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Arbeitstitel
Punkt-Punkt-Punkt-Kino
Bevor er auszog, um in Hamburg ein Filmstudium
zu beginnen, wollte Björn Last einen Braunschweigfilm drehen, einen Dokumentarfilm
über seine Heimatstadt. Daraus ist nichts geworden. Aber warum nicht? Björn
Last geht der Frage nach, indem er Björn Last interviewt, einen geschauspielerten
Björn Last, einen „falschen“ Björn Last.
Bei so einer Konstellation zieht ein Film
im Schweif ein wenig Narzissmus hinter sich her. Eine Selbstfokussierung schon
im vierten Kurzfilm. Vielleicht kann es nie früh genug sein, um sich selbst
zu verhandeln. Vielleicht kommt sowieso jeder Künstler irgendwann nicht
mehr an sich vorbei. Wenn Christoph Schlingensief beispielsweise sich im Fluxus-Oratorium
"Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" mit sich und seiner
Krankheit beschäftigt, dann wird Kunst so persönlich, wie sie nur
sein kann, dann verdichtet sich auch die Beziehung zwischen ihr und ihrem Publikum.
Es ist eine sehr intime Form der Kunst, indem der Künstler sich dem Zuschauer
anvertraut, ihn teilhaben lässt an sich selbst, an seinen Gedanken, seinen
Gefühlen, aber auch seinen Fragen, die er sich allein nicht beantworten
kann.
Björn Last wäre nicht Björn
Last, wenn er jenen persönlichen Gegenstand nicht auch zu einem filmtheoretischen
machen würde. Abgesehen von seinem Erstling „Sprint“, improvisiert innerhalb
eines Tages unter den kuriosen Umständen eines Braunschweiger Filmfestivals,
im Grunde schon eine Art Braunschweigfilm - abgesehen davon sind sich Lasts
bisherige Filme, „Mise-en-abyme“, „Café
m/f Liebe“ und nun „Arbeitstitel“,
darüber bewusst, dass sie Filme sind. Auch sie kommen folglich nicht an
sich selbst vorbei. So erfährt in Gestalt des hier von Martin Deisler gespielten,
auf der Leinwand, vor der Leinwand sinnierenden Regisseurs nicht nur das Persönliche
Ausdruck, nämlich der Künstler, der sich dem Zuschauer erklärt,
sondern zudem einmal mehr ebenso die filmische Selbstspiegelung.
Die geht nicht selten mit Godard’schen
Stilmitteln einher. Filmposter der „Außenseiterbande“ und der „Verachtung“ im Hintergrund doppeln das Sujet auf
einer Metaebene und verhelfen dem Geist des Godard-Kinos hier zugleich zur Allgegenwärtigkeit.
Am besten kann ein Björn-Last-Zitat die Wirkung dessen veranschaulichen:
„Durch seine Verfremdungstechniken im Bild- und Tonbereich lässt er uns
nie daran zweifeln, dass wir einen Film sehen“ (Last auf www.mitternachtskino.de über „Die
Verachtung“). Dazu gehören
mitunter Überlagerungen, Überlappungen, sekundenbruchteiliges Zurückspulen.
Einblendungen kommentieren, informieren, suchen jene Kommunikation mit dem Zuschauer.
Ein Fake-Interview mit dem Mentor wird improvisiert und ist am Ende dann doch
irgendwie echt. Bei einer Kamerakreisfahrt projizieren sich die Schatten der
Crew-Mitglieder ganz vorsätzlich an die Wand. Ist indes gerade von Sentimentalität
die Rede, dann werden die schwermütigen Klänge trampelnd eingespielt
und genauso grob und bewusst wieder abgebrochen, als drücke man einfach
auf den Knopf eines Kassettenrekorders wie in „Mise-en-abyme“. Wenn vom Abreißen
gesprochen wird, setzt alles schon einmal komplett aus; man ist kurzzeitig völlig
konsterniert. Oder Tonspur und Bilder verhalten sich ähnlich einer „Naked
Lunch“-Szene asynchron
zueinander, als kurz der Voice-Over erwähnt wird.
„Arbeitstitel“ ist dadurch förmlich
eine Interzone filmgestalterischer Verfremdungen, lässt keinen gleichmäßigen
Fluss zu, ist beherrscht von einem starken Experimentierwillen oft an der Grenze
zur Ausschweifung, augenscheinlich manchmal nur um des Experimentierens willen.
Die über sich selbst reflektierenden Last-Filme gehen mit der Prätention
gerne mal hausieren, daraus wird selbstironisch kein Hehl gemacht, es ist hier
ja eh ein Film, zum Scheitern verurteilt, „eine Hülse dessen, was er hätte
sein können“. Er wirkt zuweilen insbesondere verkopft dabei, Gedanken auszuformulieren,
es scheinen sehr in den Mund gelegte Überlegungen zu sein, weniger aus
dem Bauch heraus geboren.
Last sucht nichts weniger als eine neue
Form des Kinos. Wenn das des Dritten Reiches das Kino des Ausrufezeichens gewesen
sei, das heutige amerikanische Kino das des Punktes und das europäische
das des Fragezeichens („um mit dem Publikum zu reden“), kommt Last zu dem Entschluss,
das Kino des Punkt. Punkt. Punkt. sei das „richtige“. Das impliziert das Unvollendete,
auch etwa die Unendlichkeit einer Mise-en-abyme. Etwas zu Ende Gedachtes, das
sei schließlich tot. Ist der Braunschweigfilm damit in seiner Unfertigkeit
doch fertig? Ein Schlussstrich unter die Braunschweigzeit? Eine Abkehr von der
Großstadtprovinz und zugleich das Auskehren alter Erinnerungen? Ich weiß
es nicht. Ich glaube aber, auch ein unvollendeter Braunschweigfilm ist ein Braunschweigfilm;
noch dazu „eine Skizze in 1,78:1“, ein Arbeitstitel, eine Autobiographie, ein
Inventur-, Dokumentar-, ein Fragmentfilm, ein Aufräum-, Selbstfindungs-,
Essay-…
Daniel Szczotkowski
Arbeitstitel
Arbeitstitel
- ein Film, zum Scheitern verurteilt
Deutschland
2008
16
min.
Regie:
Björn Last
Drehbuch:
Björn Last
Produktion:
Björn Last
Musik:
Pablo Paolo Kilian
Kamera:
Maya Connors
Schnitt:
Björn Last
Ausstattung:
Swaantje Becker
Darsteller:
Martin
Deisler ... Björn Last
Jessica-Virginia
Mouffok ... Virginia E. Aristoteles
Thomy
Kessler ... John Aristoteles jr.
Gerd
Roscher ... als er selbst
Lena
Lorenz ... Die Geliebte
Marie
Lauerbach ... Kommilitonin
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