zur startseite
zum archiv
zu den essays
Fünf Minarette in New York
Im
Islamismus-Actioner "Fünf Minarette in New York" von Mahsun Kirmizigül
bewegt sich das türkische Mainstream-Kino von Istanbul bis in den amerikanischen
und türkischen Osten.
Die
Kamera fährt in New York eine weiße Wand empor, auf ein Bild zu.
Das Bild zeigt ein Dorf in monochromen Farben. Kurz verharrt die Kamera auf
dem Bild (im Close-Up: die Wand ist jetzt weg), da färbt es sich realistisch
bunt ein. Der Name des Dorfs, eigentlich eine kleine Stadt: Bitlis. Die vom
Film als Dorf vorgestellte Stadt liegt in Ostanatolien, sich nähernd schon
Iran und Irak, die meisten Bewohner sind Kurden. Dieser beinahe nahtlose Sprung
von der amerikanischen Ostküste an die türkische Ostgrenze ist programmatisch.
Von New York bis nach Bitlis spannt der türkische Actionfilm "Fünf
Minarette in New York" seine Topografie des islamistischen Terrors: dazwischen
liegt, als Schaltstelle fürs - und sei es weltweit - einheimische Publikum,
Istanbul.
In
Istanbul nämlich fliegt ganz zu Beginn ein Auto in die Luft, darin ein
prominenter Schriftsteller und Journalist. Die Spur, die zu den Hintermännern
dieser Tat führt, scheint der türkische Geheimdienst zu verfolgen,
in Gestalt der zwei Protagonisten des Films, Acar und Firat (den spielt Regisseur
und Drehbuchautor Mahsun Kirmizigül selbst). Die Hintergründe sind,
zeigt sich später, komplizierter: Firat hat bei den Dingen, die er, durchaus
brutal bei Gelegenheit, treibt, stets noch eine alte anatolische Familien-Vorgeschichte
im Hinterkopf. Im Vordergrund des eigentlich kaum einmal auch nur halbwegs überzeugenden
Plots wird ein Mann als Kopf des Islamismus gejagt, der auf den neutralen Betrachter
von Anfang an den allerunschuldigsten Eindruck macht: Haci (wie in: Hadsch,
Mekkapilger).
Dieser
Haci lebt in New York, als ostentativ friedliebender frommer Muslim im Kreis
seiner Lieben. Dazu gehört die demnächst amerikanisch zu verheiratende
Tochter Jasmine ebenso wie die christlich-amerikanische Ehefrau Marie und der
afroamerikanische beste Freund Marcus. Letztere werden, das ist eine viel publizierte
Besetzungs-Pointe des Films, von Gina Gershon und Danny Glover gespielt, prominenten
DarstellerInnen aus der vorderen zweiten Hollywood-Reihe, die zuletzt für
den privatmelodramatischen Höhepunkt vom hubschrauberperspektivenreichen
New York noch ins bodenständige Bitlis verfrachtet werden.
Es
kommt noch Robert Patrick hinzu, der den intoleranten amerikanischen Vertreter
von Recht, Gesetz und Islamfeindlichkeit geben darf. In einem der Dialoge, die
immerzu alles Politische schön schlicht ausbuchstabieren, erklärt
Acar, der Englisch spricht, dem Amerikaner, der im Irakkrieg ein paar kurdische
Wörter gelernt hat, wie wenig gehörig es ist, alle Muslime über
den Kamm des Radikalismus zu scheren. Amerikaskepsis ist überhaupt durchaus
Geschäftsgrundlage dieses sich das quasimythische Bild-Potenzial von New
York so freudig aneignenden Werks. (In einer Dialogzeile wird an anderer Stelle
recht unmissverständlich für die EU-Mitgliedschaft der Türkei
plädiert, die dem Fortschritt des Landes in Richtung praktizierter Rechtsstaatlichkeit
nur dienlich sein könne.)
Mehr
und mehr kristallisiert sich im zu Unrecht verdächtigten Haci (ziemlich
großartig: Haluk Bilginer) die Menschenverständigungsbotschaft des
Films. Bis in die Auslegung einzelner Koransuren hinein predigt der Mann Toleranz;
fast sucht der Film selbst häufiger Kirchen auf als Moscheen; nicht zuletzt
führt er letztere wiederholt als Brutstätten islamistischen Gedankenguts
vor, kurioserweise auch mal von oben, als Ornament a la Busby Berkeley im Kreis
tanzartig wogender indoktrinierter Zuhörermassen. Als ganz im Gegensatz
sehr gradlinig-laizistische Massenzeremonie wird dagegen die Vereidigung türkischer
Polizisten vor großen türkischen Flaggen in Szene gesetzt. In Korrespondenzen
dieser Art vermutet man - angesichts der vielfach unbeholfenen Machart des Films
- allerdings weniger eine Autorenintention als das Rumoren eines Unbewussten
der Gruppenfiguration.
Das
Unbeholfene spricht sich in den Dialogen am deutlichsten aus: aus Holz geschnitzt
ausnahmslos; von einem halbwegs gelungenen Einfall zum nächsten flüchtet
sich immerhin die Bildregie; kompetent die Hubschrauberanflüge auf die
tägliche und nächtliche Skyline New Yorks sowie auch das eine und
andere Actionmoment. In der Plausibilitätsabteilung bleibt vieles horrend,
nicht zuletzt die allein dramaturgisch notwendige schäfische Sanftmut des
Unschuldslamms Haci in Tateinheit mit der hochprofessionell-mörderischen
Befreiungsaktion, die sein Freund Marcus auf die Straßen Manhattans legt,
als hätte er das aus tausendundeinem Hollywoodfilm abgeschaut. "Fünf
Minarette in New York" ist kein gelungenes Werk, aber ein interessantes
Symptom: für die Westerweiterung des türkischen Kinoweltbilds und
für einen Willen zur Annäherung ans Reich des nur in einigen seiner
Vertreter durchaus Bösen. Dass man den Film, blickt man auf ihn mit kaltem
atheistischen Herzen, nicht anders als verteufelt fromm finden kann, steht auf
der anderen Seite desselben Blattes.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Fünf Minarette in New York
Türkei 2010 - Originaltitel: New York'ta Bes Minare
- Regie: Mahsun Kirmizigül - Darsteller: Haluk Bilginer, Mahsun Kirmizigül,
Mustafa Sandal, Gina Gershon, Robert Patrick, Danny Glover, Justine Cotsonas
- Fassung: türk. OV / engl.m.d.U. - Start: 4.11.2010
zur startseite
zum archiv
zu den essays