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Alter
und Schönheit
Vor einem halben Leben war Manni noch
fit und fuhr im Sportcoupé den Kurfürstendamm auf und ab, um junge
Frauen zu beeindrucken. Ein Dokumentarfilmregisseur hat das damals festgehalten.
„Ich bin das Auto", gab Manni zu Protokoll. Am Ende seines Lebens kauert
er irgendwo in einer Heidelandschaft, lehnt kraftlos an seinem Ferrari, außen
an der leeren Hülle aus lackiertem Blech und Glas. Von innen her blickt
die Kamera auf den Sterbenskranken, das spiegelnde Fenster verschleiert sein
Gesicht. Seine alten Freunde sind ganz nah bei ihm. Doch Manni ist schon ganz
weit weg.
Ein Film übers Älterwerden,
um verlorene und noch nicht ganz verpasste Chancen und vom Abschied für
immer: „Ferrari 49" sollte Michael Kliers fünfter Spielfilm ursprünglich
heißen, wegen des Statussymbols und wegen Mannis Kumpels Harry, Justus
und Bernie, die 1949, im Gründungsjahr der Bundesrepublik, geboren sind.
Ausgerechnet das Nesthäkchen der Clique wartet nun auf den Tod. Der einstige
Fernsehkommissar, Frauenheld und Überflieger hat Krebs im Endstadium, da
ist nichts mehr zu reparieren. An der Hecke vor dem Hospiz für Privatpatienten
steht sein Ferrari. Manni hat keine Familie, nur Autos, einen Bungalow mit Pool
und ein dickes Bankkonto. Aber keiner denkt hier an Erbschleicherei, sondern
daran, wie man um Gottes Willen mit einem Todkranken reden und umgehen soll.
Setzen wir eine Trauermiene auf? Reißen wir die alten Witze? Können
Harry, Justus und Bernie am Krankenbett des Freundes eigentlich überhaupt
etwas richtig machen?
Ohne falsche Sentimentalität, aber
auch bar jeden aufgesetzten Galgenhumors erzählt Michael Klier die Geschichte
von Wiederannäherungen und Rückblicken unter traurigen Vorzeichen.
Allein filmisch ist das ein Gedicht. Unglaublich ausgefeilt und subtil die Kadrierung,
wunderschön das durchweg weiche Licht, meisterhaft entwickelt die Farbdramaturgie,
wenn in der Ausstattung blassrote und azurblaue Farbtöne von Figur zu Figur
wandern. Hervorragend gelungen auch die Choreographie, wo der Regisseur die
innere Bewegtheit und die kleinen Ausweichreflexe im Freundestrio in darstellerische
Bewegung ummünzt. Wenn die drei sich kindisch darum kabbeln, wer ans Steuer
von Mannis Ferrari darf, stand das wohl kaum im Drehbuch. Das sind Augenblicke,
in denen reiner Improvisationsgeist gleichsam Funken aus der Leinwand versprüht.
Perfekt eingepasst sind die Stars, die
sich jede egozentrische Extratour sparen: Henry Hübchen gibt den coolen
Harry, der nie um einen Spruch verlegen ist. Justus, zwischen seinem Knochenjob
als Fernsehregisseur und dem Mitleid mit Manni hin- und hergerissen, wird von
Burghart Klaußner dargestellt. Armin Rohde spielt Bernie, den Weichherzigen,
den Studienrat, der am Ende seinen Schuldienst hinschmeißt, weil er aus
Mannis Fehlern lernen will. Peter Lohmeyer ist als klapprig-graubärtiger
Patient mit Kreidestimme kaum wiederzuerkennen. Und last not least überzeugt
gleichermaßen Sibylle Canonica mit starken Auftritten (und Abgängen).
Sie spielt Rosi - eine von Mannis vielen Verflossenen -, die der Sterbende unbedingt
noch einmal sehen will. Auch an Rosi ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen.
Lange zögert sie, dem Mann, der sie schwer enttäuscht hat, die Hand
zu reichen. „Wenn ich mich jemals gezeigt habe, dann mit dir zusammen," bekennt ihr Manni schließlich, „du weißt
mehr von mir als jeder andere Mensch." Erst retrospektiv klärt sich
das Vergangene. Was war wichtig, was letztlich doch banal? Vielleicht begreift
man das tatsächlich erst kurz vor Torschluss.
Zu den schönsten Szenen gehört
das Beisammensein von Harry, Justus, Bernie und Rosi auf Mannis verlassenem
Anwesen. In kontemplativer Ausdehnung kostet Klier Momente aus, in denen die
Geschichte gänzlich zum Stillstand gekommen ist und die Freunde auf ihre
eigenen Bedürfnisse und unerfüllten Träume zurückkommen.
Vanitas und Wohlgefühl. Die Szenerie trägt fellineske Züge: Ein
übergelaufener Swimmingpool, der aufgeweichte Rasen, ein altes, im Garten
vergrabenes Auto, von dem nur das Dach zum Vorschein kommt. Justus betrachtet
die Schwarzweißdoku, die er einst mit Manni drehte (der Kurzfilm „Ferrari"
von 1964 stammt in Wahrheit von Klier selbst). Harry lässt sich im Affenkostüm
durchs Wasser treiben, Bernie macht Rosi ein Liebesgeständnis, Rosi fingert
eine ominöse Bonbondose aus einem alten Geheimversteck. Details wie diese
bleiben unerklärt, rätselhaft - und gerade diese Andeutungskunst macht
den Zauber von „Alter und Schönheit" aus, dem Eindrucksvollsten und
Zärtlichsten, was das Kino zum derzeitigen Trendthema Älterwerden
beitragen kann.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Alter
und Schönheit
Deutschland 2008 - Regie: Michael Klier - Darsteller: Henry Hübchen, Burghart Klaußner, Armin Rohde, Peter Lohmeyer, Sibylle Canonica, Imogen Kogge, Friederike Wagner - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 95 min. - Start: 8.1.2009
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