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The Airstrip
„The Airstrip“, der dritte Teil der Reihe
„Aufbruch der Moderne“ innerhalb des Werkzyklus „Photographie und jenseits“,
bricht mit einigen liebgewonnen Prinzipien in den Arbeiten von Heinz Emigholz.
Vor allem auf der Tonebene ist der nach dem überraschenden Tod von Harun
Farocki letzte bedeutende Bilderanalytiker des deutschen Kinos von der strengen
Methodik seiner Filmessays abgerückt. In “The Airstrip“ verleihen sporadische
Voiceover-Kommentare seiner formalistischen Architekturkritik eine pointierte,
scharfe Polemik. An einigen Stellen des Filmes ist sogar Musik zu hören:
eine Kooperation mit der Düsseldorfer Band Kreidler, deren krautrockige
Rhythmen offen genug angelegt sind, um die konzentrierte Montage nicht zu überwältigen.
Im Gegenteil war Emigholz nie funkiger. Auf dem Flughafen von Montevideo fliegen plötzlich ein paar Koteletts durchs Bild, Ausschnitte aus Werbeprospekten von Supermärkten. Dieser ästhetische Bruch hat etwas Rustikales. Der Humor, der in seinen Architekturfilmen bisher eher latent war, wirkt wie ein Ablenkungsmanöver in einem ansonsten überraschend unversöhnlichen Film. Heinz Emigholz, und das ist vielleicht das hervorstechendste Merkmal von „The Airstrip“, ist für seinen neuen Film weit gereist, um zu einem vernichtenden Urteil zu gelangen: „Die Moderne. Ein Schrottplatz für architektonische Utopien.“
Vom mecklenburgischen Binz auf der Ostseeinsel Rügen führt Emigholz’ Weg bis nach Saipan, der Hauptinsel der Nördlichen Marianen. Er folgt den Spuren der architektonischen Moderne und registriert dabei in ihren dominanten Formen einen Brutalismus, der auch sein eigenes Leben unmittelbar berührt. Die Marianen waren der Ausgangspunkt der US-amerikanischen Pazifikoffensive gegen die Japaner, von hier aus starteten am 9. August 1945 die Jagdbomber Enola Gay und Bockscar, um ihre tödlichen Ladungen über Hiroshima und Nagasaki abzuwerfen. Die Betonbunker, in denen die Atombomben ‚Little Boy’ und ‚Fat Man’ lagerten, fungieren heute als Gedenkstätten. Am Strand von Saipan starben Tausende US-Soldaten auch dafür, dass Heinz Emigholz in einer freieren Welt aufwachsen durfte. Eine gewisse Resignation wohnt seinen nüchternen Beobachtungen dennoch inne. „Als der Kapitalismus noch die Unschuld spielte und Filmsets für kollektive Träume baute“ merkt er zu Carl Schmanns' Jugenstil-Warenhaus in Görlitz an. Einen Exkurs durch das kanariengelbe La Bombonera Stadion in Buenos Aires, Spielstätte des Kultvereins Boca Juniors, beschließt er mit einem Hinweis auf dessen Rolle unter der Militärjunta. Hier wurden Regimegegner gesammelt und später von Flugzeugen aus über dem Meer abgeworfen.
So durchkreuzen die Koteletts mit ihrem Lufttänzchen gewissermaßen
die vertikalen und horizontalen Argumentationslinien von Emigholz: die vertikalen
sind symbolisiert in der titelgebenden Landepiste, als Ausdruck von Gewalt und
Zerstörung, die horizontalen in der Chronizität einer Spurensuche,
die zurückreicht bis zum Pantheon im antiken Rom. „The Airstrip“ ist nur
auf den ersten Blick eine Abkehr von Emigholz’ Arbeitsweise. So, wie die Kontemplation
in den Architekturen von Goff und Loos der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis
von Form und Struktur diente, spürt Emigholz in seinem neuen Film Verbindungslinien
auf, die vom Betonkult der Moderne bis zur, so der Filmemacher, „Betonkultur
des Krieges“ reichen.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film
The Airstrip
Alternativer Titel: The Airstrip - Aufbruch der Moderne, Teil III
Deutschland 2014 - 108 Min. Start(D): 02.10.2014 - FSK: ohne Altersbeschränkung - Regie: Heinz Emigholz - Drehbuch: Heinz Emigholz - Produktion: Frieder Schlaich, Irene von Alberti, Reinhard Wulf - Kamera: Heinz Emigholz - Schnitt: Till Beckmann, Heinz Emigholz - Darsteller: Natja Brunckhorst, Ueli Etter
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