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Wir
waren niemals hier
Das Störrische
lieben lernen
Die härteste Band Deutschlands: Antonia Ganz
hat über Max Müllers legendäre Band Mutter eine Dokumentation
gedreht - "Wir waren niemals hier" läuft im Panorama der Berlinale
Wie soll man die Musik der Band Mutter beschreiben?
Diedrich Diederichsen versucht es mit Worten: "minimalistischer Heavy-Rock"
[Von Diederichsen hier ein Text zum Film]. Das Kurzstatement platzt in
den Film rein, der sich liebevoll dem Phänomen der Mutter-Musik nähert.
Wir erfahren: Die Musik, die Max Müller seit 20 Jahren macht, entzieht
sich einer Festlegung. Kaum ist das Wilde und Chaotische akzeptiert, wird es
sanft, verletzlich, heimelig, und "die Erde wird der beste Platz im All".
Für die Mutter-Band ist jetzt der "Wir
waren niemals hier"-Film der beste Platz. Antonia Ganz hat aus entlegenen
Winkeln und Ecken Super-8-Material der großen 80er-Jahre zusammengetragen.
Max Müllers Gruppe hieß da noch Honkas oder Camping Sex. Was in den
Privatwohnungen passierte, war auch öffentlich. Maxens Mutter kriegt einen
Vokalpart, der ältere Bruder, Wolfgang, kommentiert das Treiben des jüngeren
günstig, die Schwester überrascht in ihrem Laienchor mit "Maria,
die durch den Dornwald ging".
Alles Disparate findet im Film auf wunderbare Weise
genauso zusammen wie die auseinander strebenden Parts der Band. Umso größer
ist der Spaß, wenn daneben die schlauen Sprüche von Jochen Distelmeyer
oder Rocko Schamoni oder Alfred Hilsberg ins Leere gehen. In einer schönen
Szene, von Antonia Ganz live mitgedreht, sieht man, wie Hilsberg, die Labelgröße
der Achtziger, im hiesigen Jahrtausend wortlos, aber Türen schlagend die
Mutter-Runde verlässt.
Der Film über "die härteste Band Deutschlands",
wie sie gern betitelt wurde, ist heute eine runde Sache. Hätte Antonia
Ganz den Wechsel von hart zu weich und zurück ("Die neue Zeit")
toppen sollen? Sie nimmt sich zurück und lässt den Nummern die Zeit,
die sie brauchen. Also spart sie sich die bekannten Peinlichkeiten, auch sind
wir nicht im Moderatorenfernsehen, sondern schlicht dabei, im Privaten oder
bei "Maria". In den Achtzigern wurde noch provoziert mit Hakenkreuzen,
mit "KZ 36" oder dann mit dem Is-ra-el, das Max Müller obsessiv
ins Mikrofon schreit, minutenlang. Die, die niemals hier gewesen sein wollen,
sind gleichwohl immer da, vorzeitig eventuell. Produziert war der Titel "Europa
gegen Amerika" vor Neinelewwen, erschienen ist er danach, und zurückgezogen
wurde er entschieden nicht. - Das Störrische der Band Mutter muss man lieben,
auch das des Films, der die Genres nicht achtet. Ein Unikum? Ein Unikat!
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Zu diesem Film gibt es im archiv mehrere Texte
Wir
waren niemals hier
Deutschland
2005 - Regie: Antonia Ganz - Darsteller: Max Müller, Frank Behnke, Kerl
Fieser, Florian Koerner von Gustorf, Tom Scheutzlich, Jörg Buttgereit,
Regina Hoppe, Françoise Cactus, Edith Müller, Diedrich Diederichsen,
Wolfgang Müller - Länge: 100 min. - Start: 20.10.2005
Wir
waren niemals hier ist auf DVD erschienen im Mai 2007, als Bonusmaterial befindet
sich darauf u.a. auch der berühmte Kurzfilm: „Das Leben des Sid Vicious“, (erschienen bei absolut Medien [www.absolutmedien.de])
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