinznest nennt.
So offenbart The Wind that shakes the Barley unbeabsichtigt auch einen Zwiespalt.
Je länger Ken Loach im Geschäft ist, desto weniger will man ihm das
Traktathafte seiner Filme eigentlich vorwerfen. Regisseure, die mit solch einer
Konsequenz und Leidenschaft den hegemonialen Kinoapparat nutzen, um nicht-kanonische
Geschichte zu erzählen (die politischen Kommentatoren der englischen Presse
schäumten dieses Mal vor Wut), gibt es immer weniger. Auch wenn seine letzten
Filme The Navigators oder Just a Kiss etwas persönlicher und geschlossener wirkten, hinterlässt
The Wind
that shakes the Barley allein schon wegen seiner kämpferischen Haltung (die Folterszenen
gehen an die Schmerzgrenze) einen nachhaltigen Eindruck. Sein politischer Monologismus,
die Funktionalität seiner Geschichten und die trockene Didaktik machen
den besonderen Reiz von Loachs Filmen aus.
Wenn es Ken Loach nicht gäbe,
wüsste man einen Film wie The Wind that shakes the Barley wohl besser zu schätzen.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst (in ähnlicher Form) erschienen im:freitag
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Wind that Shakes the Barley
Irland /
Großbritannien / Deutschland / Italien / Spanien 2006 - Regie: Ken Loach
- Darsteller: Cillian Murphy, Pádraic Delaney, Liam Cunningham, Orla
Fitzgerald, Mary Riordan, Mary Murphy, Laurence Barry, Niall McCarthy - FSK:
ab 12 - Länge: 124 min. - Start: 28.12.2006
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