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Der
zerrissene Vorhang
Gibt
es einen schlechten Hitchcock-Film? Zumindest gibt es Filme, die einem
vielleicht persönlich nicht besonders liegen. Für mich gehört dazu „Torn
Curtain“, eine relativ platte und logisch zweifelhafte Agentengeschichte, die
eher an Kalte-Krieg-B-Movies erinnert, denn an den Master of Suspense. Das
Drehbuch schrieb der aus Irland stammende und später in Kanada u.a. durch
Kriminalromane berühmt gewordene Brian Moore.
• I N H A L T •
Der
amerikanische Physiker Michael Armstrong (Paul Newman) plant, sich von
Skandinavien aus nach Ost-Berlin abzusetzen. Armstrong arbeitete in den USA an
einem Raketenabwehrprojekt, für dessen Vollendung ihm allerdings die
entscheidenden wissenschaftlichen Grundlagen fehlen. Diejenige Macht, die eine
solche Technologie als erste entwickeln könnte, hätte einen enormen Vorsprung
im Rüstungswettlauf. Armstrong nimmt mit seiner Assistentin und Geliebten Sarah
Sherman (Julie Andrews) an einem Kongress teil und hat Kontakt mit dem
DDR-Kollegen Karl Manfred (Günter Strack), der Armstrong penibel beobachtet.
Sarah liebt Michael und will nichts weiter, als ihn endlich heiraten. Doch als
ihr einige Dinge merkwürdig vorkommen – z.B. ein geheimnisvolles Buch, das sie
für Armstrong von einem Buchhändler besorgt –, stellt sie Michael zur Rede. Sie
kann es nicht glauben, dass Michael sich zum Feind absetzen will, und ist erschüttert,
als er ihr unmissverständlich erklärt, es gebe keine gemeinsame Zukunft.
Sarah
gibt jedoch nicht auf. Sie bucht einen Platz im selben Flugzeug nach Ost-Berlin
und bleibt ihm auf den Fersen. Der Oberst der Staatssicherheit Gerhard
(Hansjörg Felmy), sein Adjutant Gromek (Wolfgang Kieling) und einige andere
Herren der Parteiführung begrüßen den Überläufer auf dem Flugplatz. Dass er
Sarah bei sich hat, findet man zwar merkwürdig, schert sich aber nicht weiter
darum. Was weder sie, noch Sarah ahnen: Armstrong läuft nur zum Schein über. Er
hat Kontakt zu einer Oppositionsgruppe namens „Pi“ (¶), die Regimegegnern zur
Flucht verhilft, und will dem Leipziger Professor Lindt (Ludwig Donath) die
Informationen entlocken, die den Amerikanern fehlen, um danach die DDR illegal
zu verlassen. Endlich beichtet er Sarah seine Pläne.
Nur
einer traut dem Frieden um den willkommenen Überläufer nicht: Gromek. Als
Armstrong heimlich auf einem abgelegenen Hof mit einem Bauern (Mort Mills) und
seiner Frau, die zu „Pi“ gehören, Kontakt aufnimmt, folgt Gromek ihm mit dem
Motorrad. Gromek stellt die Frau (Carolyn Conwell) und Armstrong zur Rede.
Beide können ihn allerdings überwältigen. Die Bäuerin sticht ihm mit einem
Messer in die Brust, Armstrong schlägt Gromek zu Boden, und beide zwängen
seinen Kopf in den Gasherd. Gromek erstickt.
Was
Armstrong allerdings nicht bedacht hat: Der Taxifahrer, der ihn zu dem Hof
gefahren hatte, erkennt Gromek in der Zeitung wieder, in der die Stasi die
Bevölkerung um Hinweise über den Verbleib Gromeks bittet. Armstrong und Sherman
befinden sich in akuter Lebensgefahr. Die Zeit drängt, auch wenn Armstrong von
Lindt die nötigen Informationen im letzten Moment erhält, bevor der merkt, dass
Armstrong ein amerikanischer Agent ist ...
