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Winterschläfer
Es
war schrecklich anzuseh'n,
als
man ihm das Hemd zog aus,
da
dachte jeder bei sich selber:
Jäger,
bleib mit'm Selbstmord z'haus.
(Aus
dem "Jennerwein-Lied")
Unheilvoll
piept und pumpelt elektrische Musik, die Kamera fliegt über verschneite
Bergeshöhen, das Drama vom Skilehrerschicksal auf finstererer Piste nimmt
seinen fürchterlichen Lauf. Dabei hatte alles so privat angefangen, zur
Weihnachtszeit nämlich, wenn viele junge Erwachsene kurzzeitig heimkehren
zum Pflichtermin bei der buckligen Verwandtschaft, und mindestens ebenso viele
über das bisher zurückliegende Jahr resümieren und hoffen, daß
bald mal was vorwärts geht. Vier Circa-Dreißigjährige, allesamt
Bewohner eines bayrischen Bergdorfes, werden da unter die Lupe genommen. Rebecca
und Marco sind ein frischverliebtes Pärchen, er ist reichlich unehrlich
und stark an Geld und schnöden, vergänglichen Werten interessiert,
sie steht hauptsächlich auf Sex und lebt ansonsten unbeschwert in den Tag
hinein. Rebeccas Mitbewohnerin und Freundin ist die frustrierte Krankenschwester
Laura. Sie lernt den örtlichen Filmvorführer Rene kennen, einen etwas
kaputten Typen. Seit einem Unfall mangelt es ihm an einem gut funktionierenden
Kurzzeitgedächtnis. Drum hat er auch völlig vergessen, daß er
am Weihnachtsmorgen im Rausch den Wagen von Marco gestohlen hat, in einen Unfall
verwickelt war und dann geflohen ist. Die Tochter des Bauern Theo war dabei
um's Leben gekommen. Dieser Theo sucht nun den flüchtigen Zeugen und...
naja, auf alle Fälle ist die Sache äußerst schlimm und kompliziert.
Während die vier Dreißiger also noch ihren Selbstfindungsprozeßen
nachgehen, treibt es den "rachsüchtigen Bauer"(Ganghofer) um,
wobei er schließlich Marco für den Flüchtigen hält. Das
"Schicksal"(Riefenstahl) führt die beiden "pfeilgrad"(Eder)
zusammen, und zwar "auf'm Berckh droben"(Trenker). Der sündige
Marco, der sich mittlerweile anderweitig Schuld zugezogen hat, kommt stracks
von oben links in's Bild und der wütende Bauer mit seinem treuen Hund an
der Seite stapft grimmend von rechts unten daher. "Jössas jössas."(Valentin)
Es gibt
Momente bei "Winterschläfer", in denen man gerne mitdenkt mit
diesen vier modernen, aber ziellosen Provinzbewohnern. Vor allem Heino Ferch
als eifersüchtiger Gockel hat Anteil an den wenigen glaubwürdigen
Passagen, und auch die Figur des Filmvorführers enthält ein paar prima
Ideen. Der Rest aber wird von der Regie zugestümpert mit der schlimmsten
Mischung von neudeutschem Plastikpathos und plumpester Antäuschung technischer
Virtuosität seit "Schlafes Bruder". Sehenswert ist "Winterschläfer"
ausschließlich wegen dem Ausnahmeschauspieler Sepp Bierbichler, dessen
immense Wirkung auf Kinoleinwand noch viel zu selten genutzt wird. Der Bierbichler
nämlich braucht überhaupt keinen Text, keine wohlkonstruierte Drehbuch-Arbeit,
der braucht bloß auftreten, und alle aufgescheuchte High-Tech-Angeberei
und tiefsinnsschwere Empfindsamkeits-Poesie gerät in Vergessenheit.
Richard
Oehmann
Diese Kritik
ist zuerst erschienen bei:
Winterschläfer
D
1997 - 124 Minuten -
Regie:
Tom Tykwer
Kamera:
Frank Griebe
Drehbuch:
Tom Tykwer, Anne-Francoise Pyszora
Besetzung:
Ulrich Matthes, Heino Ferch, Floriane Daniel, Marie-Lou Sellem u.a.
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