zur startseite
zum archiv
The
Wind That Shakes the Barley
Bruderzwist in
Irland
Ken Loachs hochdekoriertes Guerilla-Thesendrama
„The Wind That Shakes the Barley“ beeindruckt vor allem als Gruppenportrait
unter Extrembedingungen.
Es beginnt als Spiel: Ein Dutzend junger Männer
jagt, eifrig verfolgt von der Kamera, mit Holzschlägern einem Ball nach.
Aus den nahen und halbnahen Einstellungen vom Rennen, Schlagen und Fallen lassen
sich beim ersten Sehen kaum einzelne Figuren herauslesen, schon gar nicht ein
Überblick über den Verlauf dieser Partie Hurling (einer Art irischem
Landhockey). Was von der Eröffnungsszene im Kopf bleibt, ist eher ein dichtes
Mosaik aus Ausrufen, Gesten, Handgriffen: die Gruppe als Organismus. Mit demselben
genauen Auge für flüchtige Interaktionen wird Ken Loach die Burschen
später beobachten, wenn sie in der irischen Hügellandschaft britischen
Truppen auflauern: als bewaffnete IRA-Partisanen.
Seltsam, aber wahr: Die nüchternen, sparsamen
Miniaturen, in denen dieser Film von Gewalt und Gegengewalt zwischen britischem
Militär und irischer Guerilla anno 1920 erzählt, gehören zum
Eindrücklichsten, was das Körperkino in letzter Zeit hervorgebracht
hat. Dass die Hinterhalte und Hinrichtungen in ihrem räumlichen Realismus
oft mehr nach historischen Laien-Reenactments aussehen als nach komponierten
Actionszenen, macht sie eher noch beunruhigender. Die Aktualität des Themas
Besatzung und Widerstand formuliert sich in den bisweilen chaotischen Gewaltexplosionen
wie von allein mit: „The Wind That Shakes the Barley“ ist, ganz selbstverständlich,
auch ein Irakfilm.
Bei solchen unmittelbaren Impressionen kann es Ken
Loach, der gestandene Didaktiker des britischen Sozialrealismus, aber nicht
bewenden lassen. Lieber setzt er von Anfang an auf überdeutliche politische
Orientierungshilfen: Kaum sind die jungen Männer vom Hurling zurück,
kommen bitterböse britische Soldaten um die Ecke, demütigen sie und
prügeln den Vorlautesten zu Tode. Fünf Filmminuten und einen weiteren
Zusammenstoß mit den verhassten Besatzern später tritt sogar der
friedfertige Medizinstudent Damien (Cillian Murphy) der IRA bei. Sollte er einmal
an seiner Entscheidung zweifeln, dann zögern Loach und sein Stamm-Drehbuchautor
Paul Laverty nicht, ihn an das Krankenbett eines halbverhungerten irischen Buben
zu zerren: In der Wahl der Mittel darf man zu Kriegszeiten nicht zimperlich
sein.
Noch hinter der nuanciertesten Ensembleszene vom
Partisanenkrieg und seinen hässlicheren Seiten schimmert die dramaturgische
Bleistiftzeichnung durch, die Damien ins Schema eines Thesendramas zwingt. Als
1922 ein zweifelhafter Unabhängigkeitsvertrag den irischen Widerstand spaltet,
muss Damien schließlich im Namen seiner Überzeugung seinen eigenen
Bruder Teddy (Pádraic Delaney) bekämpfen, der sich auf die Seite
der neuen irischen Teilrepublik stellt: Bruderzwist im Hause O’Donovan oder
Der Sozialist und der Pragmatiker. Bemühen sich Loach und Laverty zuerst
in ausführlichen Diskussionsszenen um Verständnis für beide Seiten,
so bleibt am tragischen Ende kaum mehr Platz für Ambivalenzen: Klassenfeind
ist Klassenfeind.
Seine Goldene Palme in Cannes hat dem Film wohl der
solide, fast gemächliche Klassizismus eingetragen, der hier Historisches
und Persönliches anschaulich zusammennietet. Zwischen großen Behauptungen
und kleinen Beobachtungen bleibt „The Wind That Shakes the Barley“ dennoch seltsam
(und durchaus produktiv) zerrissen: Fast jede einzelne Szene scheint mit sich
zu ringen, ob sie sich lieber vom Sturm der Geschichte oder der Brise in den
Grashalmen davontragen lassen soll. In einer Erinnerungskultur der Erlebnismuseen
und Gedenkblockbuster wirkt schon diese Unterscheidung an sich einnehmend altmodisch.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Wind that Shakes the Barley
Irland /
Großbritannien / Deutschland / Italien / Spanien 2006 - Regie: Ken Loach
- Darsteller: Cillian Murphy, Pádraic Delaney, Liam Cunningham, Orla
Fitzgerald, Mary Riordan, Mary Murphy, Laurence Barry, Niall McCarthy - FSK:
ab 12 - Länge: 124 min. - Start: 28.12.2006
zur startseite
zum archiv