zur startseite
zum archiv
Žižek!
Slavoj Žižek – ein Philosoph und Kulturkritiker auf
der Überholspur, atemlos! Bereits die ersten Minuten geben den Ton des
Films vor: Ein vollbärtiger Mann mit wirrem Haar, tiefen Augenringen und
ungebügeltem blauem Oberhemd (also so ziemlich das Gegenteil von Norbert
Bolz) spricht in die Kamera, an der Kamera vorbei, über sein „spontanes“
Verhältnis zur Welt („ziemlich düster“). Er bezieht sich kurz auf
Annahmen der Quantenphysik zur kosmischen Ungleichheit („Die Dinge existieren
aufgrund eines Fehlers“), um dann im Akt der Liebe eine widerstreitende Strategie
zu denken und gleich wieder zu verwerfen. „Universelle Liebe“, „die Liebe zur
Welt“, nein. Žižek liebt die Welt nicht, er schwankt eher zwischen Hass und
Indifferenz – und überhaupt sei die Liebe doch ein extrem gewalttätiger
Akt, weil man aufgrund eines kontingenten Details eine Person aus dem großen
Ganzen herauspicke und diese dann auf ein Podest hebe. So verstanden, komme
man wohl nicht umhin zu sagen: „Love is evil!“ Hui, zugespitzte dialektische
Wendungen im Sekundentakt.
Ist dieses kleine einleitende Referat Žižeks Ausdruck
eines im Wortsinn umfassenden Denksystems oder erleben wir hier, um mit Kleist
zu sprechen, die „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen“?
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Mischung aus beidem, gepaart mit einer
guten Portion medialer Selbstinszenierung und einem offenbar existenziellen
Trieb zur Theorie. An einer Stelle bezeichnet sich Žižek explizit als Monstrum, insofern er sich dem „Spiel
des augenzwinkernden Humanismus“ verweigere. Er sei keiner dieser Theoretiker,
die einerseits beeindruckende Gedankengebäude errichteten, andererseits
aber der Öffentlichkeit durch kleine Signale (Interesse an Fußball;
Leidenschaft für Schokolade) suggerierten, dass sie „irgendwo“ auch ganz
normale menschliche Wesen seien.
Der Slowene Slawoj Žižek wurde Ende der 1980er-Jahre insbesondere im anglo-amerikanischen
Raum zu einer Art Pop-Star der Philosophie, weil er zu dieser Zeit wie kein
Zweiter Empirie, Kulturtheorie, Philosophie und Popkultur zu einem packenden
Gesamt-Sound zu amalgamieren und in eine faszinierende (oftmals sehr witzige)
Form von Theorie-Performance zu transformieren wusste. Man stelle sich vor:
Zizek, ein erklärter Lacanianer, der sich bei Hegel und Schelling so gut
auskennt wie bei Freud und Marx; ein Bär von einem Mann, der immer etwas
gehetzt und derangiert aussieht, der (für uns!) Englisch mit starkem osteuropäischen
Akzent spricht, der zudem etwas lispelt, der alles mit allem in Zusammenhang
zu bringen versteht, atemlos immer neue Zusammenhänge zwischen den Dingen
aufblättert. Der charismatische Performer Slavoj Žižek ist ein gefundenes Fressen für den Film, weshalb
es auch mehr Filme über ihn als über jeden anderen lebenden Kulturtheoretiker
gibt. Vor Jahren bereits erschien die Dokumentation „Slavoj Žižek – Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!“; im Herbst
soll der gerade in England auf DVD erschienene 150-Minuten-Film „The Pervert’s
Guide To Cinema, Parts 1, 2, 3“ von Sophie Fiennes hierzulande in die Kinos
kommen.
Astra Taylors Dokumentation „Žižek!“ konzentriert sich ganz auf den Redner, den von
Vortrag zu Symposium um die Welt reisenden „Jetset-Philosophen“, den faszinierten
Beobachter und Interpreten seines sechsjährigen Sohns. Es geht weniger
um eine filmische Einführung in Žižeks Denken als vielmehr um eine Annäherung an
den intellektuellen Habitus des Denkers.
Folglich redet der Mann ohne Punkt und Komma, in
der Öffentlichkeit, in der Videothek, selbst im Bett. Man erfährt:
Žižek
lagert seine Wäsche in der Küche und besitzt jeweils zwei Exemplare
seiner Übersetzungen in diverse Sprachen. Man sieht einen engagierten Kapitalismus-
und Ideologiekritiker sowie einen Streiter wider die rhetorischen Sprachspiele
der Dekonstruktion Derridas und seiner Schüler. Žižek erklärt nicht die Hollywood-Blockbuster mit
den Theorien von Freud, Marx und Lacan, sondern Freud, Marx und Lacan (und vieles
andere) durch die Hollywood-Blockbuster: „Was Sie immer über Lacan wissen
wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten“, lautet programmatisch der Titel
eines der erfolgreichsten Titel von Žižek (und einigen Mitautoren).
Der Film ist so atemlos wie sein faszinierender,
mitunter herrlich selbstironischer, sympathisch schlitzohriger Protagonist,
der in einer gut sortierten Videothek erfährt, dass ihm die ausgesuchten
Filme von seiner Gastgeberin spendiert werden – und dann gleich noch drei Filme
mehr ordert. Kurz vor Schluss vermutet Žižek dann (und hier wird Taylors Film doppelbödig),
dass seine weltweite Popularität als lustiger Clown der Gegenwartsphilosophie
der Preis dafür ist, dass man das, was er zu sagen hat, nicht ernst nehmen
muss. Als er sein umstrittenes Buch zum Leninismus „Die Revolution steht bevor“
veröffentlichte, wies sein englischer Verlag es zurück, weil man die
witzigen Pointen vermisste. „Žižek!“ besitzt viele dieser Pointen. Wer es etwas weniger
unterhaltsam und seriöser möchte, muss auf „The Pervert’s Guide To
Cinema“ warten. Ansonsten gilt: Žižek lesen! Kritisch, versteht sich.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Žižek!
USA
2005 - Regie: Astra Taylor - Darsteller: (Mitwirkende) Slavoj Žižek - Fassung:
O.m.d.U. - Länge: 71 min. - Start: 28.6.2007
zur startseite
zum archiv