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Bad
Boy Bubby
Irgendwie scheint die erste halbe Stunde
eine einzige Exposition dieser ungemein grotesken Mischung aus Frankenstein, Kaspar
Hauser und Eraserhead zu sein. BAD BOY BUBBY ist der Prototyp
eines kompromisslosen Debüts: Low Budget, jahrelange Produktionszeit, eine
dem Autorenfilm nahe stehende Organisation, große Experimentierlust (insgesamt
32 Kameramänner waren an dem Film beteiligt, außerdem wurde eigens
ein Tonverfahren entwickelt, mit dessen Hilfe der räumliche Klang als subjektive
Wahrnehmung besser und zudem produktionstechnisch effektiver erfasst werden
konnte), ein skandalträchtiges Thema und in der Summe, nach dem Spezialpreis
auf den Filmfestspielen in Venedig und einem Preisregen bei den AFI Awards,
die Eintrittskarte ins Arthouse-Filmgeschäft, zumindest für Regisseur
Rolf de Heer und Hauptdarsteller Nicholas Hope, der hiermit ebenfalls sein Spielfilmdebüt
absolvierte. Da man im Sommer letzten Jahres de Heer mit „10 Kanus, 150 Speere
und 3 Frauen“ wieder richtig lieb gewonnen hatte, bleibt zu hoffen, dass sein
nun endlich zugängliches Sturm und Drang-Werk noch etwas von dieser Zuneigung
profitieren wird.
Frankenstein,
Kaspar Hauser, Eraserhead: Bubby ist 35 Jahre alt, lebt mit seiner
Mutter inzestuös in einem versifften Zwei-Zimmer-Kellerloch und weiß
nichts von der Welt. Kein Fernseher, kein Radio und nur eine Gasmaske. In dem
Glauben gelassen, dass draußen alles von Gas verseucht ist, verlässt
er nie die Wohnung und beschäftigt sich stattdessen mit seiner Katze, an
der die Erziehungsmethoden der Mutter erprobt werden. Sprechen kann er zwar,
wiederholt und variiert aber meistens nur das, was er zuvor gehört hat.
Der Forschertrieb überwiegt jedoch, als sein Vater, ein versoffener Priester,
zurückkehrt und Bubby aus dem mütterlichen Bett verdrängt. Eher
aus seiner Naivität geboren, bringt er beide um und tritt endgültig
eine Odyssee durch die Schule des Lebens an.
Eine Schule, die sich sofort als groteskes
Zerrbild der Gegenwart offenbart. Blitzschnell werden Momente der Tragik von
völlig ätzendem Humor abgelöst. Schließlich wurde das Wissen
um Bubbys mentale Ausstattung ausführlich vermittelt, aber seine Simulation
der Normalität, bei aller anfänglicher Anstößigkeit, scheint
zumindest zu genügen, um relativ unbehelligt durch den Moloch der Neurosen
zu staksen. Umso verstörender erscheint da sein unschuldiges Tänzeln
durch eine abweisende Welt voller Wut, Gewalt und unerfüllter Träume.
Durch die mehr oder weniger unwissentliche Imitation aller Phrasen und Anschuldigungen,
die im Laufe dieser tour
de force seinen Kopf füllen,
schafft er es sogar als Frontman einer bisher erfolglosen Waveband auf die Bühne,
wo er wie ein Tonbandgerät ein wüstes, monotones Kompendium aller
erduldeten Beschimpfungen an Gott adressiert.
So pointiert der Verlauf auch erscheint,
er könnte gleichfalls zu zerfransen drohen: Was für eine Karikatur
der Normalität wird eigentlich geboten? Und wie sind ihre Prämissen
beschaffen? Wieviel Schuld kann einem Mörder überantwortet werden,
wenn kein Verständnis von Moral existiert? Kann die Heilmacht des Kinos
eine völlig zerstörte Kindheit wieder richten, indem sie persiflierend
ein Motivbündel des Melodrams für ein sarkastisches Happy End zusammenfügt?
Den Kitt bietet das Schauspiel Nicholas Hopes, der seine Figur ständig
in der Schwebe zwischen Entdeckungsfreude, Naivität, geraubter Jugend und
folglich auch schlagartiger Aggression belässt. Er ist so sehr Fixpunkt,
dass kaum eine Einstellung ohne ihn auskommt und trotzdem sind seine Handlungen
und Reaktionen immer wieder unberechenbar. Sein coming
of age ist auch eins der
Welt, in der er sich bewegt: Bubbys sukzessive Erlösungsgeschichte steht
im proportionalen Missverhältnis zu ihrer Propaganda der individuellen
Freiheit. Das mag jetzt etwas forsch und pubertär erscheinen, aber zur
Adoleszenz hat Bubby auch noch ein ganzes Stück nachzuholen.
Mit Rolf de Heers - der Begriff gehört
einfach hier hin – Kultfilm legt das jüngst gegründete DVD-Label Bildstörung
einen grandiosen Auftakt hin, dem zukünftig weitere Editionen des unbequemen
und sperrigen Kinos folgen sollen. Die opulente Ausstattung der DVD lässt
den Enthusiasmus der Macher spüren und weiht das Resultat – schon angesichts
der erwartbar mageren Verkaufszahlen – zu einer der besten Veröffentlichungen
des Jahres.
Sven Jachmann
Dieser Text ist zuerst erschienen in: kino-zeit.de, im schnitt und bei fixpunkte
Bad
Boy Bubby
(Bad
Boy Bubby, Australien 1993)
Regie:
Rolf de Heer
Darsteller:
Nicholas Hope, Claire Benito, Ralph Cotterill, Carmel Johnson u.a.
Länge:
109 Min.
Verleih:
Bildstörung
DVD:
FSK:
ab 16
Extras:
Audiokommentar, Interviews, Kurzfilm "Confessor Caressor", Photo-Galerie,
Info
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