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Wohin?
WOHIN?, Achternbuschs neuester Film,
ist deutlich und scharf auf 16 mm gedreht (Kamera: Adam Olech), Richtung Fernsehen,
und dazu paßt die feine Musik von Tom Waits. In WOHIN? wird Gabi Rothammer
(Gabi Geist) Nachrichtensprecherin beim Bayerischen Fernsehen, denn der Posten
ist freigeworden, nachdem der alte Nachrichtensprecher beobachtet worden war,
wie er in einen Achternbuschfilm ging. Gabis neue Karriere bekommt jedoch einen
frühen Knick, weil sie sich als Terroristin verdächtig gemacht hat.
Zivilfahnder Totharsch (Franz Baumgartner) observiert sie am Starnberger See,
im Wanzenhäuser Biergarten. Und es stimmt leider, sie hat den bayerischen
Ministerpräsidenten dahin gebissen, wo andere Menschen einen Hals haben,
und nun ist der Landesfürst aidskrank, jedenfalls war der Test, dem er
sich im Beisein des Erzbischofs von Freising unterzogen hat, positiv, wobei
Gabi schwört, daß ihr Aidstest, der ihr vor Antritt der neuen Stellung
abverlangt worden sei, negativ ist und eine Fälschung des Testes doch nicht
anzunehmen ist, nur um jemanden überführen zu können, an der
Aidskrankheit des bayerischen Ministerpräsidenten schuld zu haben.
Achternbusch hat den Nerv, an
dieser Stelle den in der Tat schwer aidskranken Schauspieler Kurt Raab im Biergarten
von Wanzenhausen auftreten zu lassen; total abgemagert und auf Krücken
schleppt er sich zu einem Gartenstuhl und zitiert Rückert: „Und wenn der
Herbst die Lilie bricht ...". „Ach du mein lieber Fassbinder", seufzt
Raab herzerweichend, „wo ist denn hier die Toilette?" Gabi fragt ihn: „Hast
du Kondome?" Es stellt sich heraus: er hat keine. „Der weltberühmte
Kurt Raab hat keine Kondome!" entrüstet sich Gabi. Auch die Biertrinker
schütteln den Kopf, und Raab hat nichts mehr zu sagen. Statt stillem Mitleid
im Krankenzimmer die unverschämte und öffentliche Zurschaustellung?
- Achternbusch setzt auf die säkularisierte Blasphemie. Eine Klopapierrolle
führt ihn stracks ins Bayerische Fernsehen. Gabi hat die Rolle im Slip
gehabt, nun rollt sie auf dem Weg zur Münchner Sendeanstalt aus, und Achternbusch
braucht nur hinterherzulaufen und zu wickeln zu wickeln zu wickeln, die Mittelstreifen
der Straßen zwischen Starnberg und dem Sendehaus inklusive. Ja, so kommt
man in das Haus des Bayerischen Rundfunks. Mit dem flotten Lied „Gut Nacht die
Damen, es war wunderschön" schließt der Film ebenso harmonisch
wie geschmacklos.
WOHIN? ist eine Unverschämtheit,
wüst und derb. Form und Förmlichkeit wird Gewalt angetan, Sitte und
Anstand verletzt. Redensarten und Kalauer werden beim Wort genommen und in die
Spielhandlung überführt. Das Home Movie (Griechenland-Aufnahmen) bricht
in die bunte Bilderwelt der bayerischen Anti-Folklore, und Tabus sind dazu da,
um verletzt zu werden. Ja, Achternbusch ist (ästhetischer) Gewalttäter.
Aber was er in WOHIN? zertrümmert, das ist die pure Realität des heimatlichen,
bayerischen, deutschen Offiziellen, und wer wie Achternbusch um sich schlägt,
ist nichts als ein Opfer, das sich in seiner Not und Verzweiflung wehrt und
verteidigt - und dabei erfinderisch wird. Die Gegen-Gewalt von WOHIN? findet
ihre Mittel in einer anarchischen Poesie, die einem Menschen zu Wort und Ausdruck
verhilft, der zutiefst gekränkt und verletzt ist von dem, was ihm unsere
Autoritäten antun und zumuten. Achternbusch ist auch in WOHIN? der Moralist,
der ein Bild findet für die Sehnsucht derjenigen, die sich der Umklammerung
durch die reale Gewalt entwinden möchten. WOHIN? ist eine Befreiungsvision,
der Sieger-Traum des Ohnmächtigen und Verzweifelten. Was kaputtgeht in
diesem Film, und sei es die strahlende Gesundheit des bayerischen Ministerpräsidenten,
dient als Mittel der sinnlichen Kommunikation und der Erkenntnis. WOHIN? ist
ein humaner Film. Aus dem, was demoliert, demontiert und ruiniert wird, wächst
Kraft und Mut fürs Überleben, ja, auch, zum Sich-Entziehen, zum Aufmucken
und zum Widerstand.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film 7/88
WOHIN?
Bundesrepublik
Deutschland 1988. R, B und P: Herbert Achternbusch. K: Adam Olech. Sch: Micki
Joanni. T: Heike Pillemann. Ko: Ann Poppel. Gl: Dietmar Schneider. V: Filmwelt.
L: 98 Min. FSK: 16, ffr. St: 5.5.1988. D: Gabi Geist (Gabi Rothammer), Franz
Baumgartner (Franz Totharsch), Gunter Freyse (Bruder Gunter), Annamirl Bierbichler
(Rosa), Josef Bierbichler (Skunk), Edda Petri, Judith Achternbusch (Nichten),
Kurt Raab, Herbert Achternbusch.
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