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Das
Zimmer meines Sohnes
Die
Enden der Spaßgesellschaft
Ein
Kind stirbt. Durch einen dummen Tauchunfall, nicht unvermeidlich, nicht voraussehbar,
einfach so, aus Unachtsamkeit. Niemanden trifft Schuld, kein Umstand lässt
sich anklagen, kein Sinn hineindeuten. Eltern, Geschwister, Bekannte sind in
Schmerz gefangen, ein Schmerz, der sich - wie die notorische Schlange - immer
nur in sich selbst verbeißt. Wechselseitige Vorwürfe bringen die
Familie fast auseinander. Dann fordern, ganz vorsichtig, schlichte Tatsachen
ihr Recht: Andere Kinder werden groß, über einem Meer steigt die
Sonne auf, das Leben geht weiter. "Das Zimmer meines Sohnes" besitzt
einen beinahe heiteren Ausgang, doch kein Happy End.
Nanni
Moretti erzählt hier eine Situation, deren unmittelbare Intimität
die größte Herausforderung an die Leinwand bildet. Wie hoch die Fallhöhe
des Themas ist, lässt sich zur Zeit trefflich beobachten an jener "Das
Leben muß weiter gehen" - Hemdsärmeligkeit, die nach New York
diverse "Tribute to the Heroes" - Inszenierungen dominiert, wo Feuerwehrmänner
sich erst Bierschaum aus dem Schnauzer wischen und dann Rotz und Tränen
von der Backe, während Witwen und Waisen Papas Konterfei wie Autogrammkarten
in die Kameras wedeln und Billy Joel am Flügel den "New York State
of Mind" herbeigröhlt. Nichts mehr wird sein wie früher, lautet
die Beschwörungsformel dieses Versuchs, alles beim Alten zu lassen.
Moretti
lässt keinen Zweifel daran, dass nach der Katastrophe solche Rückkehr
zum Status Quo nicht möglich ist. Nach ihrer anfänglicher Flucht in
die Routine aus Schule, Arbeit, Sport, Alltag legt sich die Trauer der Familienmitglieder
wie ein Bleimantel über den Rhythmus des Films, man kann sich kaum mehr
vorstellen, wie "Das Zimmer meines Sohnes" ohne fragwürdige dramaturgische
Kniffe weiter gehen soll. Morettis Lösung ist so einfach, wie intelligent.
Ein Liebesbrief taucht auf und ein Mädchen - eine heimliche Ferienliebe
des verunglückten Sohnes. Den überstürzten Versuchen der Eltern,
sich vermittels ihrer Außenperspektive noch einmal zu vergewissern, dass
er ein guter Junge war, dass er gelebt hat, muß sich das Mädchen
entziehen. Später dann besucht sie die Familie, selbstbewusst ihr eigenes
Leben lebend, auf Urlaubsreise nach Frankreich, einen neuen Freund zur Seite.
"Sie ist sehr nett. Und er? Glaubst du, er ist auch nett?" fragt Moretti
im Film seine Partnerin und lädt zum Lachen ein.
Auch
das nämlich ist eine Angst, die die Eltern gefangen hält: Unser Kind
ist gestorben, wie soll es uns da gut gehen dürfen, wie dürfen wir
uns je erlauben, wieder Freude zu haben. Moretti plädiert auf dieses Recht
auf Freude ohne "Familie", "Schicksal", "Glauben"
abzurufen, jene versöhnenden Instanzen, die normalerweise den wertkonservativen
Kitt des Melodrams bilden. Er bringt keine überpersönlichen Gebote
in Stellung gegen die Zufälle des Lebens, nicht gegen die schönen
und nicht gegen die grausamen. Das Leben geht weiter - bei Moretti klingt diese
Losung auf eine sehr achtbare Weise auch: selbstverständlich.
Urs
Richter
A
propos "La stanza del figlio":
Anders
als in seinen Filmen scheint Moretti im echten Leben eher maulfaul zu sein.
Das einzige nicht-italienischsprachige Interview haben wir in der Le Monde gefunden.
Moretti
begründet seine Abkehr vom filmischen Tagebuchstil: "Je n'ai jamais
eu l'intention de m'ensevelir sous la forme du journal et de la première
personne, qui a culminé avec mes deux films précédents,
Journal intime et Aprile. Mais de la même manière que ces films
étaient aussi des films de fiction, avec des choix de mise en scène
et d'interprétation, je ne considère pas La Chambre du fils comme
moins personnel. L'autobiographie ne prend pas nécessairement la forme
de la chronique mais peut être aussi la transcription dans une fiction
de ses sentiments les plus intimes."
Erstaunlich
ist, daß Moretti im weiteren Fortgang des Interviews die Situation des
zeitgenössischen Italienischen Films ganz optimistisch wertet und kein
Wort über Berlusconi verliert - hatte er sich in "Aprile"
doch als tragikkomischen Kommentator der nationalen Forza und rechtsdrehenden
Medienkulturen inszeniert. Bewahrheitet sich, was die Jungle World in ihrer
"Aprile"-Rezension behauptete: "Nanni Moretti sieht sich allerdings
schon immer einem populären Kino verpflichtet. Er scheut davor zurück,
das ödipale Band zur italienischen Gesellschaft ganz zu durchtrennen und
möchte im Grunde seines Herzens am liebsten als ein zwar starrköpfiger
und renitenter, aber eigentlich doch ganz netter Junge angesehen werden. Nicht
als der Bourdieu oder Schlingensief Italiens, sondern als eine Neuauflage des
Peppone, der allerdings keinen Don Camillo mehr hat."
Was
wir zu sagen vergaßen : "La stanza del figlio" ist sehr sehenswert.
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im Archiv der filmzentrale mehrere Texte
Das
Zimmer meines Sohnes
La
stanza del figlio
Italien
2001.
R.
und B.: Nanni Moretti,
K.:
Giuseppe Lanci,
Schn.:
Esmeralda Calabria,
T.:
Alessandro Zanon,
M.:
Nicola Piovani,
P.:
Angelo Barbagallo, Nanni Moretti,
D.:
Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmine Trinca, Giuseppe Sanfelice.
Prokino,
22.11. 2001
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