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Young Guns
Schon in der optisch und szenisch
verfremdeten Eingangssequenz wissen wir, wo wir sind: nicht in einem Western,
sondern in einem bösen Traum davon. Daß da immer wieder zuviel ist
und die Ebene der Rationalität, aber auch die der Genre-Traditionen immer
wieder verlassen wird, ist daher gleich zu erwarten. Was in diesem Film geschieht,
ist weder Geschichte noch Mythos, es ist ein Traum junger Männer, die ebensowenig
je Kinder gewesen sind, wie sie je Erwachsene werden können. Das Brat Pack
dieses Films, Emilio Estevez, Kiefer Sutherland, Lou Diamond Phillips, Charlie
Sheen und die anderen träumen sich einen Western aus Zeichen um ihren und
ihrer Bewunderer Zustand herum: die Auflösung des sozialen Zustands Jugend
als Übergangsphase, als Ausbalancierung von Rebellion und Anpassung, als
einen Weg in die Zivilisation, zugunsten eines neuen gesellschaftlichen Niemandslandes.
James Dean, das war eine Möglichkeit, mit der man kokettieren konnte, die
Ausnahme, von der die triste Regel träumte; das Brat Pack dagegen bildet
eine wachsende Typographie aus, es bildet alles ab, was man zwischen sechzehn
und zwanzig sein, denken und träumen kann. So ist erklärlich, warum
ein Brat-Pack-Western zwar Typen, aber keine Modelle nebeneinander setzt. So
unterschiedlich die Jungen dieses Filmes sind, sie erleiden mehr oder weniger
alle dasselbe Schicksal.
Die jungen „Regulatoren",
die der Rancher John Turnstall um sich geschart hat, um gegen die Repressalien
seines machtgierigen Konkurrenten Murphy zu bestehen, haben schon alles hinter
sich, sie haben ihre Familien, ihre Heimat, der Indianer Chavez sogar sein ganzes
Volk verloren. Ihre Sprache ist die Gewalt, aber Turnstall bringt ihnen noch
etwas anderes bei: Tischmanieren, Lesen und Schreiben, eine Moral. Bei einem
nächtlichen Tanzvergnügen lernen wir die Menschen kennen, die für
die Entwicklung der Handlung bestimmend sein werden: den Rechtsanwalt Alex und
seine Frau Susan, die sich mutig aber machtlos gegen Murphy und den korrupten
Sheriff Brady stellen, das Mädchen „China", das Murphy seinen „Beschützer"
nennt, und dem der junge Regulator Doc mit selbstverfaßten Gedichten den
Hof macht, den Friedensrichter, der sich der Korruption nicht zu erwehren vermag
und Pat Garrett, dem William Bonney nacheifern will. Bonny ist gerade erst,
und ein wenig gegen den Widerstand des Cowboy Dick, in die Gruppe der
Regulatoren aufgenommen worden und hat sofort enge Freundschaft mit Turnstall
geschlossen. Auf dem Nachhauseweg reiten die Jungen übermütig einen
Hügel hinunter, da wird Turnstall von Murphys Männern umringt und
erschossen. Auf Alex' Betreiben werden die Jungen zu Deputies ernannt und beginnen
auf ihrem Rachefeldzug nach und nach das, was schließlich als „Lincoln
County War" in die Geschichte des Westens eingehen wird.
William Bonney, den man bald Billy
the Kid nennt, wird nach Dicks Tod durch die Kugeln eines Kopfgeldjägers
zum Anführer der Gruppe, die nach einigen Akten grausamer Selbstjustiz
vom Gesetz und von der Armee gesucht wird. Billy ist zwar offensichtlich ein
wenig neurotisch; ihm als einzigem scheint das Schießen wirklich Spaß
zu machen, er tötet mit solch einfacher moralischer Selbstverständlichkeit,
wie es nur kindlicher Wahrnehmung entsprechen könnte. Aber er hat, neben
der Rache für seinen väterlichen Freund, noch ein weiteres Motiv für
seine Taten: er glaubt, damit die Öffentlichkeit soweit mobilisieren zu
können, bis der Präsident selber sich um die Verhältnisse in
„Lincoln County" kümmern würde: Der Verlust der Vatergestalt
kann nur durch den Tod anderer Männer einerseits oder eine noch größere
Vatergestalt andererseits wettgemacht werden. Am Ende überbringt Pat Garrett
die Nachricht, daß Alex in größter Gefahr ist, und führt
Billy und seine Leute damit in eine Falle, der Billy, Doc und Chavez gerade
noch entkommen können. Billy kehrt noch einmal zurück, um Murphy mit
einem Schuß in die Stirn zu töten.
Der Drehbuchautor John Fusco hat
schon in CROSSROADS an amerikanischen Mythen gebastelt und sich an einer etwas fehlkonstruierten
Boy/Hero-Beziehung versucht. Auch YOUNG GUNS ist alles andere als ein Action-Film;
es wird - als hätte Sam Peckinpah Kinderaugen - staunend, brüllend,
beschmutzt gestorben. Und Regisseur Christopher Cain zeigt seine Helden auf
der Suche nach dem Glück, das sie immer wieder verlieren. Der traditionelle
Outlaw-Mythos funktioniert nicht mehr, und wird, zum Teil ganz buchstäblich:
mit Gewalt, wieder zum Funktionieren gebracht. Der Film kann nichts anderes,
als sich wie seine Figuren im Kreis zu bewegen: vom Poetischen ins Gespenstische
ins Gewalttätige ins Groteske und wieder ins Poetische undsoweiter. Jeder
Brat hat, ein bißchen zu ausgewogen als es der Komposition guttut vielleicht,
seinen großen Auftritt, und so beeindruckend einzelne Szenen sind (die
„kleinen" eher noch als die auf Effekte angelegten), so will aus ihnen
nichts richtig Ganzes werden. Mythos, Reflexion und Selbstdarstellung kommen
einander ein wenig ins Gehege. Anders als SILVERADO hat YOUNG GUNS etwas zu
sagen, wenn er auch selber (auch hierin CROSSROADS verwandt) nicht genau weiß,
was es ist. Es geht um das, was kommt, wenn der „Generationenwechsel" und
die ihn begleitenden seelischen und gesellschaftlichen Konflikte keinen Sinn
mehr ergeben. IST ES LEICHT, JUNG ZU SEIN? Diese Frage in Form eines Western
zu stellen, mag hierhin und dorthin führen. Zu einer Renaissance des Genres
bestimmt nicht.
Georg Seeßlen
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: epd Film 2/89
Young Guns
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