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Die Zeit die bleibt
Zu dritt ein Kind
machen
Der Beitrag zum Genpool gibt einem hedonistisch
verfehlten Leben Sinn: François Ozons Spielfilm "Die Zeit, die bleibt"
ist schwerer ideologischer Kitsch. Hübscherweise rettet ausgerechnet der
Sex das Melodram vor dem Absturz ins Bodenlose
Zunächst ist "Die Zeit, die bleibt"
einer von diesen konservativen Filmen, in dem ein egoistischer Großstädter
und Single zu family values erzogen werden soll: Dem Fotografen Romain (Mevil
Poupaud) wird gleich zu Beginn die Höchststrafe erteilt: Krebs, unheilbar,
Tod in wenigen Wochen. Warum musste er auch so ein hedonistisch in den Tag lebender,
oberflächlicher Schönling sein? Ein Schwuler drüber hinaus, der
sich in Dark Rooms und Discos unter seinesgleichen Sexbesessenen herumtreibt
und seine dort für Drogen und Kicks aus dem Fenster geworfenen, unverschämten
Geldmengen in der oberflächlichen Modebranche verdient. Für seine
rechtschaffen besorgten Eltern hat er nur Verachtung übrig. Familie und
Familiäres hasst er, dieser nur seine Lust lebende Egoist. Am widerlichsten
findet er seine Schwester, mit der er, wie wir Rückblenden entnehmen, sich
als Kind so symbiotisch gut verstanden hat, und die nun so ganz in ihrer Mutterrolle
aufgeht und ihn auch noch damit belästigt, ob er nicht die blöden
Bälger mal porträtieren möchte. "Wir sind ihm nicht hip
genug", quengelt sie. Die blöde Kuh. So weit, so Udo Di Fabio.
Nach dieser Exposition wird aber unser hedonistischer
und egoistischer Schwuler geläutert, vom nahenden Tod abgeschmackterweise.
Was die Sache nicht besser macht. Erst trifft er sich mit seiner herrlich unkonventionellen
Großmutter, dargestellt von der natürlich großartigen Jeanne
Moreau, was aber das Konzept der herrlich unkonventionellen Großmutter
auch nicht viel besser macht. Dann begegnet er einer Raststättenbedienung
(Valeria Bruni-Tedeschi), die ihn rätselhaft anschmachtet. Es stellt sich
heraus, dass sie und ihr zeugungsunfähiger Mann einen gut aussehenden Typen
wie ihn suchen, der ihr ein Kind macht. Der todgeweihte Fashion-Fotograf freundet
sich mit der Idee an, einen Erben auf der Erde zu hinterlassen. So weit, so
immer noch Udo Di Fabio.
Aber nun kommt eine wirklich tolle Szene: Das Kind
wird gemacht. Sie schläft mit Romain, der schläft mit ihr, aber zugleich
mit ihrem Mann, der wiederum auch mit seiner Frau schlafen will, wenn das eigene
Kind entsteht. Ozon gelingt diese überdeterminierte Dreier-Szene wider
alle Erwartungen, die die bisher in diesem Film herrschende Lustverteufelung
gepflanzt hat. Man sieht tatsächlich einer echten mitreißenden Koproduktion
von unterschiedlich motivierten Liebenden zu, deren Körper sich in Lust,
Liebe und von sonstigen Motiven angestiftet sich gezielt verschlingen und zugleich
clumsy und ungeschickt bleiben, ungeschützt und rührend und dann auch
wieder sexy. In diesen Bildern ist eine postfamiliäre Utopie tatsächlich
für kurze Zeit sichtbar, auch wenn Ozon zugleich die Deutung offen hält,
dass hier nur ein reicher todkranker Schwuler von einem Hetero-Ehepaar ausgebeutet
wird, das sich zudem noch ein nettes Erbvermögen für sein ungeborenes
Kind sichert. Doch ihre Blicke für Romain, Romains Augen für sie und
ihren Mann, die plötzlich stimmige Körperlichkeit eines scheinbar
ausgedachten und an den Haaren herbeigezogenen Arrangements vermögen diesen
Verdacht realistischerweise eben genau für die Zeit des sexuellen Aktes
außer Kraft zu setzen.
Die Szene dauert nicht lange, aber sie versöhnt
nicht nur mit der Exposition, sie lässt auch die Lösung von Romains
Problemen in einem erträglicheren Licht erscheinen. Natürlich verträgt
er sich mit seiner Schwester, fotografiert die besagten Bälger und stirbt
schließlich einen schönen Tod im untergehenden Sonnenlicht eines
dieser französischen Seebäder. Seine mit unmoralisch oberflächlichen
Modefotos verdienten Kröten erbt sein biologischer Sohn. Wie auf diese
Weise ein brutal gekapptes Leben seinen Sinn dadurch erhalten soll, dass der
Sterbende was zum Genpool beiträgt, schließt dann zwar wieder nahtlos
an die ideologische Konstellation der Exposition an, nun aber wenigstens um
Bilder davon angereichert, dass auch die ganze Familiengründerei nicht
ohne Ficken auskommt. Und um dafür schön zu werden, hilft ein hedonistisches
Verhältnis zum eigenen Körper.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz vom 19.4.2006
Zu diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Die Zeit die bleibt
Frankreich 2005
- Originaltitel: Le temps qui reste - Regie: François Ozon - Darsteller:
Melvil Poupaud, Jeanne Moreau, Valeria Bruni-Tedeschi, Daniel Duval, Marie Rivière,
Christian Sengewald, Louise-Anne Hippeau, Henri de Lorme - FSK: ab 12 - Länge:
86 min. - Start: 20.4.2006 (1. Woche)
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