• I N S Z E N I E R U N G •
Das
alles hört sich mehr nach James Bond, denn nach Hitchcock an. Dies allein wäre
keine Tragödie. Doch die Story ist von vorn bis hinten – eine mittelmäßige
Katastrophe. Newman selbst schrieb vor Drehbeginn an Hitchcock, an dem Drehbuch
müsste wohl noch einiges geändert werden. Hitchcock änderte selbst etliche
Szenen und Dialoge. Das alles aber half nicht allzu viel. Um nur einige
Beispiele zu nennen:
Armstrong
handelt offensichtlich nicht im Auftrag der CIA, sondern in eigenem Namen. Wie
verhält er sich? Strohdumm. Seine engste Mitarbeiterin und Geliebte kommt
relativ einfach dahinter, dass er überlaufen will. Wieso verständigt sie nicht
die amerikanischen Behörden? Aus Liebe? In der DDR soll Armstrong lediglich
einer Befragung durch Wissenschaftler unterzogen werden. Die Staatssicherheit
selbst lässt ihn mehr oder weniger in Ruhe (nur Gromek scheint Zweifel zu
hegen). Armstrong, der wissen muss, dass eine Kontaktaufnahme zu
Oppositionellen gut vorbereitet sein will, damit die Stasi nichts davon
erfährt, verhält sich, als ob es sich bei seinen Plänen um einen verbotenen
Dumme-Jungen-Streich handeln würde. Dass er dann auch noch das griechische Pi ,
das er vor dem Hof in den Sand zeichnet – Erkennungszeichen für die Bäuerin,
dass er kein verkappter Stasi-Spitzel, sondern eben Armstrong ist –, nicht
wieder wegwischt, als Gromek dort erscheint, grenzt an Debilität. Der Mord an
Gromek – ohne Musikuntermalung gedreht – lässt zwar die Handschrift Hitchcocks
erkennen, ist allerdings wider alle Logik inszeniert: Dass ein Mann, dem ein
Messer in die Brust gejagt wird, dessen Klinge abbricht, nicht vor Schmerz
schreit, geschweige denn um Hilfe ruft – der Taxifahrer wartet vor dem Hof auf
Armstrong ! –, ist unglaubwürdig. Dass die Bäuerin – eine nicht gerade sehr
starke Frau – Gromek, der am Boden liegt, in den Gasherd ziehen kann, obwohl
Armstrong fast mit seinem ganzen Gewicht auf ihm kniet, kann man Hitchcock nun
wirklich nicht abnehmen.
Aber
es kommt noch schlimmer. Als Armstrong Lindt Informationen entlocken will,
stellt er sich – einen bekannten, sehr erfahrenen Wissenschaftler, was auch
seine Kollegen in der DDR wissen – derart dumm, dass Lindt sofort vermuten
müsste, das etwas nicht stimmt. Statt dessen löst Armstrongs angebliche,
dümmlich vorgebrachte Unwissenheit aus, dass Lindt wie ein Buch anfängt zu
reden und eine Formel nach der anderen an der Tafel korrigiert.
Als
Armstrong und Sarah in Verdacht geraten, CIA-Spitzel zu sein, werden sie zwar
gesucht. Doch bei dieser Suche stellt die Stasi sich derart unbeholfen an, dass
einem die Haare zu Berge stehen. Auf der Flucht mit einem Bus, in dem sich nur
Leute aus „Pi“ befinden, versucht der Fluchthelfer Jakobi (David Opatoshu)
einem Vopo weiszumachen, ihr angeblicher Linienbus sei zusätzlich eingesetzt
worden. Der Vopo zweifelt nicht daran und eskortiert den Bus bis in die Stadt.
Als die Vopos dann dort herausbekommen, dass irgend etwas nicht stimmt, ballern
sie wie wild und völlig sinnlos (man will doch schließlich von denen was
erfahren, oder?) auf die flüchtenden Passagiere. Armstrong und Sarah entkommen
natürlich, und dann wird man mit der nächsten schrecklichen Szene konfrontiert:
Eine Polin, die Gräfin Kuchinska (Lila Kedrova), will den beiden unter der
Bedingung helfen, dass Armstrong für sie bei den staatlichen Stellen bürgt. Sie
will nämlich ausreisen. Was soll das? Erstens ist sie Polin und wird wohl kaum
von den DDR-Behörden ein Ausreisevisum erhalten. Zweitens wird ihr die
Bürgschaft eines von den Behörden gesuchten Agenten kaum etwas nützen. Drittens
spielt Lila Kedrova diese Rolle derart übertrieben, sozusagen „außer Rand und
Band“, dass man lieber wegschauen möchte.
