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Samuel
Beckett: He Joe und andere Filme für den SDR
Die
menschliche Komödie
Das
deutsche Fernsehen wird gerne unterschätzt: Erst Jahrzehnte später
tauchen unschätzbare Meisterwerke auf, die einst von den öffentlich-rechtlichen
Regionalsendern in Auftrag gegeben wurden: Schon 1971 importierte der WDR unter
der euphorischen Mitwirkung von Alfred Biolek die Monty-Python-Truppe für
zwei deutschsprachige Folgen ins Land, 1972 schrieb und drehte Hollywood-Altmeister
Samuel Fuller ebenfalls für den WDR einen »Tatort«, und 2003
koproduzierte das ZDF mit Sarabande die
letzte Filmarbeit des großen Ingmar Bergman – alles Meisterwerke ihrer
Zeit, alle mehr oder minder tief in den Archiven vergessen. Dort lagerten auch
die Filme von Samuel Beckett, die dieser zwischen 1966 und 1986 für den
Süddeutschen Rundfunk drehte, und die nun, endlich, in einer liebevollen
Ausgabe wieder an die Oberfläche geholt wurden.
Dass
diese Sammlung ihre Veröffentlichung in der ebenso wichtigen wie wunderschönen
filmedition
suhrkamp
findet, wo man sich eigentlich nicht mit absurdistischen Künstlern abgibt,
sondern sich eher gesellschaftsbewussten Denkern wie Brecht, Kluge, Frisch und
Bourdieu widmet, ist ein zusätzlicher und sehr willkommener Ritterschlag
für den späten Avantgardisten Beckett. Und siehe da: Der ewige Defätist
Beckett entpuppt sich in diesen Arbeiten einmal mehr als emotionaler Soziologe,
als Erforscher der conditio
humana
anhand der unterdrückten Träume, der Verwirrung, der Langeweile und
der Dämonen des Menschen. Das ist Avantgardefilm in seiner subjektivsten
und kryptischsten Form, und so freut man sich denn auch über die beiden,
wie erwartet, herausragenden Essays im Booklet, wobei Gilles Deleuze selbstverständlich
für die Interpretation und geistesgeschichtliche Einordnung Becketts und
Dietmar Kammerer für die peniblen Hintergrundinformationen zur Entstehung
der hier vorliegenden Filme zuständig ist.
Einige
davon sind Weiterentwicklungen derselben Idee: Die 1966er-Verfilmung von He
Joe (mit einer wunderbaren fünfminütigen Einführungsrede und
zugleich Interpretationsanleitung, die in ihrer gebildeten Publikumsüberforderung
heutzutage undenkbar wäre und ernsthafte Nostalgie nach der schwarzweißen
Vorherrschaft öffentlich-rechtlicher Sender macht), immerhin die erste
offizielle Regiearbeit Becketts überhaupt, ist schon ein Triumph und weist
den Weg in die hier versammelten Werke: ein langsames, schrittweises Einzoomen
auf das sprachlose Gesicht des einzigen Darstellers Deryk Mendel (der allein
mit dem Zucken seiner Augenbrauen jede Sekunde davon die Spannung halten kann),
während eine körperlose Stimme seine Gedanken (seine Dämonen?
seine Erinnerungen?) einspricht. Beckett arbeitet noch immer sehr theatral und
bleibt dabei unfassbare 30 Minuten lang schnittfrei, was für eine Fernsehaufzeichnung
ein gewaltiges Unterfangen war. Wie das ganze Spätwerk Becketts ist der
Film von Symmetrie geprägt, Zusätzlich spürt man bei diesen Fernseharbeiten
eine gewisse Befreiung des Altmeisters, der schon immer an der unvereinbaren
Dichotomie zwischen Fleisch und Sprache interessiert war und in diesem Medium
endgültig mit körperlosen Stimmen oder stimmlosen Körpern arbeiten
kann.
Die
hier ebenfalls erhaltene Neuinszenierung aus dem Jahr 1979 ist eine spiegelbildlich
identische Inszenierung und doch ein Ausbau, während das einstündige
Film-Triptychon Schatten aus
mit ähnlichen Motiven arbeitet (mit der gleichen Geschichte, könnte
man sagen, wenn man von einer Geschichte im klassischen Sinn sprechen könne),
diesmal aber mit einigen harten 90°-Schnitten um alle möglichen Achsen
und sprunghaften Zooms sowie mit kleinen Erweiterungen auf der Bild- und Tonebene;
dazu kommt ebenfalls die später für Beckett so typisch gewordene Beschreibung
der sichtbaren Gegenstände und Bewegungen aus dem Off, eine beunruhigende
Doppelung, die den Zuschauer eigenartig skeptisch gegenüber dem Wahrheitsgehalt
der Worte und/oder der Gesten werden lässt. Außerdem arbeitet der
ewige Schweiger mit plötzlich einsetzender und abbrechender Klassikmusik,
ein in der Filmgeschichte äußerst seltener und entsprechend verstörender
Effekt.
