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Das Wunder von Bern
Weil
Opi halt so rührend war
Es
ist eine in diesen Tagen viel beschworene Wahrheit, dass man keine Filme über
Fußball drehen kann. Die Ausnahme bildet Helmut Costards Fußball wie nie,
der ein ganzes Spiel nur die Beine von George Best, dem „Fußball-Beatle“ der
sechziger Jahre, beobachtete. Selten indes werden die Gründe für die Regel
benannt. Hier wären welche: Ein Spielfilm muss immerzu einen Sinn ergeben, darf
keinen Leerlauf zulassen, muss um Aufmerksamkeit und Empathie buhlen und ist
daher selten wirklich überraschend. Er unterliegt dem mittlerweile die gesamte
Konsumkultur strukturierenden Zwang, einem Plot zu dienen. Ein Fußballspiel
hingegen kennt endlose, öde Phasen quälender Ereignislosigkeit, erzählt nicht,
wird nicht sinnvoll, gerät völlig außer Form und Gestalt, versinkt im Matsch
und – jederzeit kann alles passieren. Wenn es passiert, dann versöhnt dieses große
überraschende Ereignis mit allen anderen Ereignissen im Leben.
Deswegen
haben die Deutschen auch geglaubt, dass mit dem überraschenden Gewinn der
Fußballweltmeisterschaft von 1954, dem so genannten „Wunder von Bern“, alles
Böse vorbei und vergolten sei. Der gleichnamige Film von Sönke Wortmann handelt
denn auch weniger von Fußball als von diesem deutschen Gefühl, den Zweiten
Weltkrieg eher erlitten als veranstaltet zu haben und nach der schrecklichen
Niederlage auf dem einen Feld nun auf dem anderen endlich Recht bekommen zu
haben. Und der Film gibt den Deutschen weitgehend Recht bei ihrem Gefühl. Ein
abschließend über den Zug mit den heimkehrenden Weltmeistern geblendeter Text
meldet, dass direkt nach diesem Sieg auch das Wirtschaftswunder losging. Die
einzige Person, die kurz auf deutsche Verbrechen verweist, ist der
kommunistische Bruder unserer Hauptfigur. Und er tut in vorauseilendem
Gehorsam, was Volkes Stimme von Kommunisten erst zehn Jahre später lautstark
verlangte: Er geht nach drüben. Aber auch dort, im FDJ-Hemd, verfolgt der im
Herzen deutsche Junge gebannt das Endspiel.
Sönke
Wortmann, der selbst einmal eine Fußballerkarriere anvisierte, weiß um den
unverfilmbaren Fußball und hat sich für zwei andere Filme entschieden: zum
einen für eine Schmonzette über Vater, Sohn und die Deutschen als Opfer, zum
anderen für einen heiteren Bilderbogen über die Fünfziger, ihre Tapetenstoffe,
ihre DKWs, ihre Frisuren.
Der
erste Film wählt den immer schon und gerade in den fünfziger Jahren bewährten
Trick, um die Deutschen als Opfer erscheinen zu lassen: Er stellt in den
Mittelpunkt einen so genannten Spätheimkehrer. Zehn Jahre in russischer
Kriegsgefangenschaft garantieren, dass der Betreffende mehr erlitten, als
verbrochen haben muss. Dieses Schicksal wird aber nicht einmal als spezifisches
erzählt, sondern paradigmatisch als eines, das in seiner Leidenstiefe
symmetrisch der Endspielsieg-Euphorie gegenübersteht. Nur vor der Tiefe des
erduldeten Leids erscheint der himmelhoch jauchzende Torjubel im rechten gleißenden
Licht. Nur durch das besonders gedemütigte Nicht-wer-Sein des Lagerhäftlings
ist das Wieder-wer-Sein des Weltmeisters ausbalanciert. Entscheidend an der
Zeit vor 1945 war allerdings, dass Deutsche in Lagern gequält und ermordet
haben, nicht andersherum. Wer so national-allegorisch erzählt wie Wortmann,
darf sich nicht hinter der Ausrede des individuellen Schicksals verstecken, das
er restfrei für eine Parabel auf deutsche Geschichte verwurstet.
Das
emotionale Interface dieses deutschen Opfers ist eh wie je die rührende
männliche Wortkargheit. Millionen Familien bewältigten die deutsche
Vergangenheit dadurch, dass Opi nun mal so rührend war. Wie Heinz Rühmann. Zum
Vater gehört in der Welt rührender Männer bekanntlich der Sohn. Peter Lohmeyer,
der auch im wirklichen Leben Fußballfan ist und inzwischen ein bisschen
aussieht wie Hans-Jörg Felmy, hat dafür seinen für rührende Gesichtsausdrücke
sehr begabten leiblichen Sohn zur Verfügung gestellt. Vor dem Hintergrund des
einerseits sehr deutschen, andererseits nicht mit Nazi-Images belasteten
Ruhrgebietes, lässt sich so eine Vater-Sohn-Tränendrüse leicht bis auf den
letzten Tropfen auspressen. Hier gilt mehr als anderswo: Je weniger er spricht,
desto aufrichtiger ist der Mensch. Desto deutscher. Dass ein deutscher Junge
nicht weine, will der Spätheimkehrer seinem Sohn zu Beginn noch einbläuen. Dass
ein deutscher Junge doch weinen darf, ja die Sentimentalität den Königsweg zum
historischen Freispruch darstellt, hat er nach dem 3:2 gelernt.
