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As Time Goes By In Shanghai
Bis nach Shanghai scheint sich die Geschichte des Buena Vista Social
Club noch nicht herumgesprochen zu haben. Als die „Peace Hotel Old Jazz
Band“, die zertifiziert älteste Jazzband der Welt, eine Einladung zum berühmten
North Sea Jazzfestival in Rotterdam erhält, wird kein Gedanke an eine kommerziell
lukrative Weltkarriere verschwendet. Die Euphorie geht eher dahin, das eigene
Renommee vor Ort zu steigern. „Erst exportieren, dann re-importieren!“, lautet
die Erfolgsformel. „Wenn wir in Europa eine gute Performance hinlegen, werden
wir auch zuhause ernster genommen“, sagt der Manager. Denn „up to date“ sind
die älteren Herrschaften schon längst nicht mehr, spielen sie doch
noch immer jene Musik, die sie seinerzeit, nach der Befreiung von den Japanern,
entdeckten: Swing. Noch heute schwärmen die Musiker von Artie Shaw oder
Benny Goodman, die sie seit 1980 (fast) jeden Abend in der Hotel-Lobby imitieren.
Mehr schlecht als recht. Einmal heißt es sehr treffend: „Unsere Musik
klingt wie eine alte Schallplatte.“
Man muss bei „As Time Goes By In Shanghai“ von Uli Gaulke ein paar
Vorurteile über Globalisierung über Bord werfen. Zum Beispiel über
die „Weltsprache“ Jazz und die damit verbundene Mentalität, die vielleicht
nur bedingt chinesisch ist. Denn der Jazz, den die Peace Hotel Old Jazz Band
spielt, ist nicht nur altmodisch, sondern auch seelenlos. Da können die
Herren noch so von besseren Zeiten schwärmen, sie exekutieren ihren Jazz
ohne jede emotionale Beziehung zu ihr. Der Saxofonist räumt denn auch ein:
„Die Jazzmusik, die wir hier kennen, kann man nicht mit der im Westen vergleichen.
Wir stehen noch ganz am Anfang und haben nur ein ganz grobes Gefühl dafür.
Unser Gefühl für Musik basiert auf der traditionellen chinesischen
Musik. Wir müssen immer wieder hinhören, um ein Gefühl dafür
zu bekommen.“ Dazu passt, dass die Beziehungen der Musiker untereinander nur
oberflächlich freundschaftlich, eher aber respektvoll desinteressiert sind.
Von musikalischer Kommunikation oder der Fähigkeit zur Improvisation findet
sich kaum eine Spur.
Die Einladung zum North Sea Jazzfestival gilt dennoch keiner Freakshow.
Der Auftritt in Rotterdam, der den filmischen Rahmen liefert, findet in freundlich-interessierter
Atmosphäre statt. Verstehe einer die „Langnasen“, wie die Europäer
hier immer mal wieder genannt werden. Die hören sich Bands an, deren Musik
nicht swingt, sondern eiert. Aber die finden ja auch hässliche Frauen hübsch.
Dieses Problem muss die Band auf dem Weg nach Rotterdam lösen, denn man
will gerne mit Sängerin auftreten. Sie darf nicht zu jung sein, aber auch
nicht zu alt, nicht zu hübsch, aber auch nicht hässlich. Eine schwierige
Suche beginnt, denn „hier herrscht das Mittelmaß!“ Dass man schließlich
mit Jasmine Chen eine talentierte Sängerin mit menschlichen Qualitäten
findet, ist nicht nur für die Band mit ihren mitunter ruppigen Umgangsformen
ein Glücksfall, sondern auch für den Film, der durch sie eine freundliche
Lässigkeit bekommt.
Ist die Gegenwart der „ältesten Jazzband der Welt“ also denkbar
unspektakulär, so bleiben auch die Erinnerungen im Ungefähren. Immerhin
hat Gaulke sich den üblichen Weg in die Archive gespart. Statt dessen schaut
er seinen Protagonisten beim Erzählen ins Gesicht. Der Film skizziert so
einige Künstlerbiografien im Wandel der Zeit; denn mit ihrer Begeisterung
für den Jazz haben sich die Musiker auch für eine extreme Form der
Individualität und Unabhängigkeit entschieden. Während der Kulturrevolution
aber erlebten sie, dass alle Formen von Unterhaltungsmusik für obsolet
erklärt wurden. Man hat dann einfach „leise für sich“ weitergespielt,
heißt es einmal lakonisch. Gaulke hat genügend Respekt, auch das
Schweigen seiner Protagonisten zu akzeptieren; er platziert sie bei Gesprächen
gerne so, dass die Betriebsamkeit der geschichtsvergessenen Großbaustelle
Shanghai im Hintergrund deutlich sichtbar wird.
Auch wenn es die Musiker mit ihrer Musik nicht zu Ruhm und Reichtum gebracht
haben, so ist die Tatsache, dass am Ende ihrer langen (Lebens-)Reise mit dem
Jazz eine Begegnung mit den Langnasen in Rotterdam winkt, eine schöne Volte
der Geschichte.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst 24/2013
As Time Goes By In Shanghai
Deutschland 2013 - Regie: Uli Gaulke - Buch: Uli Gaulke - Produktionsfirma:
Flying Moon Filmprod./WDR - Produktion: Helge Albers, Sander Verdonk - Kamera:
Axel Schneppat, Jörg Jeshel - Schnitt: Uli Gaulke - Musik: Ari Benjamin
Meyers -
Länge: 93 (24 B./sec.)/90 (25 B./sec.) Minuten (O.m.d.U.) Kinostart: 28.11.2013
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