zur
startseite
zum
archiv
Zeit
der trunkenen Pferde
Filme
aus dem Iran begegnen uns ein wenig wie Kino der ersten Generation. Dabei beglücken
uns Kiarostami und Co. schon seit einigen Jahren mit ihren traumhaft sicheren
und einfachen Bildern. Doch immer wieder lösen ihre Filme und löst
"Zeit der trunkenen Pferde" die Schockwirkung eines ersten Blicks
aus, als richte zum ersten Mal ein Mensch das Kameraauge auf die Welt, die ihn
umgibt. Es ist Bahman Ghobadis erster Langfilm, und es ist bestürzend,
wie sicher er sich seiner Sache ist.
Die
europäische Filmgeschichte bietet Beispiele dieser Wirkung eines scheinbar
ersten Blicks, der italienische Neorealismus etwa verdankt seinen Erfolg zu
einem großen Teil dem bewußten oder auch von der Not diktierten
Verzicht auf zahlreiche Konventionen des Filmemachens und der Tatsache, daß
er in seinen stärksten Momenten einen unverbildeten, vorurteilslosen Blick
auf die Menschen und ihre Dinge warf.
Diese
völlige Differenz zur vorhandenen Bildsprache, die Reduktion der Mittel
und nicht zuletzt die Wucht des Zeigens wie des Gezeigten haben mich "Zeit
der trunkenen Pferde" fassungslos erleben lassen und an eine Grenze geführt,
dem Gesehenen mit Begriffen zu begegnen. Das liegt auch daran, daß sich
die Bestandteile des Films sowohl auf der Bild- wie auf der Produktionsebene
noch viel weniger als sonst voneinander isolieren lassen. Vielleicht, weil "Zeit
der trunkenen Pferde" in seiner Vollkommenheit unantastbar erscheint, es
noch zu früh und das Erleben noch zu stark ist, als daß ich ihm mit
analytischer Erfahrung begegnen möchte oder auch nur könnte.
Die
Dinge vor der Kamera scheinen mit ihr untrennbar zum Filmbild verschmolzen,
und ohne daß eine bewußte Führung der Darsteller durch den
Regisseur erkennbar wird, vermittelt jede Bewegung der Figuren den Eindruck
von Richtigkeit und Echtheit. Dokumentarisch scheint für diesen von Lebenswirklichkeit
ganz und gar durchdrungenen Film ein zu schwaches Wort. Auch rührt der
gewaltige Eindruck eines solchen Films daher, daß er in seinem Verzicht
auf jegliche technische Spielerei sich auf das Elementarste des filmischen Bildes
konzentriert, auf Bewegung, und das vollendete Miteinander von Regie, Buch,
Kamera und Darstellern der Bewegung ihre existentielle Dimension zurückgibt.
So
ist der engste Verwandte Ghobadis im europäischen Kino möglicherweise
Luis Buñuel, nicht der Surrealist des "Chien andalou" und des
"L'Age d'or", sondern der Dokumentarist von "Las Hurdes",
einem Film, der ebenfalls die Wirkung eines Kinos der ersten Generation entfaltet.
Beide Filme verbinden eine eindeutige Topographie, ohne daß sie uns damit
eine Verortung auf unserer Erfahrungslandkarte erlaubten, sowie die Gleichzeitigkeit
von Gewalttätigkeit und poetischer Unschuld, das Spannungsfeld zwischen
Archaik und Zivilisationsrudimenten. Und wie Buñuels "Los Olvidados"
rückt Ghobadis Film die Kinder in den Mittelpunkt, ohne ein Kinderfilm
zu sein oder den Blick angesichts autobiographischer Bezüge sentimental
werden zu lassen. Allen drei Filmen gemein ist filmisch und soziologisch eine
Geschichtslosigkeit, die aber Bezüge zur jeweiligen Entstehungszeit nie
verbirgt. Deshalb werden Filme wie "Zeit der trunkenen Pferde" überall
und zu jeder Zeit sehende Menschen schockieren und beglücken, faszinieren
und verstummen lassen, weil ästhetisches Fassungsvermögen und moralische
Gewißheit immer hinter ihnen zurückbleiben.
Thomas
Warnecke
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Zeit
der trunkenen Pferde
Zamani
baraye masti asbha. Iran
2000. R,B,P: Bahman Ghobadi. K:
Sa'ed Nikzat. S: Samad Tavazoi. M:
Hossein Alizadeh. D: Mehdi Ekhtiardini, Rojin Yunesi, Ayub Ahmadi, Ameneh Ekhtiardini
u.a. 79 Min. Start (D) ab 25.10.01
zur
startseite
zum
archiv