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X-Men
2
Die
üblichen Verdächtigungen
In
den Vereinigten Staaten herrscht die nackte Angst. Im Weißen Haus rufen
die politischen Hardliner den Krieg gegen einen unsichtbaren, terroristischen
Feind aus und warnen vor der größten Bedrohung, die einem Staat entgegenstehen
kann - der Bedrohung aus dem Inneren, aus dem eigenen Volk. Jeder Bürger
könnte ein plötzlicher Aggressor sein, Freund und Feind sind nicht
mehr zu unterscheiden. Man spricht von präventiven Verhaftungen, Zwangsinternierungen,
Verhören.
Das
Szenario kommt dem Zuschauer seltsam bekannt vor. Im ersten Teil der Mutanten-Saga,
noch vor drei Jahren, blieb Bryan Singers schon damals hochgradig politische
Aussage genau das: ein Szenario. Doch nach dem Terrorjahr 2001 und der Einrichtung
des Untersuchungsgefängnisses im rechtsfreien Raum der Guantanamo Bay scheint
die Geschichte, die das Sequel "X-Men 2" erzählt, näher
an einer aktuellen realpolitischen Bestandsaufnahme als an einer fiktiven, futuristischen
Anti-Utopie. Auch die traurige Tatsache, daß man sich bei der Bekämpfung
der plötzlich unkontrollierbaren Mutanten auf andere, scheinbar kontrollierbare
Mutanten verlassen will, hört sich seltsam vertraut an. Und wenn sich dann
noch herausstellt, daß die vermeintlichen Feinde vor vielen Jahren selbst
gezüchtet wurden, dann ist die politische Allegorie eigentlich vollständig.
Schon
bei der diesjährigen Oscar-Verleihung wurde deutlich, daß die amerikanische
Filmindustrie bei aller Vaterlandsliebe einen zweiten Rechtsruck in eine neue
McCarthy-Ära nicht mitmachen würde. "X-Men 2" gehört
nun zu den ersten Kinofilmen, die nicht nur direkt auf den Terror des 11. September
reagieren, sondern auch auf das daraus resultierende, immer noch anhaltende
Angsttrauma dieser Nation, das sich in patriotischen Ausbrüchen und blindem
Aktionismus niederschlägt.
Hier
findet ein ansonsten schaler Film seine einzige scharfe Klinge, hier ist er
ganz bei sich. Die Darstellung des durchaus komplexen Gewebes von Terror und
Gegenterror, von Radikalen und Gemäßigten auf beiden Seiten eines
politischen Konflikts, von guten Vorsätzen und grausamen Mitteln, das gelingt
Singer auf beeindruckende Weise. Leider ist es die einzige Darstellung, die
ihm in "X-Men 2" gelingt.
Sicher,
die Setdekorationen sind wieder einmal brillant, die Kampfsequenzen wirken wesentlich
ausgereifter als im ersten Teil, und auch die Spezialeffekte haben eine wirklich
beeindruckende Wirkung. Ohne Inhalt allerdings bleibt jede noch so hübsche
Verpackung wertlos.
Doch
sehr schnell verliert sich Singers Film in der anscheinend notwendigen Dauerberieselung
mit Action-Sequenzen, was wiederum unweigerlich zu dünnen Dialogen führt
und zu Plotlöchern so groß wie Ground Zero. Außerdem wird,
wie schon im Vorgängerfilm, durch die Vielzahl der Charaktere und das gleichzeitig
blindwütige Tempo jeder Ansatz einer Schauspielleistung von einem eigentlich
hochkarätigen Ensemble unterdrückt: Famke Jansen, Patrick Stewart
oder Halle Berry können nicht viel bewirken, wenn ihren Charakteren immer
nur wenige Sekunden Aufmerksamkeit geschenkt wird, bevor sie wieder durch die
nächste Gefahrenzone gehetzt werden. Nur Ian McKellen und Brian Cox hat
man diesmal einige Momente der Größe gelassen.
Es
ehrt Bryan Singer, daß er offensichtlich keinen reinen Action-Kracher
drehen wollte, sondern einen ernsthaften Film über reale Probleme. Daß
er dabei allerdings auf das Comic-Genre zurückgreifen wollte, wo die Charaktere
schon allein durch ihre Namen "Magneto" oder "Pyro" jede
ernsthafte Konversation ins unfreiwillig Lächerliche ziehen, war ein Fehler.
Und so kam es, daß dann letztendlich doch nur ein reiner Action-Kracher
aus "X-Men 2" geworden ist.
Daniel
Bickermann
Diese Kritik ist zuerst erschienen im: Schnitt
X-Men
2
USA
2003. R: Bryan Singer. B:
Michael Dougherty, Dam Harris. K: Newton Thomas Sigel. S: John Ottman. M:
John Ottman, Michael Kamen. P:
The Donner's Company, Bad Har Harris. D:
Patrick Stewart, Hugh Jackman, Sir Ian McKellen, Halle Berry, Famke Janssen
u.a. 138 Min. Fox ab 1.5.03
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