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Zeit
der Männer, Zeit der Frauen
Die verschiedenen
Seiten der Tradition
Der deutsche Verleihtitel dieses
Films führt in die Irre: "Zeit der Männer, Zeit der Frauen"
- das klingt nach Parität und Ausgleich, dabei handelt der Film vom Gegenteil,
nämlich von den Lebenslasten, welche die Tradition in Tunesien sehr einseitig
den Frauen aufbürdet. "Männersaison", wie man den französischen
Originaltitel wohl übersetzen müsste, bezeichnet den einen Monat Urlaub
im Jahr, den die Männer aus Djerba in der Heimat bei ihren Familien verbringen.
Den Rest des Jahres wohnen und arbeiten sie in der Hauptstadt Tunis, während
ihre Frauen auf der Insel festsitzen. Die Regisseurin Moufida Tlatli geht den
Langzeitfolgen dieser Lebensumstände nach, den bitteren Konsequenzen für
Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Töchter.
Die "Zeit der Männer"
handelt also fast ausschließlich von Frauen - und ist doch mehr als eine
weitere feministisch inspirierte Anklage gegen die Frauenfeindlichkeit eines
islamischen Landes. Nicht zufällig macht Tlatli eine - schwache - Männerfigur,
den kleinen Aziz, zum Antrieb ihrer Geschichte. Am Anfang steht Aziz Tobsuchtsanfall,
den keine der anwesenden Frauen beruhigen kann. Weil sie ihren autistischen
Sohn nicht ins Heim geben will, beschließt Aischa, die zentrale Figur
des Films, nach Djerba zurückzukehren. Ihre zwei erwachsenen Töchter
und ihre Schwägerin begleiten sie. Für alle vier wird es eine Reise
an den Ort ihrer prägendsten Erinnerungen. Die Auseinandersetzung mit denselben
hilft auch den Zuschauern, die schwierige Verfangenheit im Geflecht der Zwänge
von Tradition und Ökonomie aufzulösen.
Dass ihr kranker Sohn sie an den
Ort ihrer langjährigen "Gefangenschaft" zurückbringt, ist
für Aischa die Ironie ihrer Lebensgeschichte. Denn seine Geburt hat sie
einst erlöst; lange Jahre hatte sie ihren Mann gebeten, sie mit nach Tunis
zu nehmen, und genauso lange hatte der darauf bestanden, dass sie ihm erst einen
Sohn zur Welt bringen sollte. Als sie ihren Teil des Tauschhandels endlich erfüllt,
ist die Verbitterung über das lange Warten jedoch schon so groß,
dass die Krankheit des Sohnes das Paar weiter auseinander bringt. Der "missratene"
Wunschsohn steht für die gescheiterten Hoffnungen, doch am Ende des Films
verbindet sich eine kleine Utopie mit ihm: Aziz, der nicht sprechen kann, findet
in der Frauenarbeit am Webstuhl seine Ausdrucksmöglichkeit, er wagt sozusagen
den Transfer und entscheidet sich jenseits der tradierten Rollen für das
Anderssein.
Dieses Plädoyer für
das Anderssein ist um so ergreifender, als Tlatli nicht nur die repressiven Seiten der
Tradition zeigt, sondern auch das Aufgehobensein in ihr. Glücklich sieht
man Aischa und Said in der Hochzeitsnacht, und ein Abglanz dieses Glücks
ist auch noch sichtbar, als Aischa Jahre später vorwurfsvoll ihren Mann
fragt, was ihr denn das Heiraten gebracht habe. "Einen Ehemann", sagt
der stolz und im Einklang mit einem auch für ihn nicht einfachen Leben.
Wie paradox diese Antwort für
sie klingt, kann Aischa ihrem Mann kaum vermitteln. Lange Zeit scheint ihr Unglück
durch das ihrer Schwägerin relativiert, deren Mann sofort nach der Hochzeit
zum Arbeiten nach Frankreich ging. Seither hat sie nie mehr etwas von ihm gehört.
Das Jahr über in der Gemeinschaft der allein gelassenen Frauen geborgen,
steht Zeineb zum Neid verurteilt abseits, sobald die Vorbereitungen für
die Ankunft der Männer beginnen. An ihrem Beispiel wird der Zustand des
Gefangenseins, in dem sich all die verheirateten Frauen ohne Männer befinden,
am deutlichsten: Die Tradition wird zur Fessel, weil sie keinen Ausweg bietet
aus dem Teufelskreis der Versprechen, die sich nie erfüllen. Für die
Frauen auf Djerba geht es nicht darum, sich gegenüber ihren Männern,
sondern gegenüber ihrem Schicksal zu emanzipieren.
Wie überhaupt Tlatlis Film
keine Täter entlarvt. Zwar ist die Schwiegermutter, die in Abwesenheit
der Söhne den Haushaltsvorstand darstellt, eine tyrannische Gestalt, aber
es wird auch erzählt, dass sie weitergibt, was ihre Schwiegermutter ihr
einst antat. Für die beiden Töchter Aischas geht es nun darum, aus
solchen von Generation zu Generation vererbten Mustern auszubrechen. Die eine
muss in ihrer jungen Ehe das Trauma einer versuchten Vergewaltigung in ihrer
Kindheit überwinden und die andere sich mit dem prekären Status auseinander
setzen, den sie als Geliebte eines verheirateten Mannes eingeht. Wo für
die Mutter noch kein Ausbruch aus der vorgegebenen Moral denkbar war - der Film
lässt an einer Stelle lediglich deren Sehnsucht nach einem Liebhaber in
der Begegnung mit dem Lehrer ihrer Töchter aufscheinen -, verfügt
die Tochter immerhin über die Möglichkeit der Entscheidung.
"Mir tut der ganze Körper
weh", ist der Satz, mit dem die verschiedenen Frauen und Mädchen immer
wieder ihre große persönliche Not äußern. Die Unschärfe
dieser Aussage umschreibt dabei zugleich präzise ihre Lage: Sie leiden
nicht an einzelnen Symptomen, sondern an ihrem Geschlecht als sozialer Gegebenheit.
In Bildern von rauer Schönheit,
in denen die Helligkeit von Stein, Strand und Sonne mit den dunklen Haaren der
Frauen und ihren farbenfrohen Kleidern kontrastiert, inszeniert Tlatli die lustvollen
Vorbereitungen der Frauen auf die Ankunft der Männer. Wie sie in Vorfreude
gemeinsam ihre Körper pflegen, gehört zu den wenigen Momenten, in
denen die traditionellen Verrichtungen mit ihren Bedürfnissen harmonieren.
Die Stärke von Tlatlis Film liegt im Verständnis für diesen Zwiespalt:
So sehr die überkommenen Lebensmuster beschränken, geben sie doch
auch Halt.
Barbara Schweizerhof
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der Berliner Zeitung am 11.10.2001
Zeit
der Männer, Zeit der Frauen
Tunesien
/ Frankreich 2000 - Originaltitel: La Saison des hommes - Regie: Moufida Tlatli
- Darsteller: Rabiaa Ben Abdallah, Sabah Bouzouita, Ghalia Ben Ali, Hend Sabri,
Ezzedine Guennoun, Azza Baaziz, Mouna Noureddine, Lila Falkat - Länge:
124 min. - Start: 11.10.2001
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