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World
Trade Center
Cristina Nord ist in Venedig und wird Zeugin,
wie Spike Lees "Katrina"-Dokumentation Oliver Stones 9/11-Film zunichte
macht
Donnerstag ist Desastertag. Am Nachmittag wird in
der Orizzonti-Reihe Spike Lees Dokumentation über den Hurrikan "Katrina"
und dessen Folgen gezeigt. "When the Levees Broke. A Requiem in Four Acts"
ist ein mehr als vierstündiger Film, der mit dem Katastrophen-Management
des Bundesstaates Louisiana und mit dem der Bush-Regierung hart ins Gericht
geht (siehe taz vom 29. 8.06). Gleich im Anschluss läuft Oliver Stones
"World Trade Center" (außer Konkurrenz). Was aus dem Zusammenprall
dieser beiden Filme resultiert, ist in seiner Konsequenz fast irritierend: Lees
episch angelegte Dokumentation macht Stones Spielfilm über den 11. September
2001 in New York nicht nur lächerlich, sie macht ihn zunichte.
Warum? Weil einem "World Trade Center"
jede Möglichkeit nimmt, den Film anders denn als Vehikel einer stockkonservativen
Weltsicht zu betrachten, als Vehikel einer Weltsicht, die zur Grundlage hat,
dass es um die Vereinigten Staaten von Amerika bestens bestellt wäre, gäbe
es nicht die Bedrohung von außen. Lee aber dementiert genau diese Weltsicht
mit "When the Levees Broke" - und zwar so nachhaltig, dass seine Bilder
vom Versagen der Behörden den Traum von der inneren Intaktheit Amerikas
begraben. Stone, der vor nicht allzu langer Zeit mit "Comandante" noch ein Hohelied auf Fidel Castro anstimmte,
träumt nun von der Größe und der Strahlkraft der USA, und es
ist kein Wunder, dass die Rechte den Film für sich vereinnahmt.
Die Polizisten, die unter Leitung von John McLoughlin
(Nicolas Cage) in die brennenden Türme hineingehen, um die dort Eingeschlossenen
zu evakuieren, sind Amerikaner wie aus dem Bilderbuch: treu sorgende Familienväter,
mutig, mit einem Sinn für Humor gesegnet, der sich daran erfreut, Witze
über die bunten Boxershorts eines Kollegen zu machen. Die jeweilige Herkunft
der Figuren - ob mexikanisch, deutsch, jüdisch oder italienisch - wird
in den Namen und in spezifischen Ausdrucks- und Redeweisen wachgerufen. Dass
kein Afroamerikaner in der Polizeieinheit ist, mag den Tatsachen entsprechen
("World Trade Center" bezieht sich auf tatsächliche Geschehnisse),
sticht aber umso mehr ins Auge, nachdem man Lees Film gesehen hat - beobachtet
der doch mit Bitterkeit, wie wenig sich Amerika für die Afroamerikaner
interessiert.
Stone mag viel daran gelegen sein, das Bild eines
Melting Pot zu entwerfen, doch tut er dies um den Preis einer signifikanten
Leerstelle. Genauso bereitwillig verzichtet "World Trade Center" auf
aktive, starke Frauenfiguren. Die Ehefrauen der beiden Verschütteten, Donna
(Maria Bello) und Allison (Maggie Gyllenhaal), dürfen, kaum liegen ihre
Gatten unter den Trümmern, nur noch in Begleitung ihrer Väter oder
Brüder oder Söhne ins Bild treten. Das ist ein so grauenvoller Paternalismus,
dass es mir den Atem verschlägt. Selbst wenn ich sonst Kriterien, die sich
aus nichts anderem als der Frage nach der politisch richtigen Repräsentation
ableiten, misstraue, so ist der Backlash hier so allumfassend, dass ich gar
nichts anderes denken kann als: Willkommen in den 50er-Jahren.
In der Exposition von "World Trade Center"
sieht man die Bilder, die man so oft gesehen hat: die Türme nach dem Einschlag
der Flugzeuge. Auch eine der Aufnahmen, in denen ein Mensch aus dem 100. Stock
stürzt, montiert Stone in den Film hinein. Diese Aufnahme befremdet: Ich
schaue jemandem zu, der noch lebt, von dem ich aber weiß, dass er im allernächsten
Augenblick sterben wird. Beziehungsweise: dass er vor fünf Jahren gestorben
ist.
Was passiert, wenn diese Bilder Spielfilmmaterial
werden? Werden sie konsumierbar? Erneuert sich, was sich an sie knüpfte,
als ich sie zum ersten Mal sah? Das Entsetzen, der Schrecken? Oder sind diese
Bilder inzwischen nichts weiter als ein Marker, ein Signal: Achtung, jetzt bitteschön
so richtig betroffen sein?
Schwierig zu sagen. So viel ist klar: Am Ende von
"World Trade Center" besinnt sich ein Marine außer Dienst seiner
soldatischen Wurzeln, schaufelt sich durch Schutt und Staub, packt an und rettet,
und schließlich sagt er: "Da draußen muss es ein paar echte
Kerle geben, um dies hier zu rächen." Im Abspann ist zu lesen, dass
die Person, an der sich die Filmfigur orientiert, tatsächlich zwei Jahre
lang im Irak kämpfte. Spike Lee weist voller Zorn darauf hin, dass in den
vom Hochwasser verwüsteten Häusern in New Orleans noch Monate nach
dem Hurrikan Leichen lagen. Einem Film, der die Rettung zweier Verschütteter
zelebriert, mag ich kein einziges Bild mehr glauben.
Cristina Nord
Dieser Text ist
zuerst erschienen in der taz vom 2.9.2006
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Texte
WORLD TRADE CENTER
Frankreich
2005. R: Oliver Stone. B: Andrea Berloff. P: Michael Shamberg,
Stacey Sher, Moritz Borman, Debra Hill. K: Seamus McGarvey. Sch:
David Brenner, Julie Monroe. M: Craig Armstrong. T: Wylie Stateman, Michael
Wilhoit. A: Jan Roelfs. Ko: Michael
Dennison. Pg: Kernos/Paramount. V: UIP. L: 96 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung.
Da: Nicolas Cage (John McLoughlin), Michael Pena (Will Jimeno), Maggie Gyllenhaal
(Allison Jimeno), Maria
Start:
28.09.06 (D)
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