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Australia
Jeder
Bogen überspannt
Ein Western auf dem fünften Kontinent:
Baz Luhrmanns "Australia" bietet postmodernes Überwältigungskino,
das nicht an Maßlosigkeit, sondern an seinem Paternalismus scheitert.
Der Western hat sich im Lauf der Filmgeschichte
immer wieder als modernisierungsresistentes Genre erwiesen. Sein festes Repertoire
an Archetypen und Motiven steht für eine Beständigkeit und einen Wertekonservatismus,
vor denen selbst technische Neuerungen haltgemacht haben. Das große Kontinuum
der Westernerzählung kennt keine Krise der Bilder, allenfalls die ihrer
Helden.
Wenn Baz Luhrmann nun in "Australia",
seinem ersten Film seit sieben Jahren, eine ganze Rinderherde in einer panischen
Stampede auf eine Felsschlucht zurasen lässt, zeigt er damit indirekt auch
die Grenzen dieser Mythologie im aktuellen Ereigniskino auf. Luhrmann bringt
in dieser Szene zwei Prinzipien zusammen, die nicht nur unter Puristen lange
als unvereinbar galten: den Viehtreck als eines der zentralen Motive des klassischen
Westerns und die Technik des computer
generated imagineering.
Der natürliche "Spezialeffekt" des Westerngenres, die Landschaft
selbst, ist nicht (mehr) ausreichend.
Die Logik hinter diesem Paradigmenwechsel
entspricht genau der Idee von Luhrmanns Kino, das seit jeher in aufdringlich
ironisierten Überhöhungen schwelgt. Luhrmann produziert in seinen
Filmen permanent Ungleichzeitigkeiten: ob er nun Shakespeare für die Tarantino-/MTV-Generation
interpretierte ("Romeo
+ Julia") oder in
"Moulin
Rouge" einen Cancan
zu Nirvanas "Smells like Teen Spirit" aufführen ließ. Insofern
ist die Rinder-Stampede, komplett am Computer entstanden, der konsequent nächste
Schritt. Wie wenig überzeugend diese Actionsequenz in "Australia"
jedoch ausfällt, mag auch Beleg dafür sein, dass eine Frischzellenkur
das Letzte ist, was der Western gerade benötigt.
Dass das Mythenrepertoire des Western
dennoch immer wieder als historische Folie für universalere Geschichten
herhalten muss, ist im Falle von "Australia" vielleicht die größte
Crux. Luhrmann ist hierfür in seine Heimat zurückgekehrt, ein Unterfangen,
das sich die Fox stattliche 130 Millionen Dollar hat kosten lassen.
"Australia" ist Luhrmanns Hommage
an seinen Geburtsort. Im Jahr 1939 landet Lady Ashley (Nicole Kidman) in Australien,
um sich persönlich von der Untreue ihres Mannes zu überzeugen. Vor
Ort muss sie jedoch erfahren, dass ihr Ehemann ermordet wurde und seine Ranch
Faraway Downs kurz vor der Übernahme durch den örtlichen Viehbaron
(Bryan Brown) steht. Ihre letzte Chance besteht darin, mit einem zusammengewürfelten
Haufen Freiwilliger, darunter dem Abenteurer Drover (Hugh Jackman), 1.500 Rinder
durch das unwirtliche Hinterland in die Hafenstadt Darwin zu treiben und dort
an die Engländer zu verkaufen. Das Empire befindet sich im Krieg - der
Bedarf an Fleisch ist groß.
Luhrmann überspannt den Bogen in
jeder Hinsicht. In "Australia" hat er die Ausläufer des (nach
amerikanischem Geschichtsverständnis) historischen Western weit in die
Neuzeit verlegt. Das Jahr 1939 markiert zwei geschichtliche Wendepunkte von
zugegeben recht unterschiedlicher Bedeutung: einerseits den Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs, der im Verlauf des Pazifikkriegs auch zur Bombardierung der australischen
Hafenstadt Darwin durch die Japaner führte, sowie den Höhepunkt des
klassischen Hollywood-Studiosystems, das in jenem Jahr mit "Vom
Winde verweht" und
"Der Zauberer von Oz" zwei der erfolgreichsten Filme aller Zeiten
hervorbrachte. Dass Luhrmann diese Begebenheiten inhaltlich und formal nahezu
gleichwertig behandelt, verrät einiges über die Spielregeln seines
Kinos.
Das dritte zentrale Handlungselement wird
mit dem Aborigine-Jungen Nullah, einem "Mischlingskind" (Brandon Walters),
eingeführt. Noch bis 1973 sammelte die australische Regierung Aborigine-Kinder
in Umerziehungslagern, um sie zu "zivilisieren". Der Junge übernimmt
in "Australia" die Erzählerrolle aus der Perspektve dieser "Gestohlenen
Generation". Gleichzeitig begleitet "Der Zauberer von Oz" Nullahs
rites de passage zum "Zaubermann" seines Volkes.
Doch zum ersten Mal hat Luhrmann seinem
Zitatwerk nichts Eigenes hinzuzufügen. "Australia" bewegt sich
zielsicher entlang der Wegmarken des epischen Hollywood-Melodrams auf einen
Showdown zu, der in seinem Pathos an Michael Bays "Pearl
Harbour" erinnert.
(Womit Luhrmann in 165 Minuten auch formal die Entwicklung vom klassischen Hollywood-Kino
zum Actionkino Bruckheimscher Prägung nachvollzieht.) Nicole Kidman und
Hugh Jackman bedienen diese Traumfabrikfantasie nahezu perfekt: Sie ist ein
zierliches Porzellanpüppchen von spröder Noblesse; er ein makellos
gebauter Cowboy mit dem Herz am rechten Fleck. Sie sehen einfach zu gut aus,
als dass man nicht vom ersten Moment an wissen würde, wie ihre Geschichte
ausgeht.
Wenn Luhrmann in Interviews betont, dass
"Australia" eine mythische Version seines Landes schildert, hat er
damit ein Hauptproblem des Films bereits umrissen. Denn wie aufrichtig sich
"Australia" auch in den Dienst der Aussöhnung zwischen Kolonialisten
und indigenen Bewohnern zu stellen versucht: Luhrmanns verkitschte Faszination
für den Mystizismus der Aborigine-Kultur wird von denselben paternalistischen
Rassismen gespeist, denen sein Film entgegenzuwirken vorgibt. Bei Luhrmann bekommt
das Ganze zudem eine unverhohlen nationalistische Note: Wenn der Aborigine-Schamane
der Britin am Ende sein Land offeriert, tönt im Hintergrund die Commonwealth-Hymne
"Nimrod" aus Edward Elgars "Enigma Variationen". Die Naivität
dieser Versöhnungsgeste ist frappierend, liegt jedoch in der Logik der
Erzählweise.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Australia
USA / Australien 2008 - Regie: Baz Luhrmann - Darsteller: Nicole Kidman, Hugh Jackman, David Wenham, Bryan Brown, Jack Thompson, David Gulpilil, Brandon Walters, Joel Edgerton - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 166 min. - Start: 25.12.2008
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