Schon
diese drei Filme lohnen aufgrund ihrer Ähnlichkeit eine genaue Untersuchung:
Was hat sich verändert nach zehn Jahren am minimalen Setting, an den Gesichtern
der Darsteller? Wie zeitlos ist die kalte Abstrahierung Becketts wirklich? Mit
jeder noch so kleinen Veränderung (Musik, Schnitt, Kamerawinkel) stürmen
die Assoziationen auf den cineastisch vorgebildeten Zuschauer ein: Man denkt
an so unterschiedliche Filmautoren wie Roy Andersson, Carl Theodor Dreyer, Andrej
Tarkovski, Yazujiro Ozu, Stan Brakhage oder Lars von Trier, weil Becketts Bilder
so universal und in so viele Richtungen wirkungsvoll sind. Interessanterweise
wird hinter auch hier schon hinter all dem scheinbar so finsteren Gestus die
perfide Komik deutlich, die auch schon immer zum heimlichen Komödianten
Beckett gehörte: der alte Mann, der ängstlich erst zum Fenster rausschaut,
dann zur Tür, und schließlich unters Bett, ist eben nicht nur tragisch
Getriebener seiner eingeflüsterten Erinnerungen, sondern auch eine menschlich-allzumenschliche
Witzfigur. Und wenn sich am Ende nach einer schier unendlichen Zeit doch ein
vorsichtiges, finales Lächeln auf dem kargen Gesicht des Darstellers findet,
dann mag man fast an die Möglichkeit zu echtem Glück in dieser tristen
Welt glauben. Und man versteht, warum es einstmals ausgerechnet der europäische
Kunstdramatiker Beckett war, der einen alten, verarmten und vergessenen Buster
Keaton aus seinem verfallenen Haus holte, wo er den ganzen Tag gegen sich selbst
Karten spielte, um einen letzten Film mit ihm zu drehen. Zu schade, dass dieses
einfach nur Film genannte Experiment hier nicht vertreten ist.
Aber
auch die anderen Filme in dieser Sammlung überzeugen, was bedeutet: sie
verwischen sich zu einem traumartigen und traumatischen Brei schwarzweißer
Visionen. Aus dem Rahmen fallen noch die berühmten Quadrat-Varianten und
das noch heute kaum fassbare Not
I,
in dem körperlose Lippen atemlos einen englischen Text herunterrattern,
durchsetzt mit gutturalen Lauten und abgehacktem Gelächter. Nach spätestens
fünf Minuten setzt ein euphorisierter Schwindel ein, die Lippen haben sich
auch im Kopf der Zuschauers endgültig von ihrem Träger gelöst,
existieren als schwebendes, rapide transformierbares Kunstwerk, als Flügel,
als Waffe, als lebende, mutante Installation, als außerirdische Kontaktaufnahme
in Form eines stream-of-consciousness.
Natürlich
ist das alles eine Geduldsprobe, oder eher, um Beckett gerecht zu werden: Eine
Suche nach der verlorenen Zeit, eine Meditation über das Vergehen von Zeit
und ein Versuch, ihr beim Vergehen zuzusehen, ohne Ziel, ohne Ende, aber mit
Ende, während des Endes, das Ende ist bei Beckett längst gekommen,
die Zeit vergeht weiter. Der Raum übrigens auch, der Raum ist auch längst
zu Ende und geht doch immer weiter. Bis in alle Ewigkeit, oder bis zu einem
finalen Lächeln. Der Mensch ist schon ein komisches Wesen.
Daniel
Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Samuel
Beckett: He Joe und andere Filme für den SDR
He
Joe (1966), Geistertrio (1977), Nur noch Gewölk (1977), SCHATTEN: Quadrat
I und II (1982), Nacht und Träume (1983), Was, wo
136
Min. absolut Medien ab 28.11.08
Sp:
Deutsch (DD 1.0). Ut: Keine. Bf: 1.33:1 Vollbild. Ex: Booklet.
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