Der
andere Film ist etwas ungeduldig mit diesem ganzen deutschen Kram und will
lieber in den schrillen Fifties schwelgen. Dafür wird die heitere Geschichte
eines ehrgeizigen jungen Sportreporters und seiner reizend kapriziösen Ehefrau
aus sehr gutem Hause in akkurat angehäufte Accessoires der Epoche gestellt. Die
Süddeutsche Zeitung und ihr geliebtes Eisdielen-München erscheinen als ewig
italienisierendes Gegengewicht zur deutschen Schwermut. Bunt prickeln die
Farbpunkte in den gerade noch an dunkel-schlammiges Ruhrelend gewöhnten Augen,
wenn unser vergnügtes Paar in einem Architektentraum logiert, der an die
Knoxvilla aus Rolf Kaukas Fix und Foxi erinnert. Das erkennbar
begeisterungsfähige Set-Design hat nicht an visuellem Brausepulver gespart.
Dass
aber jeder Gegenstand in jedem Bild uns aufgekratzt seine historische Herkunft
mitteilt („Hey, ich bin ein typischer Fifties-Wecker“), führt zu seltsamen
Effekten. Bei einem Film, der sich kinematografisch und dramaturgisch eher auf
mittlerem TV-Niveau bewegt, geschieht es selten, dass jedes Bild so aussieht,
als wäre es lange erwogen worden. Das ist hier aber der Fall, weil ständig das
Problem zu lösen war, wie man all die Museumsstücke zur Geltung bringt. So
entsteht eine nicht unattraktive Künstlichkeit, die einen langsam auf die
wilden visuellen Höhepunkte vorbereitet. Etwa wenn im virtuellen Berner
Wankdorf-Stadion ein abstraktes reines Pixel-Publikum Deutschland zum Sieg
brüllt, das beim Näherzoomen plötzlich weitgehend aus von der Handlung schon
eingeführten Darstellern besteht. Derweil verfolgen im Ruhrgebiet in der Kneipe
echte brummige Männer das Endspiel, die die Sorge umtreibt, dass „wir“ dieses
Endspiel genauso verlieren könnten wie den Krieg. Der als Rock’n’ Roller avant
la lettre gezeichnete Helmut Rahn („der Boss“), Sympathiemittelpunkt des Films
und einzige Verbindung zwischen seinen beiden Welten, hat das zum Glück
verhindert. Natürlich ist Sönke Wortmann kein Nazi. Sein Film ist nicht der
Meinung, dass es besser gewesen wäre, wenn Deutschland den Krieg gewonnen
hätte. Aber er ist durchaus der Meinung, dass sich aus dem Scheiß mit dem
verlorenen Krieg ein besonderes Recht der Deutschen herleiten lässt, sich ganz
besonders zu freuen. Sie haben nicht einfach die WM gewonnen. Sie haben endlich
überhaupt mal was gewonnen, die Armen – nach zwei verlorenen Kriegen. Da freuen
sich wortkarge, langbeinige Schmerzensmänner und verbreiten Rührung.
Wenn
die Deutschen die Kargheit ihrer Sprache unterbrechen, sprechen sie
ausschließlich Sätze, die zum Fundus historischen Grundwissens der Mittelstufe
gehören. Auch diese Sätze klingen, als wären sie vom Set-Design ausgesucht
worden. Im Bemühen um passende historische Zuordnung tut sich besonders Sepp
Herberger hervor: eine weitere autoritäre Persönlichkeit („der Chef“), die all
ihre berühmten Sätze nicht nur sagen, sondern auch noch selbstironisch
beschmunzeln darf, als handle es sich von Anfang an um goldene Ironiebomben für
die Nachwelt. Niemand in diesem Film sagt, was nicht schon Millionen Male
wörtlich so gesagt worden wäre. Und dennoch und gerade deswegen ist selbst
diese Geschichte noch nie so frech neokonservativ abgespult worden.
Zum
Wunder von Bern gehören zwei filmhistorische Berührungspunkte. Mit dem
„Aus, aus, aus, Deutschland ist Weltmeister!“ ist bei Rainer Werner Fassbinders
Ehe der Maria Braun wirklich alles aus: der Film, das Leben, das
Deutschland. Müde schaut er auf die weltmeisterliche BRD, lässt seine Figuren
sterben und wendet sich ab. Bei Wortmann fängt nun alles an, das gute Leben,
die Fifties, die deutsche Komödie. Bei Fassbinder – im diametralen Gegensatz
dazu – hallt im Triumph von Bern der Tod jeder Hoffnung auf ein besseres
Deutschland mit. Der andere Bezugspunkt, durch den Titel, ist das Wunder von
Mailand: ein Film von Vittorio De Sica aus den fünfziger Jahren, in dem die
Unterdrückten und Beleidigten der italienischen Stadtrand-Slums plötzlich
fliegen können und durch das Wunder ihrer Flucht der Realität die Quittung für
ihre Unerträglichkeit ausstellen. Das Wunder von Bern ist das Gegenteil
eines solchen Wunders, das materielle Zwangsläufigkeiten einmal unterbricht,
nämlich kein Wunder, sondern das ganz normale Nachkarten der Bürger eines
ehemaligen Schurkenstaates, auch über das Recht auf Triumphe verfügen zu wollen.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der:
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale
mehrere Kritiken
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