Auch
die schauspielerischen Leistungen lassen zu wünschen übrig. Newman spielt, als
gehöre er gar nicht in den Film. Er ist entweder völlig unterfordert oder gibt
sich derart unglaubwürdigen Szenen hin wie der mit Lindt an der Tafel. Julie
Andrews hat zwar ein paar gute Szenen – etwa die Auseinandersetzung mit Newman
zu Anfang, als sie von seinen Absichten erfährt –, wirkt aber ansonsten eher
wie eine (fast schon überflüssige)
Statistin. Hansjörg Felmy als Oberst der Stasi ist völlig fehl am Platz (der
Liebhaber steht ihm besser). Die Fluchthelfer – u.a. auch die Ärztin Dr. Koska
(Gisela Fischer) – treten immer dann in Aktion, wenn das Drehbuch mal gerade
wieder in einer Sackgasse gelandet ist.
Der
einzige, der mich wirklich überzeugt hat, ist Wolfgang Kieling. Kieling, im
schwarzen Ledermantel, mit bissigen, ironischen und zynischen Bemerkungen,
einem ebensolchen Blick, spielt diesen Stasi Gromek überzeugend: einen
skrupellosen, intelligenten Mann, der Armstrong immer wieder mit englischen
Zitaten begegnet, weil er offenbar einmal in New York war. Gerade Gromeks
Zweifel an Armstrongs Echtheit, die der kaum übersehen kann, veranlassen den
amerikanischen Wissenschaftler in keiner Weise, vorsichtiger zu sein und
vorbereiteter zu handeln.
• F A Z I T •
Kurzum:
Dieses Drehbuch und diese Inszenierung sind eine reine Katastrophe. Die
Charaktere sind (mit Ausnahme Gromeks) entweder flach, unausgegoren,
unterfordert oder einfach nur peinlich (Kedrova). Und als Sahnehäubchen
inszenierte mein geliebter Alfred Hitchcock eine Flucht Armstrongs und Sarahs,
die sich gewaschen hat, sprich: der nicht vorhandenen Plausibilität dieses
Films die Krone aufsetzt: Die beiden flüchten ins Theater und werden dort in
großen Körben versteckt, die zum Transport der Kleider der Schauspieler benutzt
werden. Stasi-Gerhard und seine Männer, die sich im Theater aufhalten und die
beiden Flüchtenden verfolgen, sehen offenbar keinen Anlass dazu, das ganze
Theater gründlich zu durchsuchen – jedenfalls nicht die Körbe, die munter auf
ein Schiff transportiert werden. Fluchthilfe gelungen, Film allerdings daneben
gegangen.
Hitchcock
drehte später eine weitere Agentenstory, „Topas“ (1969), die zwar auch nicht zu
den Meisterwerken des Regisseurs gehörte, aber wenigstens logisch, spannend und
gut gespielt war. Mit „Torn Curtain“ jedenfalls konnte Hitchcock eigentlich
selbst nicht zufrieden gewesen sein.
Wertung:
4 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen unter dem Namen
POSDOLE bei: ciao.de
Der
zerrissene Vorhang
(Torn
Curtain)
USA
1966, 128 Minuten
Regie:
Alfred Hitchcock
Drehbuch: Brian Moore
Musik: John Addison
Director of Photography: John F. Warren
Schnitt:
Bud Hoffman
Produktionsdesign:
Hein Heckroth, Frank Arrigo
Hauptdarsteller:
Paul Newman (Prof. Michael Armstrong), Julie Andrews (Sarah Sherman), Hansjörg
Felmy (Oberst Heinrich Gerhard), Wolfgang Kieling (Hermann Gromek,
Staatssicherheitsdienst), Ludwig Donath (Prof. Gustav Lindt), Günter Strack
(Prof. Karl Manfred),, David Opatoshu (Mr. Jakobi), Gisela Fischer (Dr. Koska),
Tamara Toumanova (Ballerina), Lila Kedrova (Gräfin Kuchinska), Mort Mills
(Bauer), Carolyn Conwell (Bäuerin)
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